SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen...

28
SVH Folio Zeitschrift des Schweizerischen Vereins für Homöopathie 3/2004 Schweizerischer Verein für Homöopathie www.verein-homoeopathie.ch IN DIESER AUSGABE: Einfache Mondraute – Ophioglossaceae Schichten der Ähnlichkeit von Dr. HANS BREYER, 2. Teil Schwarze Nieswurz – Helleborus niger Ein Chelidoniumfall mit Randglossen

Transcript of SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen...

Page 1: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH FolioZeitschrift des Schweizerischen Vereins für Homöopathie 3/2004

Schweizerischer Verein für Homöopathie

www.verein-homoeopathie.ch

IN DIESER AUSGABE:

Einfache Mondraute – Ophioglossaceae

Schichten der Ähnlichkeit von Dr. HANS BREYER, 2. Teil

Schwarze Nieswurz – Helleborus niger

Ein Chelidoniumfall mit Randglossen

Page 2: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Inhalt

Editorial

Liebe Freunde Seite 3

SVH-Nachrichten

Aus dem Vereinsgeschehen Seite 4

Botanik

Einfache Mondraute – Ophioglossaceae Seite 5

Grundlagen der Homöopathie: 2. Teil

Schichten der Ähnlichkeit von Dr. HANS BREYER Seite 8

Arzneimittelbild

Schwarze Nieswurz – Helleborus niger Seite 20

Kusuistik

Ein Chelidoniumfall mit Randglossen Seite 25

Page 3: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

3Editorial

Die Herbstzeitlose kündigt den kommenden

Winter an und auf dem kleinen Aubrig lag

schon der erste Schnee. Was wird das kom-

mende Jahr bringen? Auf jeden Fall steigen die

Krankenkassenprämien, das ist sicher - und

auf jeden Fall wird man weiter darüber disku-

tieren, das ist auch sicher. Ich frage mich:

Wann kommt jemand, der klipp und klar sagt,

dass unsere Medizin zu teuer ist, weil sie nicht

funktioniert. Nicht nur, dass sie nichts nützt,

nein, dass sie schadet und eben mehr Schaden

verursacht, als man in Geld rechnen kann.

Wem seine Gesundheit was wert ist, dem rat

ich: Gehe nicht zum Arzt und lasse Dich nicht

impfen! Von Herzen wünsche ich allen einen

fröhlichen Herbst – übrigens: Herbstzeitlosen

sind giftig!

Lukas Bruhin

Editorial

Liebe Freunde

Page 4: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

SVH-Nachrichten4

Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren Wetters und

tatsächlich standen über 20 Personen auf derPasshöhe Sattelegg bereit – bestens ausgerü-stet, um dem Berg den Kampf anzusagen.

So erklommen wir die Höhe und wurden vonder heimischen Flora fasziniert. Genau aufder Bezirksgrenze March/Einsiedeln fandenwir wenige Exemplare der gemeinen Mon-draute, Botrychium lunaria. Das sind kleine,unauffällige Pflänzchen mit nur einem gefie-derten Blatt, dessen Einzelblätter wie dieMiniaturausgaben der Blätter des Ginkgo-baumes aussehen. In der Entwicklungsstufe

steht die Pflanze zwischen den Schachtelhal-men und den Traubenfarnen, sie gehört also zuden Ureinwohnern dieses Planeten. Wir infor-

mieren über diesesfaszinierende Kraut indiesem Heft. EineArzneimittelprüfungwürde Aufschlussüber die arzneilichenKräfte geben.

Noch vor dem Mittagerreichten wir dieStelle, wo es spezi-elle "Mausdiaman-ten" zu finden gibt.Das sind kleine,regelmässig geformteQuarzkristalle, die esin dieser Art undForm nur auf demkleinen Aubrig zuergattern gibt. AuchVersteinerungen vonMuscheln und Blät-tern faszinierten vorallem die Kinder.

Leider trieb uns der Regen bald in die Hütte,wo wir uns wärmen konnten und das Mitta-gessen genossen.

Die einen erklommen noch den Gipfel, dieanderen blieben in der Hütte und genossenalles, was Hahnemann seinen Patienten ver-boten hatte … Der Tag war ein voller Erfolgund der Vorstand hofft, auch nächstes Jahrwieder viele Teilnehmer an der Wanderungbegrüssen zu können.

