Russland HEUTE

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MITTWOCH, 6. JULI 2011 Die deutsche Ausgabe von Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Rossijskaja Gaseta, Moskau, verantwortlich Entgrenzend Mehr Rechtsstaat fordert Joschka Fischer von Russland. Berlin und Brüssel mahnt er: Überwindet die Barrieren! S. 2 „Peter und der Wolf“ hatte hier Premiere, vor 67 Jahren. Jetzt mischt ein Jun- ger Wilder die Moskauer Oper für Kinder auf. S. 12 Erfrischend POINTIERT Einmal Urlaub in anderen Breiten D ie Koffer gepackt, die Reise gebucht, ab geht’s in den Urlaub. Der Russe plant kurzfristig, verpasst die Last- Minute-Angebote und landet deshalb wieder in Ägypten und der Türkei, die für ihn das sind, was den Deutschen Italien oder Mallorca ist. Der Deutsche hat seinen Urlaub schon im Januar gebucht und fliegt diesmal nach Spanien und in die Karibik. Umso größer ist die Überraschung, wenn er plötz- lich auch dort auf Russen trifft, die ausgelassen und sehr präsent feiern. Sind die denn überall? Es bleibt nichts anderes übrig als die friedliche Koexistenz. Und wenn Russen wie Deutsche mit ihren prächtigen Großstadtkörpern bei 48 Grad im Schatten die über- füllten Traumstrände zukleis- tern, denken sich beide vermut- lich: „Wär ich doch bloß woan- ders hin in den Urlaub gefahren.“ In der Tat: Am Bodensee wie an der Wolga ist es im Sommer so schön und entspannend wie sonst nie. Erholen Sie sich! [email protected] Alexej Knelz CHEFREDAKTEUR Warum die Russinnen die WM verpassen Nicht dabei: Julia Sapotnitschnaja (rechts) von Energija Woronesch Während in Deutschland die Welt- elite des Frauenfußballs um den Titel kämpft, sitzen die Russin- nen auf den Zuschauerrängen. „Den Russen fehlt es an logischer Denkweise und Taktik“, sagt Ma- rina Burakowa vom erfolgreichs- ten Proficlub Energija Woronesch, Viel Kritik musste der Petersbur- ger Dialog im letzten Jahr einste- cken: Inhaltsleere, keine konkre- ten Ergebnisse, Elitetreffen. Am 17. Juli beginnt in Hannover und Wolfsburg der 11. Petersburger Dialog. Ernst-Jörg von Studnitz, ehemaliger Botschafter und Mit- organisator, weist die Kritik zurück, zählt die Erfolge des Dialogs auf und warnt: „Vorsicht mit der deutschen Streitkultur.“ Im Juli geht der Zirkus Upsala auf Deutschlandtournee. Alles fing an mit Bällen und einer Schnapsidee: Die Russin Larisa Afanasjewa und ihre deutsche Freundin stellten Straßenkinder in Sankt Petersburg zum Jong- lieren an die Metroausgänge. Die Jugendlichen sollten Selbstver- trauen lernen – ohne Gewalt. Nach elf Jahren hat der Zirkus ein eigenes Zelt und international mehrere Preise abgeräumt. WIRTSCHAFT SEITE 3 FEUILLETON SEITE 11 REISEN SEITEN 8, 9 Tourismusindustrie Petersburg und Moskau, das war’s Literatur Dowlatow – mehr lebendig als tot Ziele Wolgograd und der Nordpol für Kurzentschlossene INHALT die mehrere Jahre in Deutschland gespielt hat. Sabrina Esslinger dagegen wechselte 2004 aus Frankfurt nach Woronesch und schwärmt noch heute von den Trainingsbedingungen. VLADIMIR PONOMAREV SEITEN 5, 6 UND 7 SEITE 2 SEITE 4 SEITE 10 PDPA Nein, diese umjubelten Grazien sind keine Models, sondern Leis- tungssportlerinnen: Überall in Russland gehen in diesem Som- mer wieder Hunderte taffe Frau- en bei „High-Heel-Rennen“ an den Start. Auf neun Zentimeter hohen Absätzen legen sie einen 100-Meter-Sprint hin. Beim Gro- ßen Preis von Moskau am 9. Juli winkt der Siegerin ein Preisgeld von 2500 Euro. Hohe Absätze sind in Russland en vogue wie eh und je. Immer mehr Mädchen tauschen aber ihre Stilettos gegen Stollen – zur Fußball-WM sind die Rus- sinnen dennoch nicht angereist. Wer in Moskau bleibt oder dort- hin fährt, kann den Sommer auch in vollen Zügen genießen. Wo, ver- rät unser Spezial über Festivals und das Moskauer Clubleben. „Wir diskutieren über Konkretes“ Auch Rabauken können fliegen Auf die Stilettos, fertig, los AP/FOTOLINK LENDER GETTY IMAGES/FOTOBANK FLICKR/SWERZ M. GATHMANN

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die Ausgabe vom 6. Juli 2011 in der Süddeutschen Zeitung

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MITTWOCH, 6. JULI 2011 Die deutsche Ausgabe von Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Rossijskaja Gaseta, Moskau, verantwortlich

Entgrenzend

Mehr Rechtsstaat fordert Joschka Fischer von Russland. Berlin und Brüssel mahnt er: Überwindet die Barrieren!S. 2

„Peter und der Wolf“ hatte hierPremiere, vor 67Jahren. Jetzt mischt ein Jun-ger Wilder die Moskauer Oper für Kinder auf.S. 12

Erfrischend

POINTIERT

Einmal Urlaub in

anderen Breiten

Die Koffer gepackt, die Reisegebucht, ab geht’s in denUrlaub. Der Russe plant

kurzfristig, verpasst die Last-Minute-Angebote und landetdeshalb wieder in Ägypten undder Türkei, die für ihn das sind,was den Deutschen Italien oderMallorca ist. Der Deutsche hat seinen Urlaubschon im Januar gebucht undfl iegt diesmal nach Spanien undin die Karibik. Umso größer istdie Überraschung, wenn er plötz-lich auch dort auf Russen trifft,die ausgelassen und sehr präsentfeiern. Sind die denn überall? Esbleibt nichts anderes übrig als diefriedliche Koexistenz. Und wennRussen wie Deutsche mit ihrenprächtigen Großstadtkörpern bei48 Grad im Schatten die über-füllten Traumstrände zukleis-tern, denken sich beide vermut-lich: „Wär ich doch bloß woan-ders hin in den Urlaub gefahren.“In der Tat: Am Bodensee wie ander Wolga ist es im Sommer soschön und entspannend wie sonstnie. Erholen Sie sich!

[email protected]

Alexej

KnelzCHEFREDAKTEUR

Warum die Russinnen die WM verpassen

Nicht dabei: Julia Sapotnitschnaja (rechts) von Energija Woronesch

Während in Deutschland die Welt-elite des Frauenfußballs um den Titel kämpft, sitzen die Russin-nen auf den Zuschauerrängen. „Den Russen fehlt es an logischer Denkweise und Taktik“, sagt Ma-rina Burakowa vom erfolgreichs-ten Profi club Energija Woronesch,

Viel Kritik musste der Petersbur-ger Dialog im letzten Jahr einste-cken: Inhaltsleere, keine konkre-ten Ergebnisse, Elitetreffen. Am 17. Juli beginnt in Hannover und Wolfsburg der 11. Petersburger Dialog. Ernst-Jörg von Studnitz, ehemaliger Botschafter und Mit-organisator, weist die Kritik zurück, zählt die Erfolge des Dialogs auf und warnt: „Vorsicht mit der deutschen Streitkultur.“

Im Juli geht der Zirkus Upsala auf Deutschlandtournee. Alles fing an mit Bällen und einer Schnapsidee: Die Russin Larisa Afanasjewa und ihre deutsche Freundin stellten Straßenkinder in Sankt Petersburg zum Jong-lieren an die Metroausgänge. Die Jugendlichen sollten Selbstver-trauen lernen – ohne Gewalt. Nach elf Jahren hat der Zirkus ein eigenes Zelt und international mehrere Preise abgeräumt.

WIRTSCHAFT SEITE 3

FEUILLETON SEITE 11

REISEN SEITEN 8, 9

Tourismusindustrie

Petersburg und

Moskau, das war’s

Literatur Dowlatow –

mehr lebendig als tot

Ziele Wolgograd

und der Nordpol für

Kurzentschlossene

INHALT

die mehrere Jahre in Deutschland gespielt hat. Sabrina Esslinger dagegen wechselte 2004 aus Frankfurt nach Woronesch und schwärmt noch heute von den Trainingsbedingungen.

VLADIMIR PONOMAREV

SEITEN 5, 6 UND 7

SEITE 2

SEITE 4

SEITE 10

PDPA

Nein, diese umjubelten Grazien sind keine Models, sondern Leis-tungssportlerinnen: Überall in Russland gehen in diesem Som-mer wieder Hunderte taffe Frau-en bei „High-Heel-Rennen“ an

den Start. Auf neun Zentimeter hohen Absätzen legen sie einen 100-Meter-Sprint hin. Beim Gro-ßen Preis von Moskau am 9. Juli winkt der Siegerin ein Preisgeld von 2500 Euro. Hohe Absätze sind

in Russland en vogue wie eh und je. Immer mehr Mädchen tauschen aber ihre Stilettos gegen Stollen – zur Fußball-WM sind die Rus-sinnen dennoch nicht angereist. Wer in Moskau bleibt oder dort-

hin fährt, kann den Sommer auch in vollen Zügen genießen. Wo, ver-rät unser Spezial über Festivals und das Moskauer Clubleben.

„Wir diskutieren über Konkretes“

Auch Rabauken können fliegen

Auf die Stilettos, fertig, los

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUPolitik

GESPRÄCH ERNST-JÖRG VON STUDNITZ

Vorsicht mit der StreitkulturDER KOORDINATOR DER ARBEITSGRUPPE ZIVILGESELLSCHAFT ÜBER INITIATIVEN UND IHRE UMSETZUNG

Ist der Petersburger Dialog eine

inhaltsleere Feigenblattveran-

staltung? Im letzten Jahr

hagelte es harsche Kritik.

Russland HEUTE hakte bei

einem der Organisatoren nach.

Am 17. Juli beginnt in Hannover

und Wolfsburg der 11. Petersbur-

ger Dialog. Was ist über die

Jahre bei all den Dialogen ei-

gentlich an konkreten Projekten

herausgekommen?

Das prestigeträchtigste Projekt, das aus dem Petersburger Dialog hervorgegangen ist, ist die Stif-tung Deutsch-Russischer Jugend-austausch. Seit 2006 haben mehr als 40 000 Jugendliche an Maß-nahmen des Austauschs teilge-nommen. Ein weiteres Beispiel ist das Jugendparlament, bei dem all-jährlich parallel zum Petersbur-ger Dialog etwa 60 deutsche und russische Jugendliche miteinan-der diskutieren und ihre Ergeb-nisse in einer Plenarsitzung vor der Bundeskanzlerin und dem rus-sischen Präsidenten vortragen. Ein wichtiges Projekt ist die Kooperation deutscher und rus-sischer Mediziner am Koch-Metschnikow-Institut. Momentan steht ein Sozialforum in der Grün-dungsphase. Wir wollen die Zusammenarbeit innerhalb der projektbezogenen Unterstützung Hilfsbedürftiger intensivieren.

Der letzte Petersburger Dialog

wurde dafür kritisiert, dass die

Arbeitsgruppe Medien nur spär-

lich besetzt war. Wird das in die-

sem Jahr anders?

Man darf nicht von einem punk-tuellen Eindruck aus darüber ur-teilen, was insgesamt geleistet worden ist. Anfangs haben wir mit der Diskussionskultur große Schwierigkeiten gehabt. Die deut-

Streiten oder einander zuhören? Angela Merkel und Dmitri

Medwedjew am Rande des Petersburger Dialogs

Ernst-Jörg von Studnitz

Das Gespräch führteAlexej Knelz

Joschka

FischerAUSSENMINISTER A.D.

Was wird der Weg Russlands unter den völlig verän-derten Bedingungen des

21. Jahrhunderts sein? Ist es stark genug, diesen Weg allein zu gehen? Will oder braucht es Partner? Es ist eine wichtige Entscheidung, weil Russland spätestens seit Peter dem Großen immer euro-päischer Faktor war und von den Entwicklungen in Europa zutiefst berührt wurde.Ob dies mehr Distanz zu Euro-pa oder Kooperation bedeutet, diese Entscheidung muss auf bei-den Seiten getroffen werden, aber vor allem in Russland. Eine engere, vertiefte Koopera-tion wäre in gegenseitigem Inte-resse. Die Verbindungen sind in-

MEINUNG

Überwindet die Barrieren!tensiv und offen, haben aber bei Weitem nicht das Niveau erreicht, das erreicht werden könnte. Dies setzt allerdings voraus, dass die Kooperation auf gemeinsamen Werten und Interessen basiert, und nicht auf dem Konzept von Einflusszonen. Interessen muss man offen benennen und Werte ebenso, diese Erfahrung haben wir in der EU gemacht. Und im nächsten Schritt muss man ver-suchen, in Verhandlungen Aus-gleiche und Kompromisse zu fi nden. Die Widersprüche liegen in der gegenseitigen Nachbarschaft. Die souveränen Staaten zwischen Russland und der EU, die Frage nach der Zukunft der sogenann-ten postsowjetischen Ordnung, auch die nach der Zukunft der Ukraine, sind ein Thema, das auf beiden Seiten intensiv diskutiert

wird. Die Zukunft der „eingefro-renen Konfl ikte“ – hier haben wir erlebt, wie schnell ein eingefro-rener Konfl ikt zu einem heißen werden kann. Gleichzeitig sehe ich ein großes wirtschaftliches, gesellschaftli-ches und politisches Potenzial,

wenn wir uns ehrlich begegnen und offen mit den vorhandenen Interessenskonfl ikten umgehen.Die Verzahnung der Ökonomien kann einen wichtigen Beitrag leis-ten. Aber immer öfter höre ich,

dass es Schwierigkeiten bei rus-sischen Direktinvestitionen in Eu-ropa gibt. Eines der Beispiele ist die gescheiterte Übernahme von Opel durch Magna. Das Haupt-problem liegt in den normativen Werteunterschieden und an dem Misstrauen, das in Europa herrscht und sich in einer schweigenden Zurückweisung solcher Investiti-onen ausdrückt. Die EU gründet nicht nur auf Interessen, sondern auch auf gemeinsamen Werten, die funda-mental für unser Selbstverständ-nis sind. Jeder Fortschritt bei Rechtsstaatlichkeit, bei der Unabhängigkeit der Justiz, der Gewaltenteilung, den Menschen-rechten hat positive Auswirkun-gen auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit, weil er Miss-trauen abbaut. Gleichzeitig sehe ich, dass in der Visafrage die Fortschritte, die möglich wären, nicht gemacht werden. Ich fi nde die Haltung der Europäer, vor allem der Deutschen und einiger anderer, extrem kurz-

sichtig. Alle Erfahrungen zeigen,wie wichtig der Austausch, nichtnur von Gütern und Ideen, son-dern von Menschen ist. Es gibt eine große Gruppe, die ineinem ersten Schritt Erleichterun-gen verdient hat, und zwar gegen-seitig. Der zweite Schritt wäreVisafreiheit. Das wird nicht ein-fach unter Gesichtspunkten wieGrenzen und Einreisekontrollen.Aber vor dem Hintergrund derErfahrungen mit den Grenzöff-nungen in Europa halte ich dasfür machbar. Gerade in Zeiten, indenen in der EU eine kleine frem-denfeindliche Partei eine großeRegierungspartei dazu bringenkann, Grenzkontrollen wiederein-zuführen, nur weil das aus wahl-politischen Gründen Erfolg ver-spricht, ist der Einsatz für dieÜberwindung von Barrieren vonentscheidender Bedeutung.

Visafreiheit mit Russland wird nicht einfach, aber nach unserer Erfahrung mit den Grenzöffnungen in Europa ist es machbar.

Petersburger

Dialog

Der Petersburger Dialog wurde 2001 vom damaligen Bundeskanzler Ger-hard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin begrün-det. Das Forum soll die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Länder fördern. Ein Lenkungs-ausschuss, bestehend aus Persönlich-keiten des öffentlichen Lebens, übernimmt die Planung des Ge-sprächsforums und sichert seine Finanzierung. In acht Arbeitsgruppen – Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Bildung, Kultur, Medien, Zukunfts-werkstatt und Kirchen – werden die Schlüsselthemen des deutsch-russi-schen Austauschs diskutiert.

schen Teilnehmer hatten die Hal-tung: „Wir Deutsche wissen alles und werden euch Russen erklä-ren, wie es geht.“ Das ist keine Diskussionsbasis, man muss von den gleichen Ausgangspunkten ausgehen. Seit man das berück-sichtigt, hat die Diskussion sehr an Tiefe gewonnen. Beim kommenden Dialog gibt es den Tagesordnungspunkt „In schwierigen Fragen aufeinander hören lernen“. Man will sensible Themen ansprechen, die für beide Seiten unbequem sind, und gegen-seitiges Verständnis wecken: „Warum vertritt er hier eine an-dere Meinung?“

Stichwort Diskussion: Darf denn

beim Petersburger Dialog über-

haupt gestritten werden?

Das ist eine der Schlüsselfragen des Petersburger Dialogs. Wenn man nicht aufeinander Rücksicht nimmt, auf den anderen zugeht und ihm zuhört, wird man sehr schnell aneinandergeraten und unter Umständen zornig ausein-andergehen. Und genau das Ge-genteil davon erreichen, was man erreichen wollte. Ich halte die For-derung, deutsche Streitkultur

nach Russland zu tragen, für sehr gefährlich: Durch Überheblich-keit kommt man nicht miteinan-der ins Gespräch.

Auf der Teilnehmerliste sowie im

Lenkungsausschuss sind zahlrei-

che Konzerne vertreten, nicht

aber Mittelständler. Kommt der

Mittelstand da nicht zu kurz, oder

ist der Dialog eine Diskussions-

plattform für Eliten?

Der Petersburger Dialog setzt sich aus ca. 200 festen Teilnehmern zu-sammen. Es ist nicht möglich, die ganze Gesellschaft abzubilden, bis hin zu den Hunderttausenden Mittelständlern. Es ist immer nur eine Auswahl möglich, bei der man vielleicht zwei bis drei Mittel-ständler berücksichtigen könnte, dann würden aber zwanzig an-dere kommen und fragen: „Warum sind wir nicht dabei?“ Den Ein-wand, der Petersburger Dialog sei

eine Elitenvereinigung, akzeptie-re ich nicht. Wenn eine Gruppe teil-nehmen will, muss sie sich mit einer guten Initiative an uns wenden. Der Dialog ist dazu da, Initiativen aufzugreifen und umzusetzen. Das Jugendparlament, der Jugendaus-tausch und das Kurt-Metschni-kow-Forum waren Projekte, die aus der Gesellschaft an uns her-angetragen worden sind. Mitma-chen ohne konkrete Vorschläge – das geht nicht.

Im Lenkungsausschuss sitzen den-

noch vor allem ältere Diploma-

ten und Wirtschaftsbosse.

Ich könnte mir vorstellen, dass aus der Jugendwerkstatt junge Men-schen hervorgehen und sagen: „Wir wollen den Petersburger Dialog mittragen.“ Aber es wären zwei von 20, weil wir die ganze Gesellschaft repräsentieren wol-len. Der Petersburger Dialog ist

ein Arbeitsgremium. Natürlichwird auch diskutiert, aber überkonkrete Vorhaben.

Sie sind Koordinator der Arbeits-

gruppe Zivilgesellschaft. Gibt es

denn eine solche in Russland?

Ja, nur hat sie ganz andere Wir-kungsbedingungen. Da ist nochsehr viel Entwicklung zu erwar-ten, denn eine Zivilgesellschafthat sich erst nach dem Ende derSowjetunion gebildet. Defi niertman Zivilgesellschaft als Frei-raum, den der Staat den Bürgernlässt, kann man die russische Seitefragen: „Wie viel Freiraum ge-währt Russland den freien Initi-ativen der Menschen?“

Herr von Studnitz, wir danken Ihnen

für das Gespräch.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag Joschka Fischers, ge-halten am 30. Mai im Deutschen Historischen Institut Moskau.

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Wirtschaft

Prozent der ausländischen Touristen fahren nach Moskau oder Sankt Petersburg.

Millionen Touristen besuchten das Land 2010. Mit etwa 350�000 waren die Deutschen die größte Gruppe.

90

2,1

ZAHLEN

Einmal im Leben hin und wegTourismus Russland belegt im internationalen Reise-Ranking Platz 91. In den Regionen fehlt es an Infrastruktur

WLADISLAW KUSMITSCHEW RUSSLAND HEUTE

Ausländische Touristen kommen

in Russland meist nicht weiter

als bis Moskau oder Sankt

Petersburg. Reiseziele wie der

Baikal bleiben Geheimtipp.

„Noch bis vor Kurzem stellte man sich den typischen Touristen als einen kernigen, nach Lagerfeuer stinkenden Typen mit Wander-schuhen und Rucksack vor“, stellt Sergej Wojtowitsch lakonisch fest. Er ist Generaldirektor des Tou-rismuskonzerns Swoj TT, der ge-rade von TUI Russia & CIS über-nommen wurde.„Doch auch den Politikern dürf-te inzwischen klar geworden sein, dass man durch Tourismus ähn-lich viel Geld ins Land bringen kann wie mit dem Export von Wirtschaftsgütern“, erklärt er. Das Geschäft mit den Fremden beschert Renditen von bis zu zwölf Prozent. Davon profi tieren Staat und Dienstleister aller Couleur.

Ein weißer Fleck auf der touristischen WeltkarteDennoch bleibt Russland ein wei-ßer Fleck auf der touristischen Weltkarte. Im März bewertete eine Reisestudie des Weltwirtschafts-forums die Konkurrenzfähigkeit touristischer Märkte. Im Bereich Investitionen landete die Russi-sche Föderation weltweit auf Platz 91, im Bereich Kultur und Natur dagegen zeigte sie ein enormes Potenzial: Sie kam unter die ers-ten zehn.Auch Nikolaj Kakora, zweiter Geschäftsführer der Intourist, der ehemaligen staatlichen Monopol-Reiseagentur, meint nur ein ge-ringes Interesse ausländischer Touristen an russischen Reisezie-len erkennen zu können. „Klas-sische Reiseländer wie Italien und Spanien sucht man mehrmals in seinem Leben auf. Nach Russland kommt man höchstens ein einzi-

Alles andere in dem riesigen Land werde vom breiten Touristenstrom schlicht ignoriert. „Der Markt ist international hart umkämpft. Wenn wir das Angebot Ökotou-rismus am Baikalsee gegen das Markenimage Nepals, Costa Ricas oder Kenias setzen, hat die Regi-on rund um den See schlechte Karten. Sie ist einfach zu unbe-kannt“, erklärt Wojtowitsch.

Callcenter für TouristenTrotz des schlechten internatio-nalen Abschneidens Russlands bei der touristischen Aufbereitung von interessanten Reisezielen möchten Experten noch lange nicht von einem „weißen Fleck“ sprechen: Moskau und Sankt Petersburg verfügen über eine hervorragende Infrastruktur, so Wojtowitsch. „Wir haben schein-bar schon wieder vergessen, wie es war, als man vor leeren Hotels „Belegt“- Schildchen vorfand und der Rezeptionist einen dazu

freundlich anlächelte. Heute haben wir viele Hotels auf unter-schiedlichsten Niveaus. Weil in Moskau der Sommer als Neben-saison gilt, unterbieten sie sich in den Preisen.“ Zwar sei noch nicht alles in gewohnter Qualität, räumt Wojtowitsch ein, „aber wir holen schnell auf.“ In den Metropolen gibt es deutlich mehr gute 3- bis 4-Sterne-Hotels der gehobenen

Preisklasse als in den Regionen, große internationale Hotelketten legen ein hohes Qualitätsbewusst-sein an den Tag. Laut russischer Statistikbehörde sind die zwei häufi gsten Kritik-punkte ausländischer Touristen

schlechte Verkehrsverbindungenund überhöhte Hotelpreise. Auchwird der in ausländischen Groß-städten übliche Service vermisst,etwa Hinweisschilder auf Eng-lisch, Servicecenter, zentrale Hal-testellen für Sightseeing-Busse,öffentliche Toiletten. „Wir arbei-ten intensiv daran“, erklärt SergejSchpilko. Der Vorsitzende desTourismusausschusses der StadtMoskau will bis Ende Juli ein Call-center für Touristen eingerichtethaben, neue Hinweisschilder wer-den schon bald die Straßen undPlätze zieren.

Die Fußball-WM gibt ImpulseAn touristisch stark frequentier-ten Orten wurden bereits über 30Infoschilder in kyrillischer Schriftund Englisch aufgestellt. Auch istman dabei, das Parkproblem fürAusfl ugsbusse anzugehen. „Wirwerden die Fußball-WM 2018 nut-zen, um Moskau im touristischenSinne neben Städte wie Paris,London und New York zu stellen“,erklärt Schpilko.Dazu wurden in letzter Zeit sogarGesetze geändert. Noch immer istdie lästige Visapfl icht einer derGründe für Touristen, Russlandzu meiden. In Sankt Petersburgtrat nun unlängst ein Gesetz inKraft, das Touristen auf Kreuz-fahrten einen 72-stündigen visa-freien Aufenthalt ermöglicht. Dielegislative Neuregelung hatte so-fortige Auswirkung auf das Rei-severhalten. Der Kreuzfahrttou-rismus nach Russland schnellteum ein Vielfaches nach oben, auchder Fährbetrieb nach Stockholmund Helsinki reagierte mitNeuerungen. Reiseveranstalter haben Russlandin ihre traditionelle Routenpla-nung mitaufgenommen. Reisenausschließlich nach Russland ste-hen noch nicht auf dem Pro-gramm. Stattdessen liest man:„Russland plus Baltikum“ oder„Russland plus Skandinavien“.

Ökotourismus am Baikalsee hat im Vergleich zu Nepal, Costa Rica und Kenia schlechte Karten.

MORITZ GATHMANNRUSSLAND HEUTE

Russland hat zwei Probleme,

besagt ein Sprichwort:

Dummköpfe und Straßen. Einem

der beiden sagen die Bürger

nun den Kampf an.

verkündete, präsentierte Premi-erminister Wladimir Putin stolze Zahlen über die Zukunft des Stra-ßenbaus: Bis zum Jahr 2020 sol-len allein aus föderalen Mitteln 18 000 Kilometer neue Straßen ge-baut werden.An Geld mangelt es nicht, Män-gel weisen eher die Kanäle auf, in denen es verschwindet. Beam-te vergeben Verträge an Firmen, die zwar nicht über Kompetenz, dafür aber über die richtigen Kon-takte verfügen. Und nur selten wird eine Firma zur Verantwor-tung gezogen, wenn die gebaute Straße nach einem Jahr schon wie-der mit Schlaglöchern übersät ist. Das erklärt auch das Paradoxon, das die Zeitschrift Russki Reporter herausgefunden hat: Die Budgets für den Straßenbau stie-gen zwar im letzten Jahrzehnt stetig, die Länge des russischen Straßennetzes stagniert jedoch bei 750 000 Kilometern.