Lukas Bruhin, Einsiedeln, 28. September 2004

SVH-Nachrichten

Aus dem Vereinsgeschehen

Page 5: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

5Botanik

Ökologie und Pflanzengesellschaften

Die Einfache Mondraute ist eine Licht-pflanze und wächst meist einzeln auf fri-schen, mässig trockenen bis feuchten, basen-armen, sandigen Lehmböden in saurenMagerrasen, Borstgraswiesen und -weiden,Calluna-Heiden sowie im lichten Gebüsch.Ausserhalb der Schweiz besiedelt sie zudemkurzrasige Triften an Fluss- und Seeufern,quellige und anmoorige Stellen in Wiesenund an Moorrändern. Die Art ist in der Schweiz (montan-)subal-pin(- alpin) von 1560 bis 2300 m Höhe ver-breitet gewesen (in Italien schon ab 850 mHöhe). Botrychium simplex besiedelt, oft gemein-sam mit der weitverbreiteten B. lunaria,hauptsächlich Gesellschaften der Nardo-Cal-lunetea PRSG. 49. Über den soziologischenAnschluss dieser nur zufällig auftretendenArt ist allgemein wenig bekannt. Lebensraumtyp: 5.4.1 (4.3.5) Ökolog. Zeigerwerte: 4R2N2H3D4L4T2K2.

Ausgewählte Kenntnisse zur Art

Dieser Rhizomgeophyt kann oft erst beinäherer Betrachtung von der häufigenGemeinen Mondraute unterschieden werden,da deren Grösse und die Form des sterilenBlattabschnitts stark variieren. Deshalb undwegen der geringen Grösse ist die Art oft sehrschwierig zu finden und dürfte oft übersehenoder verwechselt worden sein. Die Art trittmeist einzeln auf, streut jedoch sehr vieleSporen aus. Aktuelle Fundstellen sind nichtauszuschliessen. Zur Ökologie und Popula-tionsbiologie der Art ist sehr wenig bekannt.

Botanik

Einfache Mondraute – Ophioglossaceae

Beschreibung

Pflanze 8(-15) cm hoch. Blätter einzeln, deutlich gestielt,kahl, grün. Blattstiel 1-3 mm dick, umhüllt von den abge-storbenen, braunen Scheiden vorjähriger Blätter. SterilerBlattabschnitt deutlich gestielt, nahe über dem Rhizom vomfertilen Teil abzweigend, rundlich bis verkehrt eiförmig, 1-6cm lang, ungeteilt oder durch Vertiefung der basalen Ein-schnitte 3-teilig oder 1-2 fach fiederteilig. Abschnitte beid-seits 2(3-4), meist halbrund und an der Basis keilförmigverschmälert. Fertiler Trieb den sterilen weit überragend, 1-8 cm, gestielt, rispig, 1-2 fach gefiedert. Sporenreife 6-8.Chromosomenzahl: 2n = 90. Ähnliche Art: Botrychium lunaria (L.) SW. (Gemeine M.),Pflanze deutlich grösser. Steriler Trieb etwa in der Mitte derPflanze abzweigend, Abschnitte aus keilförmigem Grundehalbmondförmig.

Page 6: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Botanik6

Die Prothallien und Embryonen der einhei-mischen Mondrauten sind über Jahre auf dieNährstoffversorgung durch symbiotischePilze angewiesen und leben unterirdisch. DieMondrauten lassen sich kaum aus Sporen zie-hen und auch vegetativ nicht oder sehrschlecht vermehren. Wiederansiedlungensind deshalb vorläufig nicht möglich.

Allgemeine Verbreitung und Gefährdung

Die Art ist ein zirkumpolares nordisch(tem-perates) Florenelement (ausserhalb Europasauch in Nordamerika, Südgrönland und evtl.Japan). Sie kommt in Europa meist küsten-nah v. a. im Ostseeraum bis ca. 65° N(Schweden, Finnland, Baltikum, Polen undDänemark), in Island und Südnorwegensowie sehr vereinzelt und isoliert als Glazial-relikt in den mitteleuropäischen Gebirgen (z.B. Böhmerwald, CZ) vor. Südwärts reichtsie bis in die Ostpyrenäen, in das Zentral-massiv, nach Korsika, in die Alpen und nachSlowenien. Ihre aktuelle Verbreitung istwegen des sporadischen Auftretens schwie-rig anzugeben.