Jeder, der jemals in Russland Auto gefahren ist, kennt sie: die Schlag-löcher, versunkene Kanaldeckel, hervortretende Straßenbahnschie-nen – besonders in der Provinz gehören schlechte Straßen zum traurigen Alltag.Der Anwalt Alexej Nawalny, be-rühmt-berüchtigt für seinen Blog gegen Korruption, ruft nun zum Kampf gegen Schlaglöcher auf. Seine Idee ist ebenso einfach wie genial: Laut russischem Gesetz muss jedes Loch, das mehr als fünf Zentimeter tief ist, sofort repa-riert, der verantwortliche Beam-te bestraft werden. Auf der Seite „rosyama.ru“ („yama“ ist das rus-

Straßenschlachten im InternetInitiative Ein Blogger ruft zum Kampf gegen Schlaglöcher und Gullydeckel

Auf rosyama.ru kämpfen Russen gegen ihr zweitgrößtes Problem.

Goldener Ring von Moskau: Über dem Goritski-Kloster in Jaroslawl muss die Freiheit grenzenlos sein.

sische Wort für Schlagloch) kann man nun das Foto eines Schlag-loches nebst Angabe seiner Lage hochladen. Die Seite generiert eine Beschwerde an das Ordnungsamt – und wenn das Loch nach 37 Tagen nicht ausgebessert ist, ein

Schreiben an die Staatsanwalt-schaft. Die schlaglochmüden Rus-sen reagierten promt: In drei Wo-chen wurden 4189 „Defekte“ ge-meldet – und 201 behoben. Zufall oder nicht: Am selben Tag, als Nawalny den Start seiner Seite

ges Mal zum Kennenlernen.“ Traditionelle Ziele seien Moskau und Sankt Petersburg, einge-fl eischte Russlandfans bereisten gerade noch die Städte des „Gol-denen Rings“ rund um Moskau.

WIRTSCHAFTS-KALENDER

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DEUTSCH-RUSSISCHE

KONFERENZ „LOGISTIK DER

WOLGA-REGION“

5./6. SEPTEMBER, NISCHNIJ NOWGOROD

Die Deutsch-Russische Auslands-handelskammer lädt Spediteure, Retailer, Logistiker und Consulter in die Wolga-Metropole.

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INTERNATIONALES

INVESTITIONSFORUM SOTSCHI

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Die Handelskammer Sachsen-An-halt unterstützt Firmen bei der Teil-nahme am Investitionsforum im südrussischen Sotschi, wo 2014 die Olympischen Spiele beginnen.

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUSport

Stollen statt StöckelFrauenfußball-WM Die russische Frauenelf kickt beherzt, jedoch mangelt es ihr an Strategien und Struktur

FK Energija Woronesch begegnet den Moskauerinnen von Ismailowo.

HEIDI BEHAEXKLUSIV FÜR RUSSLAND HEUTE

Deutschland ist im Frauen-WM-

Fieber, die russische Nationalelf

ist wie schon 2007 nicht dabei.

Das hat einen Grund: Nur eine

kleine Elite spielt Fußball, es

mangelt an Vereinen.

Russinnen sind bekannter für ihre schwindelerregenden High Heels als für Fußballschuhe mit Nocken. Kristina Zdor aus der westrussi-schen Stadt Woronesch träumt trotzdem von einer Fußballkar-riere und vom großen Geld. Ein Gegensatz, könnte man meinen, denn Frauenfußball gilt in Deutschland als wenig lukrativ. Doch in Russland ist das anders. Mit 3000 Euro monatlich würde das Einkommen der 18-Jährigen weit über dem russischen Durch-schnitt von 500 Euro liegen. Ihre Karriere als Profi kickerin bietet echte Aufstiegschancen für Kris-tina, die mit ihren Eltern und Ge-schwistern zwischen Plattenbau-wohnung und Schule Nummer 74 das Leben eines russischen Durch-schnittsbürgers fristet. Der große Ansturm auf Frauen-fußballvereine ist bisher ausge-blieben. Zdors Freundinnen gehen lieber in Cafés und zum Shoppen. In Russland spielen bei 143 Mil-lionen Einwohnern etwa 30 000 Frauen und Mädchen Fußball. „Davon sind nur 2000 in Vereinen registriert“, beklagt Jekaterina Dmitriewa vom russischen Fuß-ballverband. Zum Vergleich: In Deutschland kicken eine ganze Million Frauen zum Spaß und in Vereinen. Nur gut 50 russische Fußballclubs stellen überhaupt Frauenmann-schaften, eine systematische Ju-gendarbeit gibt es nicht. Während der Spiele vom FK Energija Wo-ronesch sagt der Stadionsprecher immer wieder Telefonnummern von Jugendtrainern durch. Hän-deringend werden Nachwuchsta-lente gesucht und sollen sich bei ihnen melden. „Wir wollen künf-tig nach Altersgruppen gestaffel-te Teams zusammenstellen“, sagt Swetlana Sajenko, Sprecherin von Energija Woronesch. In Deutsch-land ist das längst Standard.

Platz 20 in der FIFA-RanglisteUnter diesen ungünstigen Bedin-gungen hat sich der russische Frauenfußball kaum weiterent-wickelt. „Junge russische Talente wollen keine Erfahrungen im Aus-land sammeln, weil sie dort weniger verdienen“, sagt Marina Burakowa, 250-fache russische National- und ehemalige Bundes-ligaspielerin. Umgekehrt kann es für ausländische Spielerinnen sehr lukrativ sein, bei einem russischen Club anzuheuern.Zum Beispiel für die Deutsche Sabrina Esslinger. Die Zweitliga- und Jugendnationalspielerin hat bei Energija Woronesch für ein Jahresgehalt von 40 000 Euro plus Prämien gespielt und gute Erfah-rungen gemacht: „Das Spiel der Russinnen ist körperbetonter, und es wird mehr Wert auf Fitness ge-legt“, sagt sie. Auch Jahre nach ihrer Legionärszeit schwärmt sie von den Trainingsbedingungen bei Energija: vereinseigenes

Von Frankfurt nach Woronesch

Woronesch werden großzügig vonder jeweiligen Regionalregierungunterstützt, sorgen sie doch fürdas Ansehen ihrer Heimatregion,unbekanntere Clubs müssenkämpfen.Ein großes Leistungsloch klafftzwischen Profi liga und Regional-ligen. Und selbst in der Profi ligatreffen manchmal allzu ungleicheGegner aufeinander wie Ende MaiRjasan WDW auf FK Energija. Dieerste Halbzeit dehnte und dehn-te sich, die Dominanz Energijaswurde immer unerträglicher. Nacheinem Foul bekamen auch die Rja-sanerinnen einmal den Ball.Ergebnis: 3:0 für Energija.

Lasst die Frauen kicken!Es gibt wenige, dafür aber umsoerfolgsverwöhntere Fans des FKEnergija Woronesch. Mit Rechtkönnen sie auf die männlichenKollegen der Stadt herabblicken:FK Fakel Woronesch dümpelt amTabellenende der zweiten russi-schen Liga. „Die Frauen zeigenaggressiven und vor allem schö-nen Fußball“, erklärt der Grün-der des Energija-Fanclubs „CrazyEnergy“ Konstantin Kolpakow.Seine Mitglieder sind überwie-gend männlich und nicht beson-ders zahlreich, zu Spielen im35 000-Zuschauer-Stadion kom-men in der Regel ein paar Hun-dert Besucher zusammen.Auf den Schals der Energija-Fansist nach fünf Meisterschaften undsieben Pokalsiegen kaum nochPlatz. Manche Zuschauer in Wo-ronesch wie Juri Gladyschewgehen nur aus einem Grund zuden Frauenspielen: „Die Angrif-fe sind langsamer, es fehlt einwenig an Spannung, aber das Er-gebnis stimmt.“ Darum heißt esin Woronesch, wenn die Männervon Fakel wieder einmal schlechtgespielt und verloren haben: „Lasstdoch das nächste Mal Energijaaufl aufen!“

Heidi Beha ist Lektorin derRobert-Bosch-Stiftung in Woro-nesch. Zu Hause kickt sie für ihrenHeimatclub SV Titisee.

In Fahrt: Die deutsche Babett

Peter (r.) wird von der Russin

Elena Morozova (l.) gestoppt.

2004 wechselte Sabrina Esslinger mit 17 Jahren vom FFC Frankfurt für eine Saison zu FK Energija Woronesch. Sie war damals Jugendnationalspielerin, Russland kannte sie nur aus dem Atlas. Jetzt hat sie eine zweite Familie in Woronesch, und den Cheftrainer Ivan Saenko nennt sie „Papa“. Erst im März war Sabrina Esslinger mit Ener-gija im Trainingslager in der Türkei, hat sich aber aus familiären Gründen gegen einen erneuten Wechsel nach Woronesch entschieden – vorerst. Nach ihrer Babypause trainiert sie wieder bei der TSG 1899 Hoffenheim und wird als Stürmerin in der Oberliga Baden-Württemberg für Tore sorgen.

Internat, zweimal täglich profes-sionelles Training, sehr gute Teamarbeit, um zehn Uhr abends Bettruhe. Trotzdem steht Russland nur auf Platz 20 der Weltrangliste. „Die meisten deutschen Fußballspie-lerinnen gehen den ganzen Tag einer Arbeit nach und sind dann noch besser als unsere Profis“, klagt Marina Burakowa, die eine Saison als Innenverteidigerin in der Bundesliga und im DFB-Po-kal beim FFC Flaesheim-Hillen gespielt hat. Russinnen hätten die falsche Einstellung zum Fußball, mutmaßt sie und zitiert den Dich-ter Fjodor Tjutschew: „Verstand wird Russland nie verstehn.“

Training ohne PlanIhrer Meinung nach liegt es an der russischen Mentalität, dass sich der Frauenfußball anders als in Deutschland entwickelt: „Den Spielerinnen fehlt es an logischer Denkweise und Taktik. Außerdem gehen junge Talente nicht konse-quent und kontinuierlich ihrem Training nach.“ Was im deutschen Fußball schon bei der Kleinfeld-staffel in der Kreisliga verteilt wird, fehlt: ein simpler Trainings-plan. Meist erfahren die Spiele-rinnen, auch die der Profi liga, erst einen Tag vorher von der nächs-ten Trainingseinheit.

„Die meisten deutschen Fußballerinnen arbeiten den ganzen Tag und sind dann noch besser als unsere Profis.“

Nicht zuletzt seien auch Luft-verschmutzung und schlechte Ernährung ein Problem, das die Entwicklung junger Sportlerin-nen negativ beeinfl usse. „Solange unsere Gesellschaft nicht um-

denkt und mehr Wert auf Umwelt-schutz und Gesundheit legt, wer-den es junge Sporttalente im internationalen Vergleich immer schwer haben“, sagt Burakowa. In Sachen Gleichberechtigung geht Russland voran: Frauenver-eine wie Energija Woronesch oder Zwezda 2005 Perm tragen ihre Ligaspiele selbstverständlich in den großen Stadien aus. In Deutschland ist ihnen ein solches Forum nicht vergönnt: Dort ist es unvorstellbar, dass etablierte Männervereine ihren Frauen-mannschaften regelmäßig das Sta-dion überlassen. Frauenfußball genieße in Russ-land dennoch kein besonders hohes Ansehen, sagt Michail Sol-datow vom Profiverein Rjasan WDW. „Der persönliche Einsatz von einer Handvoll Powerfrauen sorgt dafür, dass es ihn überhaupt gibt“, sagt er. Wer in Russland als Mädchen oder Frau Fußball spielt, sei eine Exotin. Für eine günsti-gere Entwicklung bedürfe es mehr Förderung durch den russischen Fußballverband und den Staat, ist Soldatow überzeugt. Der Verband teilt diese Meinung, verweist aber auf seine prekäre fi nanzielle Lage. Vorzeigevereine wie Rjasan WDW und Energija

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Freizeit

Pack die Batikhose einOpen Air Auf dem „russischen Woodstock“ suchen viele, was sie im Alltag nicht finden: Freiheit und Kreativität

Tanzen bis in die Morgenstunden, Jam-Sessions unter freiem Himmel oder einfach nur die Sonne anbeten – das ist das Lebensgefühl auf dem Festival Pustyje Holmy.

ANASTASIA GOROKHOVARUSSLAND HEUTE

Aus 300 wurden 40�000: Dieses

Jahr hat sich der lange Weg in

die „kahlen Berge“ gelohnt. Bei

strahlendem Sonnenschein tra-

fen sich Konsummüde auf dem

Open Air südlich von Moskau.

Die Sonne ist gerade über dem Birkenwäldchen aufgegangen, der Morgennebel hängt noch über den Wiesen, da kriechen die Ersten aus ihren Zelten. Neben einem In-dianer-Tipi sitzt ein kahlrasierter Mann, Oberkörper nackt, Beine überkreuzt, Arme ineinander ver-fl ochten. Er sitzt kerzengerade, als wolle er in den Himmel wachsen, und dorthin zeigt auch das Pla-kat neben ihm: „Finde dich selbst“.Ein paar Meter weiter: bunter Holzstand, dahinter ein gleich-falls bunt gekleidetes Mädchen mit langen Dreadlocks. Es verkauft Pu-Erh-Tee und vegane Kokoskugeln. Im Gras schnarcht ein friedlich lächelnder Hippie mit ausrasiertem Peace-Symbol. Will-kommen auf den Pustyje Holmy – den „kahlen Bergen“ –, einem Fest der Liebe, Toleranz und Naturnähe.

Urlaub vom KapitalismusJedes Jahr um den 12. Juni, wenn das restliche Land den „Tag Russ-lands“ begeht, machen sich aus Moskau und Sankt Petersburg, aus der Ukraine und Weißruss-land buntgemischte Karawanen mit Schlafsäcken, Zelten, Gitar-ren und Trommeln auf den Weg. Ihr Ziel: die Region Kaluga, 200 Kilometer südwestlich von Mos-kau. Im neunten Jahr des Festi-vals, bei strahlendem Sonnen-schein, waren es an die 40 000 Menschen – Festival-Rekord.Die Pustyje Holmy haben so gut wie nichts mit dem alltäglichen Leben zu tun: Man geht nackt spa-zieren und baden, Polizisten gibt es nicht, keine Häuserschluchten und Großstadtsmog. Aber das Wichtigste im neokapitalistischen Russland ist: Das Festival ist un-kommerziell. Kein Eintritt, keine Sponsoren, keine Werbung. Die

Rocken in der Natur – Open-Air-Kultur in Russland

Die Geschichte der Open Airs in Russ-land geht bis in die sowjetischen 60er-Jahre zurück: 1968 wurde das Gruschinskij Festival begründet. Bald kamen über 100�000 Besucher, um in der Natur bei Samara die wichtigsten Liedermacher des Landes zu hören. Anfang der 80er wurde das Festival für sechs Jahre verboten.In den letzten Jahren riefen Anhänger von Jazz, Rock, Techno und Volksmu-sik Dutzende Open Airs ins Leben, fast jedes Wochenende von Mai bis Herbst findet nun ein Fest unter frei-em Himmel statt. Das größte unter ih-nen, das Rockfestival Naschestwije, versammelt seit zehn Jahren immer Anfang Juli unweit des Dorfes Bol-schoje Sawidowo die besten russi-schen Rockbands und beschert über

100�000 Musikliebhabern drei unver-gessliche Tage. Elektro-Fans bevorzu-gen das Republik Kazantip. Was 1992 mit einem Windsurf-Wettbewerb auf der Halbinsel Krim begann, ist zu ei-

nem riesigen, kommerziellen Open Air geworden – nicht nur für Ukrainer. Pustyje Holmy dagegen ist das größte nichtkommerzielle Hippie-Open-Air der Russischen Föderation.

trokabel verlegt werden, Sound-technik wird angekarrt – auf ei-nigen der Bühnen ist die Akustik ausgezeichnet. 500 ehrenamtliche Helfer machen das alles möglich. „Das ganze Fest ist so anziehend, weil die ihre Sache mit Enthusiasmus und Liebe anpacken. Diese Stimmung teilt sich auch den Besuchern mit. Sie spüren die Ehrlichkeit“, sagt Andrej Schwirblis, einer der Or-ganisatoren, die mit dem Festival groß geworden sind.

Keltenrock und RussenjazzDrei Millionen Rubel (75 000 Euro) müssen sie von Jahr zu Jahr aus-legen. Das Geld versuchen sie durch Spenden und Standmieten sowie Benefi zkonzerte in Moskau wieder hereinzubekommen.Das Festival sei Ergebnis der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahr-zehnts, meint Schwirblis: „Einer-seits ist der Wohlstand gewach-sen. Andererseits kommen viele, die des Konsums müde sind und nach Alternativen und neuen Le-bensperspektiven suchen.“Schwirblis selbst ist im wirkli-chen Leben Pressesprecher der Russischen Gesellschaftskammer.

Morgens geht er mit Anzug undKrawatte ins Büro. Kommt aberdie Zeit der kahlen Berge, machter sich mit Hammer und Nägelnauf den Weg in die Natur. Auf insgesamt sieben Bühnen wirdhier bis in die MorgenstundenMusik gemacht: von keltischenKlängen über russischen Ethno,Elektro, Jazz und Rock. Was dieMusiker verbindet – man wird siewohl kaum auf MTV sehen. Es gibtWorkshops zu allen möglichenThemen: Trommeln, Feuerakro-batik, Bemalen von Lebkuchen,traditionelle russische Keramikoder Sandanimation. Auch einenAbenteuerspielplatz haben dieHelfer ins Leben gerufen, weilviele Besucher inzwischen ihreKinder mitbringen.

Keine Drogen, kein FleischÖko-Aktivisten haben in diesemJahr ihr eigenes vegetarisches Caféeingerichtet, am Torbogen zuihrem Zeltlager ist zu lesen: „KeinAlkohol, keine Drogen, keinFleisch“, außerdem der Aufruf,nicht zu vergessen, Müll zu tren-nen. Er wird auf dem gesamtenGelände befolgt – ein Novum inRussland. Alkohol und Marihua-na werden dafür in rauhen Men-gen konsumiert. Die „alten Hasen“ des Festivals –die meisten noch unter 30 –beklagen, dass inzwischen vieleFeierabendhippies kommen: „ZuHause arbeiten sie als Büroleiter,hier ziehen sie ihre Schuhe ausund wandeln in weiten Batikkla-motten und mit Räucherstäbchenüber Blumenwiesen“, sagtSchwirblis, der es im Prinzip ge-nauso macht. Das ändere abernichts an der Grundidee des Fes-tivals, „die Menschen daran zuerinnern, was es im Kern heißt,kreativ zu handeln und frei zudenken.“ Gegen Morgengrauen tanzen undsingen auf der Ethnowiese nochimmer Menschen in langen Ge-wändern um ein Lagerfeuer. Einjunger Mann mit geflochtenenZöpfchen und einem grünen Rockschaut begeistert zu. In einerWoche muss der Jurist wieder zu-rück in sein Büro in Moskau.

Bei Nacht geht das Feiern in engem Kreis am Lagerfeuer weiter.

Kommt die Zeit der kahlen Berge, macht er sich mit Hammer und Nägeln auf den Weg in die Natur.

Bands aus ganz Russland, Weiß-russland und der Ukraine spielen gratis. Wochen vor Festivalbeginn lau-fen die Vorbereitungen an. Helfer bauen Bühnen und Essensstände. Das Festivalgelände breitet sich zwar idyllisch an den Ufern eines kleinen Flusses aus, liegt aber fern jeder Stromversorgung. Genera-toren müssen aufgestellt und Elek-

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUDas Thema

ALEXEJ KNELZRUSSLAND HEUTE

Absätze, Alkohol, nackte Haut:

Nirgendwo wird so exzessiv und

konsumorientiert gefeiert wie in

Moskau. Gleichzeitig entstehen

neue Partytrends, die den

Tanzstiefel umdrehen können.

LEOPARDENRÖCKE UND FACE CONTROL

EIN STREIFZUG DURCH DIE PARTYSZENE MOSKAUS ENDET

BEIM TÜRSTEHER – ODER AM NÄCHSTEN MORGEN

FEIERN IN DER HAUPTSTADT

Nachtleben in Moskau: Russland HEUTE besuchte für Sie die Moskauer Partyszene

CLUB SOHO ROOMS

MUSIK POPPIGER HOUSE

CLUB ROOFTOP

MUSIK MINIMAL, TECHNO

CLUB ARMA 17

MUSIK HOUSE, TECHNO

CLUB SOLYANKA

MUSIK NEW WAVE BIS SCHRANZ

CLUB PROPAGANDA

MUSIK PARTYABHÄNGIG

Der Stereotyp des Moskauer Nachtle-bens: Oligarchen, künstliche Blondi-nen und schwarzer Kaviar zu schlech-tem Eurohouse. Die Einlasskontrolle ist streng: Wer in den Glamour-Zoo reinwill, muss sehr reich aussehen und sein: Ein Wodka kostet 20 Euro.

sohorooms.com ›

Das „Dach der Welt“ liegt am Ufer der Moskwa. Musik vom Feinsten, Publi-kum dekadent-entspannt. Feiern bis zum Nachmittag bei happigen Preisen (Cocktails ab 15 Euro). Wer pleite ist, dem schenkt Barkeeper Andrej, mit unzähligen Piercings und Tattoos eine Attraktion für sich, kostenlos nach.

Der europäischste Club Moskaus. Der Einlass ist moderat, man zahlt Eintritt. Die Technogrößen Marco Carola oder Ricardo Villalobos legen regelmäßig auf. Die Soundanlage von Funktion One bringt die Werkhalle der alten Konservenfabrik zum Beben.

arma17.ru ›

In der Hipster-Hochburg holen die 18- bis 22-Jährigen die komplette Musik-geschichte des 20. Jahrhunderts nach: Auf Schmalzgedudel folgt gern mal harter Techno, die Menge feiert jede Party wie die letzte ihres Lebens. Glam & Glitter sind hier tabu.

s-11.ru/english ›

Evergreen seit 1997. Tagsüber ein Res-taurant, werden um 23 Uhr die Tische geräumt, dann wird getanzt, bis sich die Dielen biegen. Das „Propka“ hat täglich geöffnet und ist immer prop-penvoll. Die Einlasskontrolle ist loyal, die Alkoholika sind billig.

propagandamoscow.com ›

Samstagnacht, null Uhr. Eine warme Juninacht vor der Nobeldisco Rai („Paradies“) auf dem Gelände der legendären Scho-koladenfabrik Krasnyj Oktjabr. Entlang der Moskwa-Uferstraße zieht eine Prozession großmoto-riger BMWs und klappriger Ladas. Glamouröse Mädels auf schwin-delerregenden Absätzen, die meis-ten knapp über 18, stolzieren zum Tor des Rai, des größten Clubs Moskaus. Wladimir „Face Con-trol“ hält am Eingang ein Mäd-chen an. „Wohin soll’s denn gehen?“, will er wissen. „Meine Freundin und ich wollen in die VIP-Lounge“, sagt es selbstbe-wusst mit hocherhobenem Haupt. „Nur wenn ihr einen Tisch reser-viert habt.“ Ihr Freund hat tags zuvor die 1250 Euro für die Re-servierung bezahlt, sie darf rein, zusammen mit der Freundin in Leopardenrock und High Heels. Die Clubs finanzieren sich aus Tischreservierungen im VIP-Be-reich (zwischen 200 und 5000 Euro) und Erlösen aus dem Getränkeverkauf.

Sonntagfrüh, 4 Uhr 38. Der Morgen dämmert. Vor dem Rai feilschen die Gäste mit den Schwarztaxifahrern über den Preis, im Rooftop fängt die Party erst an: Die Location ist ähnlich: Moskwa-Ufer, verlassenes Fabrik-gebäude. Innen herrscht aber ein ganz anderes Ambiente. Statt face control gibt es Gästelisten, statt klassizistischem Kitsch alte Back-steinmauern. Musikalisch werden fauchende Technobeats serviert. Die Besucher sind im Schnitt zehn Jahre älter als im Rai, die meis-ten über 30, die Damen stylischer, aufmüpfi ge Leopardenröcke und überdimensionierte Stöckelschu-he sind rar. Ein Wodka-Bull kos-

tet dreizehn Euro. Heute spielt Pan Pot, ein Technoduo aus Ber-lin. Um kurz vor fünf stellt sich Tassilo endlich ans Mischpult. Die Menge atmet unisono auf und geht zu den minimalistischen Grooves ab. Zum zweiten Mal legt Tassilo nun im Rooftop auf: In Russland sei die Technoszene relativ jung, sagt er, aber sie entwickle sich ra-sant. „Moskau und Sankt Peters-burg sind voll dabei!“

Ende der 1990er-Jahre öffneten in Moskau die ersten Großclubs ihre Pforten. Die konsum- und partysüchtige Klientel sprang auf den Feierzug auf. Durchtanzen bis in den späten Vormittag war in, jede mittelprächtige Fete wurde pompös mit Go-go-Girls und MCs (Masters of Ceremonies) beglei-tet, das Publikum war scharf auf Überraschungen: von schwingen-den Glamour-Engeln bis zu Kä-fi gen mit echten Tigern, die über dem Dancefl oor baumelten.

Moskauer PartywurzelnNachhaltigkeit war der Szene fremd: Die Clubs schossen wie Pilze aus dem Boden, mussten aber nach ein bis zwei Jahren oft wie-der schließen. Manche gingen mysteriös in Flammen auf: An-fang 2008 brannte das Djagilew ab, fast schon das Moskauer Stu-dio 54, zwei Jahre später das Opera.Heute haben die Partys an Ex-travaganz verloren. Die Menschen haben sich sattgetanzt und wol-len dezent und zielgerichtet unterhalten werden. Statt der Vor-gabe von Clubs zu folgen, geben sie selbst den Ton an. Über Com-munities und soziale Netzwerke sucht man sich online die Party aus. „Früher waren die Partys wirklich bunter, heftiger und aus-gelassener“, bestätigt Andrej Sai-ler, musikalisches Mastermind von Solyanka. Der Club gibt heute den

Tanzend durch das Moskauer Wochenende: Schon am Donnerstag geh

Die Clubs schossen wie Pilze aus dem Boden, verschwanden aber schnell wieder. Manche gingen in Flammen auf.