Nächste Fundstellen:Zentralmassiv, Savoyen (Beaufortain),Hochsavoyen (früher im Vallée de Chamo-nix) (F), Tirol (grenznah in der Finstermünz-Schlucht, Dorferalm nördlich Hinterbichl,Windisch-Matrei, Bergeralpe bei Praegra-ten), Steiermark (A), Trentino Alto-Adige(Campivolo Levi bei Peio im Val di Bres-simo, Molvenosee, Alpe Malgazza und beiNauders) (I). Der aktuelle Zustand vielerPopulationen ist nicht bekannt.

Gefährdung:durch Aufgabe der traditionellen Nutzung istdie Art in Europa vielerorts zurückgegangenund stark gefährdet oder sogar erloschen. InFrankreich und Italien gilt sie «nur» alsgefährdet, in Slowenien und Polen als selten.

Schutzstatus

CH: Rote Liste; F, D; BK, EU/FFH.

Verbreitung und Gefährdung in derSchweiz

Vom sehr seltenen Einfachen Traubenfarnsind nur wenige Fundstellen bekannt, so inGraubünden bei San Bernardino (um den Sau-erbrunnen und am Hang hinter der Mineral-

quelle), ob Casaccia auf einem Alluvion bei«Cavril», bei «Falotta» auf der Alp da Flixüber Sur (ob evtl. verkümmerte B. lunaria?)und im Wallis bei «Ane» auf der Gugginalpim hintersten Lötschental. Die Angabe beiHandegg im Berner Oberland ist fraglich,

Page 7: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

7Botanik

jene auf der Gerschnialp ob Engelberg (OW)ist zu streichen (auf Verbreitungskarte nichteingetragen). Mit Herbarangaben sind im Ver-breitungsatlas (WELTEN & SUTTER 1982)

zudem die Flächen 707 (Lötschental) und 717(Aletschhorn) angegeben. Dazu ist sonstnichts bekannt und es könnte sich um Über-tragungsfehler handeln.

Gefährdung:die Art wurde überall zwischen 1950 und 1971beobachtet, ist aber seither nie mehr festge-stellt worden und gilt als erloschen. Vereinzeltsind durchaus noch unbekannte Vorkommendenkbar und auch ein spontanes Wiederauftre-ten ist möglich.

Bestandesentwicklung:schon immer sehr selten, heute verschollen.

Verantwortlichkeit

Die internationale Verantwortung der Schweizim Alpenraum ist hoch.

Christoph Käsermann © BUWAL/SKEW/ZDSF/PRONATURA 1999

Gefährdungsursachen (an neuen oder potentiellen Fundstellen)

• Bewirtschaftungsänderungen, insbeson -dere Vergandung

• Frass (Schnecken, Vieh), Tritt• Bautätigkeit, touristische Erschliessung• Verbuschung• Sammeln• kleine, isolierte Populationen

Massnahmen

• extensive Bewirtschaftung beibehalten(Mahd, extensive Weide); Bestand darfweder zu stark beschattet noch zu dichtwerden

• Einzelexemplare durch Steine, Zaun oderMaschendraht vor Frass und Tritt schüt-zen

• Priorität der Fundstellen vor Bauvorha-ben und Erschliessung

• entbuschen• allfällige Vorkommen nur den zuständi-

gen Fachstellen bekanntgeben• alljährliche Überwachung allfälliger

Fundstellen; für vollständigen Schutzvorgeschlagen (NHV, z. Z. in Revision)

LiteraturHESS, H.E., E. LANDOLT & R. HIRZEL(1976-1980): Ê Flora der Schweiz undangrenzender Gebiete. 3 vols, 2690 pp. 2. ed.,Birkhäuser Verlag, Basel.

Page 8: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Leitartikel8

Von Dr. HANS BREYER, 7290 Freuden-stadt/Schwarzwald, Musbachstraße 26,aus AHZ, 1970, S. 296-313, 352-361.