Tassilo vom Technoduo Pan Pot:

„Moskau ist voll dabei.“

Ton unter den jugendlichen Trend-settern und Neoyuppies an. Er wurde nicht nach schon einem Jahr geschlossen, denn während andere Locations kommerziell richtig hinlangen, stehe bei Soly-anka ein anderes Konzept im Vor-

dergund: „Das Wichtigste ist dieMusik, durch die wir angenehmeMenschen anziehen wollen.“ An-genehm heiße intelligent und gutdrauf, die Klamotten seien Ne-bensache. Auch bei der Musik legtman sich nicht fest: „Wie der Name„Solyanka“ schon sagt – wir sindwie die russische Suppe, in diealles reinkommt, was man fi ndet“,lacht Andrej.Die Betreiber haben sich ein lang-fristiges Ziel gesetzt: „Wir wolleneinen Club schaffen, den man auchinternational wahrnimmt.“ MitTanzlokalen wie dem Rai will mannichts zu tun haben: „Bei denengeht es doch nur um Geld undnackte Haut. Wir dagegen spre-chen Moskauer an, die das Beson-dere suchen.“

Russland HEUTE: Die deutsche Ausgabe von Russland HEUTE erscheint als Beilage in der Süddeutschen Zeitung. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion der Tageszeitung Rossijskaja Gaseta, Moskau, verantwortlich. Verlag: Rossijskaja Gaseta, ul. Prawdy 24 str. 4, 125993 Moskau, Russische Föderation. Tel. +7 495 775-3114 Fax +7 495 988-9213 E-mail [email protected]

Herausgeber: Jewgenij Abow; Chefredakteur deutsche Ausgabe: Alexej Knelz; Gastredakteur: Moritz Gathmann; Webredakteur: Makar Butkow; Anzeigen: Julia Golikova, Gesamtanzeigenleiterin, +7 495 775-3114Produktion: Milla Domogatskaja, Produktionsleitung; Irina Pavlova, layout;

Andrej Sajzew, Bildbearbeitung; Wsewolod Pulja, Chef vom Dienst für Online; Dr. Barbara Münch-Kienast, ProofreadingDruck: Süddeutscher Verlag Zeitungsdruck GmbH, Zamdorferstraße 40, 81677 München; Verantwortlich für den Inhalt: Alexej Knelz, schützenweg 9, 88045 friedrichshafenCopyright © FGU „Rossijskaja Gaseta“, 2011. Alle Rechte vorbehalten.Aufsichtsratsvorsitzender: Alexander Gorbenko; Geschäftsführer: Pawel Negojza; Chefredakteur: Wladislaw Fronin Alle in „Russland HEUTE“ veröffentlichten Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion.

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Das Thema

LANDWIRTSCHAFTWie man das Kolchosenerbe ablegte, wer in

die Landwirtschaft investiert und was deutsche

Bauern in Russland machen.

Thema der nächsten AusgabeNoch frischer als aus dem Druck – das Russland HEUTE E-Paper

russland-heute.de/e-paper

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Ein Kontrastprogramm zum heißen Nachtleben und zu Open-Air-Festivals ist Moskaus grüne Lunge: die weitläufi-gen und intimen Gärten und Parks.

IM BLICKPUNKT

Lesen Sie den Beitrag aufwww.russland-heute.de

wie hier die Ministry-of-Sound-Party im Club Arma 17.

EMMA BURROWSFÜR RUSSLAND HEUTE

Aus sowjetischen Abfütterungs-

betrieben wurden in den 90er-

Jahren luxuriöse Edelrestau-

rants. Heute achtet Moskaus

Restaurantszene auf

Abwechslung und Qualität.

Zu Sowjetzeiten war Essen eher Nahrung, Massenware für Men-sas und Betriebskantinen – außer der anspruchsvollere Bürger baute in seinem Datscha-Garten selbst das Gemüse an. An ausländische Spezialitäten war nicht zu den-ken, die Kopien waren schlecht. „Den Sowjet-Kaffee konntest du nicht trinken, das Hackfl eisch für die Hamburger weichte man vor-her im Wasser ein“, schaudert es Iwan Schischkin, Koch im Mos-kauer Restaurant Delicatessen.

1989 und die KettenreaktionWahrscheinlich war es 1989 aus-gerechnet die erste McDonald’s-Filiale, die Qualitätsmaßstäbe für andere Restaurants setzte. Die rie-sige Schlange vor dem Lokal war länger als die ins Lenin-Mauso-leum am Roten Platz, der durch-schlagende Erfolg ließ einheimi-sche Fast-Food-Ketten aus dem Boden schießen. Ende der 90er-Jahre kamen die ersten Luxusrestaurants für Neu-reiche und Oligarchen, Etablisse-ments wie das Turandot oder das beliebte Café Puschkin. Für das pompös aufgemachte Noblesse-Lokal im klassizistischen Stil ließ der Deluxe-Gastronom Andrej Dellos die Stadtvilla des Kompo-nisten Rimski-Korsakow umbau-en. Vom Architekturdenkmal, das an den Favoriten Katharinas der Großen erinnerte, blieb nur die Fassade.„Diese Restaurants waren die ers-ten Jahre nach 2000 sehr erfolg-reich“, erzählt Schischkin, die Zeit sei vom „Mangel an Verständnis für gutes Essen“ geprägt gewe-sen. Damals ging es nur darum, richtig viel Geld auszugeben. Heute sei alles anders. „Sich mit seinem ganzen Schmuck zu be-hängen, auszugehen und mit Geld um sich zu werfen, das gilt als ex-trem vulgär.“ Mittlerweile inte-ressieren sich die Russen eher für

Mehr als griechischer SalatGastronomie Der Maßlosigkeit der 1990er folgt nun Understatement

Von der Dekadenz zum Hausgemachten: Noch vor fünf Jahren

schlemmte man bevorzugt im Turandot (oben). Heute kocht man

selber: im Rahmen der exklusiven Kochkurs-Events (unten).

unterschiedliche Küchen und raf-fi niert zubereitete Speisen. Schi-schkins Restaurant Delicatessen und andere richten sich an ein weltläufi ges Publikum, das etwas vom Essen versteht. Laut Schischkin herrscht in die-sen Restaurants eine intime,

zwanglose Atmosphäre, in der sich der Gast entspannt und wohlfühlt. „Der Gast von heute ist anspruchs-voll“, sagt Schischkin. Im Delica-tessen bewirten die vier Besitzer gemeinsam mit dem Personal ihre Gäste. Hier isst man gut, aber zu vernünftigen Preisen. Laut Ian Zilberkweit, Geschäfts-führer der Bäckerei-Kette Le Pain Quotidien in Moskau, hat der Wettbewerb unter den Restaurants die Esskultur in der Hauptstadt verbessert. Auch die jüngste Wirt-schaftskrise habe dem Geschäft gutgetan: „Die Russen wollten ihr Geld nicht mehr in schlechten Lo-kalen lassen, lieber haben sie hochwertige Produkte gekauft und sich zu Hause selbst ver-wöhnt“, so Zilberkweit. Sein Um-satz stieg um 30 Prozent.Doch eines ist noch immer schwer zu erreichen: Kontinuität und

guter Service. „Das ist das Aller-schwierigste hier in Russland“,sagt Zilberkweit, „es ist noch nichtangekommen, dass der KundeKönig ist.“ So sieht es auch IwanSchischkin: „Im Gegensatz zuRussland kann man in Europasicher sein, dass Essen und Be-dienung im Rahmen sind, egal woman hingeht.“ In Russland sei esdagegen wie im Lotto. „Wenn dasEssen in einem Lokal zweimal gutwar, heißt das noch lange nicht,dass es das beim nächsten Malauch ist. In Moskau muss man wis-sen, wo man hingeht.“

Die Klassiker variierenDennoch hat Moskau auf dem Ge-biet der Gastronomie rasant auf-geholt. Ermutigend ist die Tatsa-che, dass der neue Trend zuzwanglosem Essen in angenehmerAtmosphäre nicht zum Abkupferneuropäischer Gerichte geführt hat.Der Wettbewerb inspiriert Gast-ronomen, Neues und Eigenes aus-zuprobieren. Daher findet mannun häufig moderne Variantenrussischer oder europäischer Klas-siker auf der Speisekarte – undnicht nur den allgegenwärtigengriechischen Salat nebst italieni-scher Pizza. Das letzte zu erobernde Terrainin der Moskauer Restaurantszenescheint noch das „Take-away“ zusein: Ohne Zweifel wird manschon bald unter „Essen zum Mit-nehmen“ nicht mehr den Hot Dogvom Imbissstand verstehen.

Heute interessieren sich die Russen eher für unterschiedliche Küchen und raffiniert zubereitete Speisen.

ANASTASIA GOROKHOVARUSSLAND HEUTE

Usadba Jazz, „Jazzanwesen“,

heißt das hochwertige Open-

Air-Festival vor den Toren

Moskaus, auf dem sich die

Jazzszene bei einem interna-

tionalen Programm begegnet.

Gegenüber dem nächtlichen Tohuwabohu von Russlands Hauptstadt setzt sich das Festival Usadba Jazz wohltuend ab. Schon wegen seines Veranstaltungsor-tes Archangelskoje lohnt sich der Besuch. Jedes Jahr Anfang Juni fi ndet es auf diesem fürstlichen Landsitz statt, der an das Ver-sailles des Sonnenkönigs Ludwig XIV. erinnert. Binnen acht Jah-ren hat sich das Festival von einer PR-Kampagne zu einem der be-

Jazz auf den Wiesen von Moskaus Versailles

deutendsten kulturellen Großer-eignisse des Moskauer Sommers gemausert. Auf der Speisekarte des Festivals wurde in diesem Jahr Jazz and more angeboten: inter-nationaler und russischer Jazz (Robert Glasper, Sergey Zhilin ...), Funk und Indie-Pop (Tesla Boy) oder Bands wie Nino Katamadze & Insight, die einheimische Folkloreelemente mit Acid Jazz mixen. Parallel gibt es Ausstel-lungen freier Künstler, Events für Kinder, Trödelmärkte und impro-visierte Cafés. Trotz der stolzen Preise (zwischen 30 und 90 Euro) kamen dieses Jahr fast 40 000 Be-sucher zusammen. Der Erfolg hat Festivalchefi n Maria Semushki-na ermuntert, das Fest für Jazz-freunde auch in Sankt Petersburg zu etablieren (2., 3. Juli).

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8 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUReisen

Anreise Über Moskau gibt es mehr-mals täglich Flugverbindungen nach Wolgograd. Direktflüge

von München aus bucht man über Rusline. Wer Zeit hat, kann vom Mos-kauer Pawelezki-Bahnhof auch einen Nachtzug nach Wolgograd nehmen: Ankunft ist 17 Uhr am nächsten Tag.

UnterkunftHohen Komfort bietet das Ho-tel Intourist (DZ ab 140 Euro; www.volgograd-intourist.ru),

Ausblicke auf die Wolga dagegen das Hotel Finans Jug in den oberen Eta-gen eines Hochhauses (DZ ab 65 Eu-ro; Uliza Kommunistitscheskaja 40).

Essen & Trinken Das deutsche Restaurant Bamberg braut eigenes Bier und überrascht am Abend mit

Livemusik (www.bamberg-beer.ru). Sibirische Teigtaschen (Pelmeni) gibt es im Pelmen-Café (Uliza Sowjetskaja 15), den besten Schaschlik im TV Café Swetlana (neben dem Kino Pobeda).

Sommer, Sonne, WolgabadAnderes Russland Deutsche aus den Regionen erzählen, wie es sich außerhalb der Hauptstadt lebt

Bei 35 Grad im Schatten und 20 Prozent Luftfeuchtigkeit ist die Wolga eine willkommene Abkühlung.

Wolgograd sei die Stadt der Bräute, sagen Russen: Die jährliche

Modelparade durch die City, organisiert von einem Motorradclub.

Mit ihren 85 Metern ist die „Mutter-Heimat“ Europas höchste

Statue. Sie erinnert an die Opfer des Zweiten Weltkriegs.

In der Nachbarstadt Wolschskij feiert man in der Sunset Bar am

Achtuba-Strand die heißen Sommernächte durch.

DENNIS STRÖMSDÖRFERFÜR RUSSLAND HEUTE AUS WOLGOGRAD

Erst Zarizyn, dann Stalingrad

und seit 1961 Wolgograd – die

Millionenstadt am Wolgaufer, in

der vor 68 Jahren General

Paulus kapitulierte, besticht

heute durch ihre Lässigkeit.

Wolgograd im August: Zug Num-mer 015 aus Moskau fährt pünkt-lich um 17.17 Uhr im Hauptbahn-hof ein. Der Bahnhof ist wie vieles in der Stadt im spätstali-nistischen, monumentalen Zucker-bäckerstil erbaut, in seinem küh-len Inneren staunt man über das Deckenmosaik, das die Helden der Befreiung von den Deutschen und des Wiederaufbaus zeigt. Auf dem Vorplatz bieten umher-streifende Händler Getränke, Sou-venirs und Busreisen an, Taxifah-rer werben mit sensationell „güns-tigen“ Preisen, die meisten Menschen stehen bei fast 35 Grad einfach nur im Schatten herum. Immer geradeaus Richtung Fluss, vorbei an dem Neuen Experimen-tal-Theater, dem Platz der gefal-lenen Kämpfer und der Ewigen Flamme, sind es keine 15 Minu-ten bis zur Heldenallee, wo in unzähligen Cafés die Wolgogra-der einer ihrer Lieblingsbeschäf-tigungen nachgehen: Reden und Entspannen. Wolgograd, 1589 zum Schutz gegen die Einfälle von Nomaden aus dem Süden gegründet, ist heute mit seinen eine Million Ein-wohnern Universitätsstadt und ein wichtiges Industriezentrum rund 1000 Kilometer südöstlich von Moskau. Man hat es nicht weit zum Kaukasus und zum Kaspi-schen Meer, die Winter sind mild, die trockenen und heißen Som-mer erinnern an den Nahen Osten. Das Stadtgebiet zieht sich über 80 Kilometer am Westufer der Wolga entlang, die hier mehr als einen Kilometer breit ist.An zahlreichen Orten fi nden sich Zeugnisse der jüngeren Geschich-te: die traumatisierende Schlacht von Stalingrad, deren Ende am 2. Februar 1943 jedes Jahr gedacht wird. In Nebenstraßen, zwischen Büschen und Bäumen versteckt, markieren Panzertürme noch heute die damalige Frontlinie.