Ein anderes Gebiet betreten wir mit der folgen-den, der fünften Schicht. Alles Bisherige hatdie Erscheinungen betroffen, die an den gegen-wärtigen Krankheitszustand gebunden sindund ihn näher bestimmen. Die Arzneimittel-prüfungen ahmen aber auch Erscheinungennach, die, ohne geradezu als krankhaft zu gel-ten, die ganze Reaktionsweise eines Menschenkennzeichnen: auf warm und kalt, auf Wasser,auf das Wetter, auf die Nahrungsaufnahme,seine Bereitschaft zur Verbrennung und Aus-scheidung der Stoffe oder zu ihrem Ansatz,seine Lust an Ruhe oder Körperbewegung, sei-nen körperlichen und seelischen Spannungszu-stand gegenüber der Außenwelt, überhaupt dieArt, wie der einzelne auf die Lebensreize ant-wortet, soweit diese Art in seinem leiblichenBetriebe begründet ist.

Diese Einschränkung ist selbstverständlich;eine in kindlichen Erlebnissen oder einfach inGewohnheiten begründete Unverträglichkeiteines Lebensreizes kann natürlich kein «kon-stitutionelles Symptom» in unserem Sinne seinund auch kein Gegenstand arzneilicherBerücksichtigung oder gar Behebung.

Aber so selbstverständlich diese Einschrän-kung uns heute vorkommt, so schwer ist es imEinzelfalle, die zwei verschiedenen Bedingt-heiten der Symptome zu erkennen. Es müssenin unseren Arzneimittellehren und in unserenklinischen Anzeigen zahlreiche Verallgemei-nerungen von Beobachtungen enthalten sein,die ihren wirklichen Zusammenhang auf ganzanderem Boden gehabt haben als auf arznei-

lichem. DONNER hat in seiner deutschenAusgabe der Hughesschen Arzneimittellehre(S.30 ff.) darauf hingewiesen, daß unsere see-lischen Symptome, übrigens auch andere,sehr oft ohne die gebotene Sichtung gesam-melt worden sind. -

In chronischen Zuständen kann diese Schichtder konstitutionellen Symptome wertvolleLeitfäden abgeben. H. SCHULZ berichtet inseinen «Unorganischen Arzneimitteln» (Vorle-sungen über Wirkung und Anwendung derunorganischen Arzneistoffe, 5. Aufl.Ulm/Donau. 1955. Karl F. Haug Verlag.) vonder Heilung einer über 20jährigen Nesselsuchtmit Kalkwasser, und geleitet wurde er durchden typischen Habitus lymphaticus des Kran-ken (Vorlesungen, S.229), einem Habitus, derallerdings unsere konstitutionellen Kalksymp-tome oft aufweist. Wir dürfen aber nicht ver-gessen, daß Konstitution im klinischen Sinne,Habitus und unsere konstitutionellen Sym-ptome nicht dasselbe sind. Das dunkle WortKonstitution öffnet Tür und Tor für Verwechs-lungen, die unmerklich und doch handgreiflichsind. So hat OEMISCH zuerst einen klinischenKonstitutionsbegriff im Sinne, wenn er (ineiner Abhandlung über die Bewertung derSymptome [Dtsch. Zschr. Homöop. 1921,112]) von der angeborenen Anlage eines jedenMenschen spricht als «dem Tiefsten, was wirbei ihm als die letzte Ursache seiner Krank-heitsbeschwerden annehmen müssen». Er fährtaber fort: «Diese seine Konstitution müssenwir in jedem Falle genau ergründen, wenn wirden Ehrennamen eines Homöopathen verdie-nen wollen», und damit kann er nur unserekonstitutionellen Symptome meinen. Doch inder nächsten Hälfte dieses Satzes setzt er bei-des einander gleich, indem er fortfährt: «und

Grundlagen der Homöopathie: 2. Teil

Schichten der Ähnlichkeit

Page 9: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

9Leitartikel

das Ziel unserer ärztlichen Tätigkeit erreichenwollen: die Ausheilung des Kranken und seineBefreiung von den angeborenen Krankheitsan-lagen.» - Als ob ein Mensch die «Befreiungvon seinen angeborenen Krankheitsanlagen»so billig haben könnte: um ein paar KügelchenHochpotenz der richtig gewählten Arznei!

Die Zahl der Symptome ist durch die 5. Schichtnoch vermehrt worden. Diese Vielzahl derSymptome von jedem Mittel (100-2000!) unddie uferlose Vielzahl der Mittel selber hätte dieMittelwahl völlig unübersichtlich, ja unmög-lich gemacht, wenn sich nicht gewisse Hilfs-mittel herausgebildet hätten, abkürzende,bewertende Erfahrungen: das Gegenstück zuder Verwicklung, die durch die vierte undfünfte Schicht der Symptome verursacht wor-den war. Es ist eben ganz unmöglich, das«Individualisieren» allzuweit zu treiben.Soweit wir mit unserem Intellekt arbeiten, kön-nen wir gar nicht anders als wieder zu allge-meinen Anzeigen zurückzukommen, zu Grup-penanzeigen. In unserer Schule haben wirdabei allerdings den Vorteil auf unserer Seitegehabt, daß unsere Verallgemeinerungen vonallem Anfang an auf therapeutischem Bodenblieben, therapeutische Zusammenfassungengewesen und aus dem ärztlichen Handeln,nicht aus dem rein wissenschaftlichen Erfor-schen herausgewachsen sind.

(Ich sehe hier ab von dem Hilfsmittel derRepertorien und anderer; wir haben es ja nichtmit der Mittelwahl im engeren Sinn zu tun,sondern mit der gedanklichen Verarbeitung derÄhnlichkeit.) -

Die Verallgemeinerungen haben sich bei unsangeschlossen an die Bewertung der Symp-tome. Bewertungen gibt es mehrerlei.

Einmal die kritische. Von jedem Symptommüßte von seiner Aufnahme in eine Arzneimit-tellehre die Vorfrage entschieden sein: Ist seineEntstehung und sein Bericht so hinreichend

verbürgt, daß es als Arzneisymptom vermerktwerden darf ? DONNERS Arzneimittellehrehat an Stichproben gezeigt, daß und warumHAHNEMANN in seinen Arzneimittelbilderndiese Vorfrage nicht immer sorgfältig genuggestellt hat. Das nachzuholen, und namentlichdas Falsche auszumerzen, ist offenbar ein Dingder Unmöglichkeit.

Eine zweite Art der Bewertung könnte erfolgennach dem Gesichtspunkt: Welche Symptomehaben sich therapeutisch hinreichend bewährt?- Auch eine solche schlichte Symptomen-sammlung gibt es meines Wissens nicht.DAHLKES Gesichtete Arzneimittellehrewollte ja so etwas; aber durch ihre absichtlicheBeschränkung auf die eigenen Erfahrungen desVerfassers ist wieder neues Fragliches hinein-gekommen. Eigene Erfahrungen reichen füreine zuverlässige Arzneimittellehre nicht aus.

Alle neueren Arzneimittellehren haben einendritten Weg beschritten: sie haben sich bemüht,aus den vorhandenen Symptomenlisten die all-gemeinen Richtungslinien der Arzneiwirkungzu zeichnen und das darzustellen, was man inunserem Schrifttum wohl das Genus des Mit-tels genannt hat. Kann man das einigermaßenverläßlich zu Ende führen, so verliert ja daseinzelne Symptom in etwas seine entschei-dende Wichtigkeit. Das allgemeine Bild desMittels tritt richtigstellend und wegweisenddafür ein.

Mit dieser Darstellungs- und Betrachtungs-weise hat schon HAHNEMANN den Anfanggemacht. Bei DONNER können Sie dieGedankengänge nachlesen, die HAHNE-MANN seinen Aconit-Symptomen voraus-schickt: «Obgleich die folgenden Symptomenoch nicht die ganze Bedeutung dieser höchstschätzbaren Pflanze ausdrücken, so eröffnensie doch dem nachdenkenden homöopa-thischen Arzte eine Aussicht zur Hilfe inKrankheitszuständen, ich meine die soge-nannten rein inflammatorischen Fieber.»

Page 10: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Leitartikel10

Sie sehen hier HAHNEMANN selber überge-hen von den offensichtlichen Prüfungssymp-tomen zu gemutmaßten, durch Deutungerschlossenen Arzneikräften. Das ist etwasganz anderes, als wir bei der Geschichte desMercurius cyanatus kennengelernt haben.Dort, bei von VILLERS, einfach das klarersichtliche pathologisch-anatomische Bild desdiphtheritischen Gaumens einerseits und dasebenso klare, auffällig ähnliche Bild der Ver-giftung andererseits. Ihre augenscheinlicheÄhnlichkeit wird bemerkt und behufs derhomöopathischen Heilung in umgekehrtemSinn in Bewegung gesetzt, ohne daß ein patho-logisch physiologischer oder klinischer Gedan-kengang darüber hinaus dazwischengetretenwäre. - Hier, bei Aconitum, fragt sich der«nachdenkende Arzt» nach dem Sinn der Prü-fungssymptome, sucht für den Charakter derSymptome nach einem allgemeinen Ausdruck,der natürlich zu seinen (des Arztes) physiologi-schen Vorstellungen paßt, stellt dieser nach-denklich gewonnenen Vorstellung die ebensonachdenklich gewonnene Vorstellung von demvermutlich vorliegenden Krankheitsgeschehenzur Seite und macht damit einen Simile-Heil-versuch.