20 Rubel pro SchweinUnten am Flusshafen ist die Größe der Wolga schier überwältigend. Von hier starten Ausflugsboote (abends wummernde Discokäh-ne) und Fähren zu den Datschen ans andere Ufer, und das für 14 Rubel, etwa 40 Cent. Die Mitnah-me eines Schweins kostet 20 Rubel.An der Mole reihen sich Restau-rants, ein Fitnessstudio, Clubs, ein Vergnügungspark und die Phil-harmonie aneinander. Junge Ska-ter rasen über den Asphalt – manchmal sieht man zwischen zwei Bäumen auf dem Rasen neben dem Haus der Veteranen sogar Seiltänzer.Am Fluss wird die Heldenallee vom Lenin-Prospekt gekreuzt, der über 15 Kilometer sein Ufer säumt. Auf der sechsspurigen Straße gelangt man zum befahrbaren, 730 Meter langen Staudamm des Wasserkraftwerks und weiter in die Nachbarstadt Wolschskij am

Pferd) zu: In einem Hinterhofkel-ler feiert der Nachwuchs unter den wachsamen Augen von Türsteher Djadja Sascha (Onkel Sascha) seine ersten Auftritte. Für einen ganz normalen Kneipenbesuch ist das Café von Alexander vor dem Dom Sojusow zu empfehlen. Es hat zwar keinen Namen, dafür gibt es aber stets ein kühles Bier, das in lockerer Atmosphäre von einem bunten, einheimischen Pu-blikum genossen wird.

Picknick am WolgauferWolgaab- und aufwärts laden lau-schige Plätzchen am Wochenende zu einem Bad im Fluss und ein paar Stunden des Müßiggangs. Man muss sein Essen nicht unbe-dingt mitbringen: Immer ist ein Schaschlikstand in der Nähe, alles ist frisch zubereitet und kostet nicht viel.Die Wolschanje kennen ihre Geschichte gut und können Er-

staunliches berichten. Währendeiner Führung zum Mamajew-Hü-gel, wo seit 1967 eine 85 Meterhohe und 8000 Tonnen schwereStatue an den Sieg der RotenArmee über die Wehrmacht erin-nert, erzählt Wladimir, Veterandes sowjetischen Afghanistan-Krieges, wie seine Kinder hier frü-her gespielt haben: Mit gefunde-ner deutscher Munition zogen sieerneut in die Schlacht.

Tasse Kaffee mit WladimirDas hindert Wladimir nicht daran,Geschichte und Gegenwart striktzu trennen. Er nimmt gerne dieEinladung eines Deutschen aufeine Tasse Kaffee und zum Plau-dern an, wie unter alten Bekann-ten üblich.Und diese Mischung ist es, wel-che die Millionenmetropole an derWolga für seine Bewohner undBesucher gleichermaßen so reiz-voll macht: der tolerante Umgangmit Geschichte, urbane Struktu-ren mit großem Erholungswertund nicht zuletzt der freundlicheUmgangston in den Straßen.

Er nimmt gerne die Einladung eines Deutschen auf eine Tasse Kaffee an, wie unter alten Bekannten üblich.

und Alt, Rollerblader und Fahr-radfahrer, der eben eröffnete Supermarkt kann nicht über man-gelnde Kundschaft klagen.Wer es sich leisten kann, geht spä-ter in einen der angesagten Clubs wie das Amsterdam, in dem für ein Karaoke-Lied auf Deutsch schon mal eine Ägyptenreise ver-lost wird. Das Piranja am Hafen dagegen ist für seine internatio-nalen DJs bekannt. Rockiger geht es im Belaja Loschad (Weißes

anderen Ufer. Vorausgesetzt na-türlich, es gelingt einem gleich den einheimischen Wolschanje, mit ausgestrecktem Arm einen Klein-bus (Marschrutka) anzuhalten: lässig, sekundenschnell, mit ge-konnter Beiläufi gkeit.

Heißes NachtlebenGegen Abend und bei abklingen-der Hitze zieht es die Menschen an den Fluss. Auf der Uferstraße Nabereschnaja tummeln sich Jung

Dennis Strömsdörfer ist DAAD-Lektor an der Pädagogischen Universität Wolgograd.

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Mehr Bilder aus Wolgogradwww.russland-heute.de

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Reisen

Manche mögen’s kaltReportage Nur an 40 Tagen im Jahr können zahlungskräftige Touristen vom Camp Barneo aus den Nordpol erobern

Bis zu 30 Minusgrade drau-

ßen, aber gemütliche 18 Grad

plus innen: das Camp Barneo

STEFANIA ZINIEXKLUSIV FÜR RUSSLAND HEUTE

Am Nordpol gefriert schon mal

der Champagner in den Gläsern

– gut, dass der Helikopter einen

gleich wieder ins nördlichste

Camp der Welt bringt.

Ich habe schon in allen möglichen Unterkünften geschlafen – in einer Unterwassersuite in Florida, auf Bäumen in der Türkei, in einer Schlafbox an einem japanischen Bahnhof, in einer ehemaligen Kir-che in Schottland oder einem frü-heren slowenischen Gefängnis. Doch die Übernachtung am Nord-pol übertraf alles. Die russische Arktisstation Bar-neo hat noch nicht einmal eine Adresse. Seit über zehn Jahren erscheint sie jedes Jahr für gera-de einmal 40 Tage – von Ende März bis Anfang Mai – auf der Landkarte. Auf Drifteis mitten im Meer werden dann mehrere Zelte gestellt und eine behelfsmä-ßige Start- und Landebahn ein-gerichtet. Die Strömung lässt die GPS-Koordinaten von Sekunde zu Sekunde heftig schwanken.

Zur Begrüßung ein Gläschen Wodka auf dem ÖlfassIm Flugzeug von der norwegischen Insel Spitzbergen nach Barneo sieht man unter sich nur Wasser und Eis. Doch nach der Landung im Camp bleibt keine Zeit für bange Minuten. Leiter der Stati-on Wiktor Bojarskij, Direktor des Sankt Petersburger Arktis- und Antarktismuseums und eine Art lokale Legende, begrüßt kurz die neue Gruppe und bittet dann unvermittelt zum Willkommens-schmaus: gefrorenen Fisch (Stro-ganina) mit Wodka, serviert auf einem leeren Ölfass. Wir haben genau zehn Minuten, um unsere Rucksäcke zu den Zel-ten zu bringen und uns wärmer anzuziehen. Dann geht es zum rie-senhaften Mi-8, dessen Turbinen und Propeller gerade anzulaufen beginnen. Schließlich steigt der Dinosaurier der sowjetischen Helikoptertechnologie schwerfäl-lig in die Luft, voll bepackt mit Menschen auf dem Weg zum nörd-lichsten Punkt der Erde. In der Nähe des 89. Breitengrades set-

Vom Camp Barneo erreicht man den Nordpol entweder mit dem Schlitten oder mit dem Helikopter.

zen wir fünf Australier ab. Sie wollen die letzten Kilometer auf Skiern zurücklegen. Noch 15 Minuten im Helikopter, und wir sind am Ziel. Und jeder feiert die-sen Moment auf seine Art. Ein Ehepaar aus Neuseeland zückt prompt Golfschläger und hebt zu einer Partie Nordpolgolf an, vier Japanerinnen klicken ihre Ein-drücke hastig in ihre Kameras. Ein britischer Romeo fällt vor sei-ner chinesischen Julia auf die Knie und macht ihr einen Heiratsan-trag. Unser Begleiter entkorkt eine Flasche Champagner, doch nie-mandem gelingt es, auch nur einen Schluck zu trinken – der edle Tropfen ist sofort eingefroren. Zurück im Camp gibt es Borschtsch mit Sauerrahm. „Ohne Zusatz-stoffe und direkt aus Moskau eingeflogen“, brüstet sich der Küchenchef nicht ohne Stolz. Der Gemeinschaftsraum mit dem vor sich hinköchelnden Samowar ist rund um die Uhr belegt, zu Tee oder Kaffee wird trockenes Ge-bäck im Verbund mit kauzigen Geschichten serviert.

Scheidung am PolAn dem einen Tisch beklagen amerikanische Wissenschaftler den Verlust einer teuren Boje, die ins Meer geweht wurde. Am anderen tauscht eine Gruppe Ma-nager Visitenkarten aus. Derweil erzählt unser Begleiter dem frisch vermählten interkulturellen Paar eine der unzähligen Anekdoten von der Polarstation: „Am Pol wird nicht nur geheiratet. Kürz-lich hat ein Gast per Satelliten-telefon von seiner Frau die Schei-dung verlangt.“

Das im Meer treibende Camp Bar-neo ist weltweit das nördlichste seiner Art. Im Nordpolarmeer ist es der einzige Zufluchtsort für Wissenschaftler – und Touristen, die gerne einmal Polarforscher spielen und einen Fuß auf die sich in steter Bewegung befi ndliche Erdspitze setzen möchten. Vergeb-lich versuchen sie, Ost und West zu defi nieren. Von hier aus liegt alles südlich, Tag und Nacht haben andere Dimensionen. Jedes Jahr sei es ein Leichtes, einen Standort für das aktuelle Camp Barneo zu bestimmen und die Station einzurichten, sagen die Organisatoren. Genauer gesagt, gibt es zwei Standorte, der erste liegt ungefähr auf dem 87. Brei-tengrad, der zweite befi ndet sich wesentlich näher am Pol. Anfang

März geht die Arbeit los. Ein Auf-klärungsteam macht sich zunächst auf die Suche nach einer geeig-neten, massiven Eisscholle. Ihre Koordinaten gibt das Team nach Murmansk weiter, von wo aus ein Flugzeug mit Traktoren startet. Sobald diese eine Start- und Lan-debahn geräumt haben, reist eine Kommission aus Krasnojarsk an und begutachtet die Basisinfra-struktur. Eingefl ogene Schlepper, Stromgeneratoren, Lebensmittel, Zelte sowie Brenn- und Schmier-stoffe machen die neue Polarsta-tion dann bezugsfertig. Für Touristen ist Barneo nur Zwi-schenstation, wenn auch ihre letz-te auf dem Weg zum Nordpol. Sie kommen mit dem Flugzeug vom Festland. Von Barneo aus geht es dann mit Skiern, Hundeschlitten oder Helikoptern weiter in Rich-tung Norden. Bereitwillig erfül-len die Organisatoren alle Wün-sche ihrer exklusiven Besucher, denn der Ausfl ug zur Nordkappe über Barneo ist mindestens so teuer wie die mehrwöchige Fahrt auf einem Luxusliner.

Rund 40 Polarforscher und Tou-risten können sich gleichzeitig imCamp aufhalten, darunter fi ndetsich auch immer wieder Promi-nenz aus aller Herren Länder. Nurwenige Tage vor meiner Ankunftwar der britische Kronprinz Harrymit einiger Verspätung abgereist.Während seines Aufenthalts hattesich auf der Landebahn ein Rissim Eis von einem halben Meteraufgetan und den Flugverkehr fürganze zwei Tage lahmgelegt.

Golden schimmert das EisAuch im Moment sieht man eini-ge unrasierte, aber glückliche Tou-risten. Gerne nehmen sie die pri-mitiven Zustände im Camp undalle Reisestrapazen in Kauf, umdann sagen sagen zu können: „Ichwar dort!“Das reine bläuliche Eis trägt einengoldenen Schimmer für dieOrganisatoren touristischer Ex-kursionen in die Arktis. Offen-sichtlich sind Pioniergeist undAbenteuerlust in der Welt nochnicht ausgestorben – zumindestbei jenen nicht, die sich die Nach-ahmung von Fridtjof Nansen undAlfred Wegener leisten können.

Stefania Zini schreibt für Russia Oggi, die italienische Ausgabe von Russia Beyond The Headlines.

So komme ich zum Nordpol

Von der norwegischen Insel Spitzber-gen bringt ein Flugzeug die Reisen-den zunächst ins Camp Barneo, 50 Kilometer vom Nordpol entfernt. Es steht jährlich von Ende März bis An-fang Mai seinen Gästen zur Verfü-gung. Von dort geht es mit dem Heli-kopter, einem Husky-Schlitten oder auf Skiern weiter. Für Extremsportler und alle, die es wagen, wird der Ab-

sprung mit einem Fallschirm über dem Pol angeboten. Je nach Länge und Programmpunkten kostet die Reise ins Eis zwischen 9400 bis 27�000 Euro. Wer schon jetzt sein Abenteuer fürs Frühjahr 2012 buchen will: www.polar-expeditions.com. Un-ter www.barneo.ru/2011e.htm ist das Tagebuch der Crew vom Frühjahr 2011 in englischer Sprache nachzulesen.

Niemandem gelingt es, auch nur einen Schluck des Champagners zu trinken. Der edle Tropfen ist sofort eingefroren.

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10 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUGesellschaft

Bühne frei für die RabaukenGesellschaft Ein Zirkus in Sankt Petersburg zeigt Kindern aus Problemfamilien, wie man auf eigenen Beinen steht

Hinter den Kulissen

Der achtjährige Danila, das Nesthäk-chen, ist schon beim Zirkus dabei, seit er fünf ist. Zirkusdirektorin Larisa Afa-nasjewa (rechtes Bild) erzählt, wie schwer es ist, die ganze Gruppe zu-sammenzuhalten: „Vor einigen Jahren gab es eine schwere Krise: Bei einer

Tournee durch Deutschland hatte je-mand den Kindern ein paar Hundert Euro Honorar gezahlt. Das war ein Fehler. Nach der Rückkehr fing die Fragerei an: ‚Und wie viel hat wohl Larisa bekommen?‘ Nach ein paar Wochen fiel die Gruppe auseinander.“

Clownshow im Upsala: Das

Fliegende-Kinder-Festival für

Toleranz in Sankt Petersburg.