Ja, eine solche Deutung der Symptome enthältschon stillschweigend die Überzeugung, deraus den Symptomen herausgelesene Allge-meincharakter werde für den therapeutischenÄhnlichkeitsvergleich wesentlicher sein als dasäußerliche Zeichen selber.

(Etwas Entsprechendes gibt es bei den patho-gnomonischen Symptomen. Nehmen wir diereflektorische Pupillenstarre. Sie ist uns nichtals solche wichtig; das Symptom ist ja für denKranken so wenig wichtig, daß er davon nichtsinne wird und keine Störung hat. Erst wir als«nachdenkende Ärzte» sehen dahinter - fallswir eine Amaurose oder eine Atropin-Wirkungausschließen - die schwerwiegende untergrün-dige Veränderung im Zentralnervensystem,die das ganze weitere Schicksal des Kranken

entscheiden wird. Würden wir da auf Grundder «Symptomenähnlichkeit» Atropin wählen,so wäre es ein Pseudosimile, weil wir denganzen Untergrund des Symptoms vernach-lässigt hätten.)

HAHNEMANN schränkt freilich sein Vorge-hen ein: «Um jedoch allen Kurschlendrian vonunserem gewissenhaften Heilverfahren zu ent-fernen, müssen, wo Aconitum gereicht werdensoll, die vorzüglichsten Symptome des Übelsin treffender Ähnlichkeit unter den Aconit-Symptomen zu finden sein.»

HAHNEMANN konnte das sagen bei jeneneinfachen Krankheitszuständen, die er sich zurErprobung seines Heilverfahrens ausgesuchthatte, dem Beispiel des HIPPOKRATES fol-gend. Aber trotz seiner Einschränkung gehtbereits er selber vom schlichten, zutage liegen-den Symptom, das der Kranke berichtet unddas der arzneivergiftete Prüfer berichtet, aufeine darunterliegende Schicht, die er als nach-denkender Arzt vor seinem geistigen Augesieht. Wir lesen bei DONNER weiter (S.56):Dr. QUIN habe 1826 HAHNEMANN gefragt,wie er denn die große Wirkung von Aconitumgegen fieberhafte Zustände entdeckt habe, dasie doch aus den Prüfungsbildern nicht zu ent-nehmen sei. HAHNEMANN habe daraufgeantwortet: daß er diese Wirksamkeit nichtaus Arzneimittelbildern entnommen habe; son-dern bei der Behandlung von entzündlichenZuständen sei er auf die Anwendung von Aco-nitum gekommen durch die Ähnlichkeit, dieeinige Begleitsymptome mit einigen Sympto-men des Arzneimittelbildes von Aconitumgehabt hatten, und dabei habe er gefunden, daßauf Aconitum ein Rückgang der Pulsbeschleu-nigung eingetreten sei und die Fieberzuständenachgelassen haben.

Aconitum war also zunächst einfach ein thera-peutischer Versuchsballon gewesen, auf Grundder homöopathischen Findungsregel, und dannhat die klinische Erfahrung als vis a tergo zur

Page 11: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

11Leitartikel

therapeutischen Gruppenindikation «reininflammatorische Fieber» geführt -, eineAnzeige, die wir heute in bezug auf «die Fie-ber» noch enger fassen würden. -

Weiter: Sie finden bei Aconitum < durch Zug-luft, trockene kalte Winde, bei Rhus < durchDurchnässung, bei Dulcamara < durch naßkal-tes Wetter oder Wechsel zur Kälte.

Das sind Modalitäten, die sich als Leitsymp-tome bei der Mittelwahl bewährt haben, undzwar nicht bloß bei einer, sondern bei mehrer-lei Arzneimittelwirkungen ein und desselbenStoffes. - Es lag nahe, solche beim Heilversuchimmer wieder bewährte, fast durchgehendeModalitäten der Symptome höher und höher zubewerten. Wir denken dann allmählich an Dul-camara nicht nur, wenn wir Symptome wieNeuralgien, Darmkatarrhe, Dysurien, Rheu-matismen vor uns haben mit dieser Modalität,sondern schon, wenn sie durch solche äußerenUmstände verursacht erschienen.

Oder Arnica: Seine Allgemeinwirkungen beiinnerer Aufnahme sind an den Bewegungsor-ganen nicht unähnlich den Empfindungennach mechanischer Beschädigung und Über-anstrengung: Muskelschmerzen wie vonQuetschungen, Schlag, Stoß, Verrenkung; all-gemeines Wehtun im ganzen Körper, als obman verprügelt worden wäre. Halten wirdamit zusammen erstens die Modalität <durch Bewegung, Berührung, Druck, undzweitens die aus der alten Volkspraxisbekannte jederzeit nachweisbar bewährteAnwendung bei Traumen, so verstehen wir,daß sich dem Praktiker aus den Modalitätenund der klinischen Erfahrung allmählich dieweite Anzeige ergeben hat: bei Folgen vonVerletzungen. Ja, Sie finden bei einem sonstso strengen Symptomatiker wie DAHLKEsogar den Zusatz: «Es kann hier helfen, auchwenn die Symptome nicht gerade in dasArnica-Bild fallen.» Oder gar bei CLARKE:«Traumaticum im vollsten Sinne; Traumen inallen ihren Folgen und Abarten, ob frisch oderweit zurückliegend, werden von Arnica wievon keinem anderen Mittel günstig beein-flußt.» Bei BURNETT: «Die Erfahrung hatuns den ungeheuren Wert solcher therapeuti-scher Verallgemeinerungen gezeigt» (in «Dis.of the skin»).

Es ist ohne weiteres klar, daß die Kennzeich-nung von Arnica, die da allmählich aufge-taucht ist, Arnica = Traumaticum, nur gewon-nen werden kann, wenn der nachdenkendeArzt von offenkundigen Symptomen verallge-meinernd übergeht zu den unter dieserSchicht liegenden vermutlichen Richtkräftendes Mittels. Und das gilt für alle die Hinweiseunserer Arzneimittellehre, die zum Beispiel inCLARKES Dictionary: überschrieben sind«Causation», «Ursachen»: Wettereinflüsse,mechanische Beschädigungen, Arzneigifte,Genußgifte, zurückgetretene «vertriebene»Absonderungen und Ausschläge, Schweiße,Menses; Blutverluste, frühere Infektions-krankheiten, Affekte.

Page 12: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Leitartikel12

Die einzige «Verursachung» der Prüfungssym-ptome sind natürlich arzneiliche. Wo alsoirgendeine andere Verursachung genannt undals homöopathische Kennzeichnung beschrie-ben wird - und stichhaltig ist, da verdankt dieAnzeige ihre Entstehung immer einem Über-gang hinab zu erschlossenen, gedeuteten, ver-muteten, unterirdischen Schichten der Ähn-lichkeit. Die maßgebende Ähnlichkeit, dieÄhnlichkeit, von der man sich den Heilerfolgverspricht, liegt dann eben nicht in den zutageliegenden Symptomen selber, obwohl sie auchdarin irgendwie angedeutet sein sollte, sondernwird vermutet in der Ähnlichkeit des Rhizomsder Krankheit einerseits mit den untertag lau-fenden Kraftlinien des Mittels andererseits.

Vielleicht macht ein Vergleich den Unterschiedzwischen dieser sechsten Schicht der Ähnlich-keit und den fünf bisherigen klarer. Die erstenfünf wären zu vergleichen der Bildnisähnlich-keit, die eine Karikatur, eine Skizze, ein Schat-tenriß, ein Gemälde von BISMARCK gebenkönnen: «Außenprojektionen». Ein Bildnisvon BISMARCK auf unserer sechsten Schichtmüßte der Historiker zeichnen, und eines aufder siebten schließlich ein gleichgenialer Tie-fenpsychologe.

Die Ähnlichkeit vor allem auf der drittenSchicht ist eine Ähnlichkeit in den «Auslauf-Symptomen» SCHLEGEL hat es in seinemKrebsbuch (Aufl. von 1927, S.185) so ausge-drückt: «Die Naturerscheinungen, auf welchewir uns stützen, sind Enderscheinungen orga-nischer Vorgänge und sind reife Früchte einesBaumes von verflochtenen Kraftzügen.»