MORITZ GATHMANNRUSSLAND HEUTE

Der kleine Danila und der große

Maxim prügeln sich, werfen sich

durch die Luft, giften sich an.

Klar, es geht um ein Mädchen.

Am Zelthimmel leuchten die

Sterne - Probe im Zirkus Upsala.

Der Ton bei Upsala ist rau. „Ver-flucht, Mischa, was ist? Ich geb dir genau 24 Stunden. Schlaf nicht, iss nicht – mir egal. Wenn du bis dahin nicht die Nummer draufhast, fährst du nicht mit nach Deutschland, kapiert?“ Mi-scha, zwölf Jahre, schaut erschro-cken unter seinen blonden Haa-ren hervor. „Und warum?“, zischt Larisa, „weil du dich selbst ach-ten musst!“ Die Regisseurin in den weißen Baggy Pants hat fertig. Kuschel-pädagogik ist das nicht. Larisa sucht die „Play“-Taste auf dem mächtigen schwarzen Ghettoblas-ter. Träumerische Klavierklänge erfüllen das Zirkuszelt, und Mi-scha, jetzt konzentrierter, tänzelt mit den anderen der schönen Elda-ra mit dem Regenschirm hinter-her. Über ihnen prangen die Ster-ne am Himmel. „Upsala – Rabauken können fl ie-gen“ steht auf einem Transparent, das hoch oben über der Zeltkup-pel im Wind fl attert. Larisa Afa-nasjewas Arche Noah für schiff-brüchige Kinder ist vor wenigen Monaten im Norden von Sankt Petersburg vor Anker gegangen. Nach Jahren des Vagabundierens von einem Provisorium zum nächsten hat sie jetzt das, was sie gesucht hat. „Ich wollte immer diesen Kindern eine Heimat geben“, sagt Larisa.

Jonglieren an der MetroDer Bauunternehmer, der ihnen Asyl gewährt hat, nimmt keine Miete von den „Upsalanern“ und bezahlt ihnen sogar den Strom. Rundum frischer grüner Rasen, neben dem Zirkuszelt das reno-vierte Verwaltungsgebäude. Von einem kleinen Teich weht frische Luft herüber, und am anderen Ufer wächst ökogrün Googles Russlandrepräsentanz in die Höh. An diesem Ort versucht die 36-jährige Theaterregisseurin, Kindern aus zerrütteten Famili-en das zu geben, was ihnen am meisten fehlt: Selbstvertrauen. Elf Jahre ist es her, da gab Lari-sa zusammen mit ihrer deutschen Freundin Astrid Schorn den ers-ten Straßenkindern Bälle in die Hand und stellte sie zum Jonglie-ren an die Metroausgänge. Über die Jahre haben die Upsa-laner ihre Salti in Frankreich gezeigt, in Finnland und in Deutschland. Der Zirkus steht in der Tradition des berühmten Clowns Slawa Polunin: Die Ar-tisten schlagen Salti, jonglieren und balancieren, aber vor allem erzählen sie Geschichten, träume-rische, rabaukische. Larisas War-teliste ist lang, Platz hat sie nur für 60 Kinder.Gut, dass manche frühere „Schü-ler“ nun selber als Trainer die Jün-geren das Zirkushandwerk leh-ren. Der 23-jährige Sergej bewirbt sich gerade sogar an der Sankt Petersburger Schauspielschule. Es

Waisenkinder in Russland

2010 gab es in Russland mehr Wai-senkinder als im Zweiten Weltkrieg: Waren es in den 1940er-Jahren 678�000, so lag die Zahl nach Anga-ben der Duma-Abgeordneten Jelena Misulina im letzten Jahr bei 697�000. Zwei Drittel sind „soziale Waisen“, das

sind diese Erfolgsgeschichten, die Larisa Mut machen. Der kleine Danila, ein quirliger Achtjähriger, ist das Nesthäkchen, die Älteren behandeln ihn wie ihren kleinen Bruder. Gerade ver-sucht er, den Sattel eines Einrads auf seine Höhe zu schrauben. Fragt man ihn, was er werden will, sagt er „Zirkusdirektor“. Schon mit fünf ist er zum Zirkus gekommen, Larisa gabelte ihn bei der Essensausgabe des Roten Kreuzes auf: Vater im Knast, Mut-ter tot, Danila wohnte im Heim. Wie es da aussieht, weiß Larisa von ihren Besuchen. „Einmal saßen alle Kinder rum und schnüf-felten Klebstoff. Der Direktor hat

gesagt, das sei für ihn sehr prak-tisch“, erzählt sie empört. Upsalawill die Kinder aus der Routinereißen, aus dem Teufelskreis vonHeim, Sonderschule, Knast.

Unabhängig und freiNicht immer klappt alles, manch-mal „reißt die Schnur“, wie La-risa sagt. Es ist Anfang Juni – ineinem Monat will der Zirkusdurch Deutschland und Frank-reich touren, und gerade jetzt istein Artist abgesprungen. „Er isteinfach nicht zur Vorstellung ge-kommen, hat seine Freunde imStich gelassen“, sagt Larisa. Siehat lernen müssen, mit solchenEnttäuschungen zu leben. Der größte Luxus, den Upsala sichleistet, ist seine Unabhängigkeit:Zwar treten die jungen Rabaukenauch bei Stadtfesten auf, aberauf staatliche Institutionen ange-wiesen zu sein – niemals. Larisamuss keine Rechenschaft ablegenvor irgendwelchen Vorgesetztenund nicht für jeden Kugelschrei-ber einen Antrag ausfüllen. Vor Kurzem bat das Sozialminis-terium sie, bei einer Veranstaltungdes Einigen Russlands aufzutre-ten, der allgegenwärtigen Putin-Partei. „Der Moment, als ich ein-fach Nein sagte, war einer derschönsten in meinem Leben“, er-klärt Larisa lächelnd.

Mehr Spenden aus RusslandDafür ist sie ständig auf derSuche nach Sponsoren: Zu Be-ginn lebte Upsala praktisch nurvon Spendengeldern aus Deutsch-land, erst letztes Jahr spendeteeine Berlinerin 60 000 Euro, mitdenen Larisa das kleine Büroge-bäude renovieren konnte. Heutekommt die Hälfte aus Russland.Natürlich ist Larisa über die Hilfeaus dem Ausland unendlich dank-bar, aber in Zukunft will sie aufeigenen Beinen stehen. „Es mussdoch in einem so reichen Landmöglich sein, genug Sponsorenzusammenzubekommen“, sagt sie.Die 150 000 Dollar für das neueZirkuszelt sollen aus Russlandkommen – „das ist Ehrensache!“Am Nachbartisch sitzt schon eineprofessionelle Fundraiserin. Danila und der einen halben Metergrößere Maxim mimen jetzt zweiGauner, die durch die Straßenziehen. Aus dem Ghettoblastersingt Garik Sukatschow ironisch:„Das ist ein richtiger Mann – dersein Gewehr in den Himmel hal-ten kann“, sprich bei der Luftab-wehr dient. Die beiden ungleichenJungs lassen ihre Muskeln spie-len. Schließlich kommt es zur Prü-gelei mit einem anderen Gauner,getanzt natürlich wie in der West-side Story. Die Szene stammt aus dem All-tag der Jungen, nur derjenigekann sich durchsetzen, der zu-schlägt. Aber im Theater sind siezögerlich, zurückhaltend. Larisaspringt auf, baut sich vor den bei-den auf, den Kopf provozierendnach vorn gestreckt: „Was willstdu, Alter, hä?“ Die Umstehendenlachen. „Es gibt im Theater keineBewegung mit 50 Prozent“, ruftsie. „Nein, nur 100 Prozent“,sekundiert der kleine Danila.„Mein Schlaumeier“, lacht Lari-sa. Danila, das Nesthäkchen.

Die Artisten jonglieren und schlagen Salti, vor allem aber erzählen sie Geschichten, träume-rische und rabaukische.

heißt, mindestens ein Elternteil ist noch am Leben, kümmert sich aber nicht um das Kind. Fast die Hälfte der Adoptiveltern kommt aus dem Aus-land. Allein amerikanische Eltern nah-men in den letzten 20 Jahren mindes-tens 60�000 russische Kinder auf.

Die Termine der Deutschlandtournee:

BERLIN

8. Juli, 10.30 Uhr, Hofcafé Mutter Fou-rage, Chausseestr. 15A, Berlin-Wannsee9. und 10. Juli, 18.00 und 16.00 Uhr, Circus Schatzinsel, May-Ayim-Ufer 4

LEIPZIG 12. Juli, 15.00 und 19.30 Uhr, UT Con-newitz, Wolfgang-Heinze-Str. 12

DUISBURG

14. Juli, 19.00 Uhr KOM’MA-Theater, Schwarzenberger Straße 147

BONN

18. Juli, 18.00 Uhr, Junges Theater, Hermannstr. 50

DÜSSELDORF

21. bis 29. Juli, FFT, Kasernenstraße 6, zu unterschiedlichen Zeiten (www.forum-freies-theater.de)

Mehr Infos: www.upsala-zirk.org

Upsala auf Tour

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Das Video zum Themawww.russland-heute.de

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Feuilleton

empfiehltKULTUR-

KALENDER

THEATER

LIEBE JELENA SERGEJEWNA

TERMINE AB 14. JULI, THEATER AALEN

Ein kontroverses Drama der Russin Ljudmila Rasumowskaja: Die Schüler der Klasse 10b erscheinen bei Jelena Sergejewna und gratulieren ihr zum Geburtstag. In Wirklichkeit aber wol-len sie ihre Lehrerin erpressen.

www.theateraalen.de ›

FEIER

FESTIVAL DER RUSSISCHEN

KULTUR

16./17. JULI, KOLONIE ALEXANDROWKA

Klein-Russland bei Berlin, das ist die Kolonie Alexandrowka, gegründet 1826 von Wilhelm III. Das Festival bie-tet Kasatschok, Balkanbeat und das ein oder andere Gläschen Wodka.

www.kultur-alexandrowka.de ›

KLASSIK

CLASSIC OPEN AIR DRESDEN

21./22. JULI, DRESDEN, NEUMARKT

Zum 50-jährigen Bestehen der Städ-tepartnerschaft mit Sankt Petersburg kommt das Sinfonische Orchester der Staatlichen Kapelle Sankt Petersburg nach Dresden. Am ersten Abend spielt der Pianist Arkadij Zenziper.

www.classicopenair-dresden.de ›

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ÜBER RUSSISCHE KULTUR AUF

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LESENSWERT

Insidertipps für RusslandsHauptstadt

Neunzig Prozent aller aus-ländischen Russland-reisenden fahren nach

Sankt Petersburg oder Moskau.Moskau. Faszinierend, in welchatemberaubender Geschwindig-keit die Zehnmillionenmetropoleihr Gesicht verändert, sich derwechselhaften Gegenwart an-passt, gezeichnet von ihrer zumTeil dramatischen Vergangenheit.Beidem – Geschichte und Gegen-wart – ist der im letzten Jahr er-schienene Reisebildband „Zeitfür Moskau“ gewidmet. Darinstellt Autorin Ulrike Gruskathematisch klug gebündelteGeschichte – Kreml, Kirchen,Kunstepochen und Außenbezirke– dem vibrierenden Moskau vonheute gegenüber. Der Leser er-fährt von Zarenwillkür undGulag, und er erfährt von der2006 in ihrem Haus ermordetenJournalistin Anna Politkowskaja.Passend zu den Themenschwer-punkten werden gezielt Emp-fehlungen für Gaumen undUnterkunft gegeben. Nach demBesuch des Majakowski-Theatersbietet sich das Restaurant Majakim selben Haus an, im HotelKebur Palace kommt man unter,wenn man in Sachen Tolstoiunterwegs ist. Dazu gibt esaktuelle Informationen zu denangesagtesten Clubs und tren-digsten Modedesignern. Leideraltert das Allerneueste mitunterschnell: Bürgermeister vonMoskau ist jetzt Sergei Sobjanin,nicht Juri Luschkow. Der Foto-graf Olaf Meinhardt ergänzt denText mit suggestiven Bildern vonMenschen bei der Arbeit, prot-zigen Grabanlagen, stalinisti-scher Prachtarchitektur undunter Hochhäuser geducktenZwiebeltürmen und macht damitauf die Paradoxien der russischenGesellschaft aufmerksam. SeineAufnahmen von Restaurants undUnterkünften lassen den Lesersofort die Koffer packen.

Olaf Meinhardt, Ulrike Gruska: Zeit für Moskau. Bruckmann Verlag 2010, 191 S.

Barbara Münch-Kienast

OLGA MARTYNOVAFÜR RUSSLAND HEUTE

Die Lebensgeschichte Dow-

latows liest sich wie eine

Tragikomödie, und so lesen sich

auch seine Werke. 21 Jahre nach

seinem Tod sind seine Bücher

längst kein Geheimtipp mehr.

Im Sommer 1990 starb der große russische Schriftsteller Sergej Dowlatow im Alter von 49 Jahren in New York. In Deutschland so gut wie unbekannt, genießt er in Russland Kultstatus. Seine Bü-cher werden regelmäßig neu auf-gelegt, viele seiner Sätze und Wen-dungen gehören mittlerweile zum allgemeinen Sprachgebrauch, An-ekdoten aus seinem Leben erzählt man sich nicht nur in seiner Wahl-heimatstadt Sankt Petersburg. In der UdSSR wurden Dowlatows Texte nur selten publiziert. Und nachdem er 1978 in die USA aus-gewandert war, kam das erst recht nicht mehr in Frage: Emigranten wurden aus der sowjetischen Literaturgeschichte gestrichen. Als seine Bücher dann endlich zu Zeiten der Perestrojka erscheinen durften, war es, zumindest für ihn, zu spät. Er starb an der Schwelle zum Erfolg.

Peter der Große (2,12 m)Der ungezwungen wirkenden Er-zählweise Dowlatows liegt eine einfache, aber stabile Rahmen-konstruktion zugrunde. Und ob-schon ein Herr Sergej Dowlatow Protagonist vieler seiner Erzäh-lungen und Romane ist, sind diese doch nicht rein autobiografi sch. Dichtung und Wahrheit. „Der Kof-fer“, 2008 auch in deutscher Spra-che erschienen, handelt von einem Emigranten namens Dowlatow. Für seinen gesamten Besitz steht ihm nur ein einziger Koffer zur Verfügung: „Ich betrachtete den leeren Koffer. Am Boden Karl Marx. Im Deckel Brodsky. Und dazwischen ein verpatztes, wert-loses, einziges Leben.“ Inhalt des Koffers ist Anlass zu den absur-desten Geschichten: Ein Paar Handschuhe stammen aus dem Requisitenfundus des Leningra-der Filmstudios, „ausgeliehen“ von einem avantgardistischen Filmregisseur. Es folgt die Anek-dote: Dowlatow, größter Schrift-steller aller Zeiten (1,94 m), steht in der Schlange vor einer Bierbu-de, verkleidet als Peter der Große, größter Zar aller Zeiten (2,12 m). Der Regisseur erhoffte sich auf-gebrachte oder verstörte Reakti-onen aus der Bevölkerung, doch nichts dergleichen. Die Leute ach-

Die Nerven der russischen Sprache

Literatur In diesem Jahr wäre der russische Schriftsteller Sergej Dowlatow 70 geworden

Meister der kurzen Form: Sergej Dowlatow in Tallin, 1974

ter Dissident Besäufnisse mit alten Freunden zum eigentlichen Zweck dieser Konferenzen erklärte. Die „amerikanischen Veranstalter“ hätten das mit einigem Staunen vernommen, waren sie doch si-cher, es ginge um die Niederschla-gung totalitärer Regime. Ist das zynisch? Ja und nein. Es ist in erster Linie eine nüchterne Feststellung: Die russische Lite-ratur, das einzige, was für Dow-latow wichtig war, scherte im Wes-ten keinen – solange es nicht um politische Spielchen ging. Mit Zynismus auf Zynismus antwor-ten – das war die traurige sowje-tische Lebensschule. Dieser Wech-

selgesang der Zynismen war das große Thema Dowlatows, der bit-tere Hintersinn all seiner Anek-doten und Witzeleien, die auf den ersten Blick klischeehaft erschei-nen können: Saufereien, Schläge-reien, Armut, Zensur. Aber Dowlatow kommt immer vir-tuos aus allen Klischees heraus: mit kunstvoll gesetzten Pointen, mit dem berühmten, bis zur Per-fektion geschliffenen „Dow-latow’schen Satz“. Wie eine Ge-dichtszeile bleibt er im Gedächt-nis haften. Dieser Satz kann gesprochene Sprache ohne Verlust an Natürlichkeit und Witz schrift-lich festhalten. Wie schwierig das ist, weiß jeder, der es einmal ver-sucht hat. Dieser Satz sticht töd-lich, bleibt aber immer unter dem Schleier von Selbstironie und Gutmütigkeit. Eben das macht Sergej Dowlatow zu einem bedeutenden Schrift-steller und unterscheidet ihn von zahlreichen Epigonen, die maka-bre und absurde Anekdoten ohne tragische, existenzielle Dimensi-on sammeln und nacherzählen.

Ein traurig-absurdes EndeDas Theaterstück „The Death of Bessie Smith“ von Edward Albee handelt von dem Gerücht, die große Jazzsängerin sei gestorben, weil sie keine Klinik für Weiße betreten durfte. Als man sie end-lich in eine Klinik für Schwarze brachte, war es zu spät. Dowlatow hatte keine Kranken-versicherung. Als er mit einem Herzinfarkt nach mehreren Versuchen in anderen Kliniken endlich auch ohne Versicherungs-schein in einem New Yorker Kran-kenaus aufgenommen wurde, war es zu spät. Als hätte er diese Eigenschaft gehabt – die markan-testen und absurdesten Gescheh-nisse seiner Umgebung am eigenen Leibe zu überprüfen. Beschreiben konnte er diese letz-te Absurdität nicht mehr.

Olga Martynova, Lyrikerin, Essayistin und Prosaautorin, lebt seit 1991 in Deutschland. Ihr Roman „Sogar Papageien überleben uns“ schaffte es in die Longlist des Deutschen Buchpreises 2010.

Auf den Spuren Sergej Dowlatows: Wie im Park Puschkinskije Gory bei Pskow ein Museum des Literaten entsteht.

IM BLICKPUNKT

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Sergej Dowlatow

In Ufa geboren, zog Sergej Dowlatow dreijährig nach Sankt Petersburg. Er studierte Philologie, schaffte aber den

BIOGRAFIE

LEBEN: 3.9.1941 (UFA) BIS

24.8.1990 (NEW YORK)

WERK: ZWÖLF BÜCHER (IM EXIL)

Abschluss nicht und schlug sich fortan als Gefängniswärter und Journalist durch. 1972 ging er für drei Jahre nach Estland, wo sein erstes Buch vom KGB vernichtet wurde. 1978 wanderte er in die USA aus. Auf Deutsch sind er-schienen „Die Unsren“, S. Fischer (vergriffen), „Der Koffer“, DuMont, und „Der Kompromiss“, Pano Verlag.

ten lediglich penibel darauf, dass der „Zar“ nicht drängelt oder be-vorzugt behandelt wird und sein Bier außer der Reihe bekommt. In den USA war Dowlatow er-staunlich erfolgreich für einen Exilautor ohne „Vorruhm“ oder „politische Versehrtheit“. Nicht zuletzt dank seines einfl ussreichen Freundes Joseph Brodsky, der auch aus der Leningrader Litera-turszene der 60er kam, aber Ruhm und den Ruf eines politisch Ver-folgten mitgebracht hatte. Dowlatow wurde zum Stammgast internationaler politischer und li-terarischer Konferenzen. In einem Brief schreibt er, wie ein verdien-

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUPorträt

ANASTASIA GOROKHOVARUSSLAND HEUTE

Georgij Isaakjan gilt als Junger

Wilder in Russland. Er brachte

Solschenizyn auf die Bühne und

inszenierte „Fidelio“ im Gulag.

Jetzt sucht er eine neue Heraus-

forderung: Opern für Kinder.

Der Dirigent zückt seinen Takt-stock, im Orchestergraben folgt eine einsame Pianistin seinen Be-wegungen. Auf der Bühne hebt ein Tenor zu einer ausgelassenen Arie an. Als der Chor einstimmt, wirft er sich auf den Boden und wälzt sich wild hin und her. „Stopp!“, ruft eine tiefe Stimme aus dem Zuschauerraum. Abrupt bricht alles ab. Auf die Bühne springt ein dunkelhaariger, gut gebauter Mann in Jeans, Turn-schuhen und einem lässig bau-melnden Hemd. Er rennt herum, gestikuliert, verliert seinen gro-ßen Notizblock und wirft sich dann selber zu Boden: „So geht das!“Der Regisseur Georgij Isaakjan probt eine Oper für Kinder, über Prinzen und Apfelsinen, böse Zau-berinnen und Helden. Mehr ver-rät er nicht. Aber „es wird schräg“, verspricht er, und seine Augen funkeln lausbübisch. In den verwinkelten Gängen des weltweit einzigartigen Opernthe-aters für Kinder, das auf den Namen seiner Gründerin Natalja Saz getauft ist, wirkt Georgij Isaakjan fremd. Manchmal, ge-steht er auf dem Weg in sein Büro, fühle er sich auch so.

Es riecht nach VerfallSeit einem Jahr ist er hier Inten-dant und Regisseur. Er hat ein schweres Erbe angetreten, denn die „Mutter aller Kindertheater“, wie Natalja Saz genannt wird, setzte die Messlatte hoch: Sie war befreundet mit Igor Strawinski, musizierte mit Albert Einstein, inspirierte Sergej Prokofjew zu „Peter und der Wolf“ – ein Stück, das hier uraufgeführt wurde. Das war vor 67 Jahren, aber Saz regierte im Operntheater bis zu ihrem Tod 1993. Heute riecht es nach Verfall: staubige, marode Dielen, das Parkett auf der Haupt-bühne ist abgewetzt. Auch das Repertoire ist angestaubt, besteht vor allem aus sowjetischen Stü-cken. „Als hätte es danach nichts Neues gegeben“, Isaakjan schüt-telt den Kopf. Auf seinem Weg kommt er am Büro von Natalja Saz vorbei. Seit ihrem Tod ist es verschlossen, die Türe ziert ein vergoldetes Schild mit ihrem Namen, den die Thea-termitarbeiter noch immer voller Ehrfurcht fl üstern.

Aschenputtel entstaubtTheater In der legendären Moskauer Kinderoper sorgt ein Regisseur aus der Provinz für frischen Wind

1968 wurde Georgij Isaakjan in der armenischen Hauptstadt Jerewan ge-boren, in der er auch seine Kindheit verbrachte. Er ging nach Moskau und machte 1991 seinen Abschluss an der Theaterhochschule GITIS. Im An-schluss wurde er an die Oper Perm „beordert“ (was in der Sowjetunion so üblich war). Dort wirkte er zu-nächst als Regisseur, ab 1996 als In-tendant. 1998 inszenierte Isaakjan

Georgij Isaakjan

BIOGRAFIE

HERKUNFT: JEREWAN

ALTER: 43

PROFIL: OPERNVISIONÄR

Lautsprecher auf. Es ist 15 Uhr,eine Kinderoper läuft gerade aufder Hauptbühne an. Konzentrierthört Isaakjan einige Minuten zu,runzelt die Stirn und fährt fort. „Die heutigen Kinder wissen vielmehr. Sie verstehen die einfacheMärchensprache nicht, weil sietäglich mit Gewalt, Terror, Por-nographie und Drogen konfron-tiert werden, Computer spielenund im Internet surfen.“ Statt mitBildern müsse man direkter aufsie zugehen und ihre Problemeansprechen.

Die Kinder vor 20 Jahren„Ich glaube nicht, dass die Mensch-heit die ganze Evolution durch-gemacht hat, um im Büro vor demComputer zu enden“, sagt der Re-gisseur weiter. Nur die Kultur seifähig, das Menschliche im Men-schen zu bewahren, „Werte zu er-halten, die immer mehr verlorengehen.“Und dann spricht Isaakjan überdas Hauptproblem seiner Arbeit:die Eltern, immerhin die Hälfteder Zuschauer. Sie waren vor 20Jahren Kinder, in einer Zeit, alsihre Eltern ums Überleben kämpf-ten und für Kultur nichts übrig-hatten. „Die haben jetzt großenNachholbedarf, und wir müssenszenisch mit zwei Ziel- undAltersgruppen gleichzeitig arbei-ten.“ Issakjans Lösung: ein „user-friendly theatre“, in dem sich Kin-der, Eltern – und Großelternwiederfi nden.

Seit dem Tod von Natalja Saz vor 18 Jahren ist ihr Büro versiegelt. Noch heute flüstert man ihren Namen ehrfürchtig.

Premiere von „Die Liebe

zu den drei Orangen“ am

Theater von Natalja Saz.

„Boris Godunow“ in der Metropolitan Opera in New York. 2007 wählte die Zeitschrift Kultura ihn zum Regisseur des Jahres, 2009 erhielt er die „Gol-dene Maske“ – die höchste Theater-auszeichnung Russlands für die „beste Regie“ in der Oper „Orpheus“. 2007 nahm Isaakjan an einer Schulung für Kulturmanager teil, die er teilweise an der Washington National Opera unter der Leitung von Placido Domingo ab-solvierte. 2009 inszenierte er im Rah-men des Projekts „Oper/GULAG“ das Stück „Ein Tag des Iwan Deniso-witsch“ und 2010 „Fidelio“. Er spricht fließend Englisch, Deutsch, Franzö-sisch und Italienisch.

Studium in Moskau ging der gebürtige Armenier Anfang der 90er als junger Regisseur an die Permer Oper. Das Theater mit sei-ner 140-jährigen Tradition war gerade am Auseinanderbrechen: Sänger, Regisseure und Tänzer wanderten aus, weil kein Geld da war. Der junge Mann mit dem schüchternen Lächeln rettete das Opernhaus – und machte es be-rühmt. „Wir haben da Sachen auf der Bühne gemacht, die hat es noch nie gegeben“, sagt er stolz. Zu seinen bedeutendsten Expe-rimenten gehört die Oper „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“

nach dem Buch von Alexander Solschenizyn 2009 und Beetho-vens „Fidelio“, den er letztes Jahr im ehemaligen sowjetischen Straf-lager Perm-36 auf die Bühne brachte.Nun also Operntheater für Kin-der. Isaakjan weiß, dass die jun-gen Zuschauer sich nicht mehr so leicht von der klassischen Büh-nensprache mitreißen lassen, dass man neue Wege der Kommunika-tion braucht: „Ein Aschenputtel wie vor 30 Jahren lockt kein Kind mehr ins Theater.“ Plötzlich eilt er zur Bürotür und dreht einen kleinen schwarzen

Isaakjan wirft einen nachdenkli-chen Blick auf die Tür. Kann er dem Werk der Gründerin wieder Leben einhauchen? „Ich will ein neues Theater schaffen – atmo-sphärisch, einzigartig, lebendig“, sagt er dann voller Energie. Neu ist die Herausforderung für den 43-Jährigen nicht. Nach dem

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