Das gilt ganz gewiß ohne Einschränkung fürdie Modalitäten, die Fernwirkungen und diesubjektiven Symptome. Daß wir an ihnensichere arzneiliche Führungen haben - inner-halb des etwas zu breiten Raumes der nosologi-schen Zuordnung -, hat uns ja STIEGELE amKapitel der Verdauungsstörungen gezeigt. Wirkonnten den Schritt förmlich spüren, wie er da

immer wieder von der dritten und viertenSchicht überging zu einer versuchten Deutungdessen, was hinter der veränderten Selbstfüh-lung (das sind die subjektiven Symptome) undhinter den «Außenprojektionen» (das sind dieobjektiven Symptome) hier des Kranken, dortdes geprüften als Gemeinsames steckenkönnte, als eine zusätzliche Ähnlichkeit in denuntergründigen Bahnen.

Aber in vielen Krankheitszuständen - «Leiden»hat sie BRAUCHLE genannt im Unterschied zuden anderen - sind die Auslaufsymptome dochrecht entstellt, sind weit weg von der funktio-nellen Betriebsstörung, die ihre erste Ursachegewesen ist. Die Entwicklung eines Myoms,eines Karzinoms, einer Ozaena, einer Perni-ciosa, einer Steinbildung pflegt nicht bloß beimunempfindlichen Kranken, sondern auch beimregelrecht empfindenden Menschen sehr langekeine ihm oder anderen wahrnehmbare Symp-tome zu machen; und die, die sie im ausgebil-deten Zustande machen, sind hinterherigeSymptome und sind einer Mittelwahl für dasGrundübel kaum je dienlich.

Und so sind denn Tumoren und chronischeHautausschläge nicht bloß der Arzneiheilungschwer zugänglich, sondern schon der sauberenMittelwahl. Wir sind gerade bei diesen Leidenöfter als sonst darauf angewiesen, eine Mittel-wahl auf der sechsten Schicht zu versuchen.

Sie wissen alle, daß wir in der Homöopathiegerade für die Hauterkrankungen und dieTumoren konstitutionelle Erwägungen immerhochgehalten und arzneiliche Heilversuchefortgesetzt haben, durch die Jahrzehnte hin-durch, wo man sich mit solchen Versuchen inden Augen der Kollegen nur lächerlichmachen konnte. Wir wissen indessen ebendarum selber nur allzugut, daß unser Rüst-zeug für dieses hochgesteckte Ziel noch inden Anfängen steckt, mit andern Worten: wirkönnen unsere Homöopathie auf der sechstenSchicht noch wenig handhaben.

Page 13: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

13Leitartikel

STIEGELE hat in seinen Beiträgen zurBehandlung der Psoriasis (Dtsch. Zschr.Homöop. 1922: 352) darauf hingewiesen,daß wir bei ihrer Behandlung uns im ganzenviel zu sehr auf die üblichen Wege der Mittel-wahl beschränkt und andere Wege kaum inErwägung gezogen haben. Auch wir starrten,sagt er ungefähr, beim Überlegen derBehandlungsmöglichkeiten auf die Haut alsden Sitz des Krankheitsvorganges, faßten zusehr die Stelle des Krankheitsauslaufes insAuge, dachten nicht an die Krankheitsent-wicklung und suchten ein Simile des Krank-heitsauslaufes, wo doch ein Simile derKrankheitsentwicklung mehr versprochenhätte. So schlägt er sich - wie BURNETT -seitwärts, betritt Neuland und macht Heilver-suche mit Berberis aquifolium, einem Mittel,das, kaum geprüft, wohl einige Organotropiezur Haut hat, hauptsächlich aber sich ihmempfiehlt durch Familienbeziehungen zu«unvollständiger innerer Metamorphose derStoffe», die hinter der Psoriasis vermutetwerden kann. Und die Fälle sprechen daraufschöner an als auf die üblichen Mittelwahlen.- Er erinnert auch an die «übermäßige Beto-nung der Krampfgifte bei der Behandlung derEpilepsie. Wie häufig werden sie empfohlen,und wie häufig haben sie uns im Stiche gelas-sen. Das fällt nicht mehr auf, wenn man darandenkt, daß diese Mittel ihr Recht, bei Epilep-sie angezeigt zu sein, nur aus dem explosivenEndstadium einer in ihrer sonstigen Genesevom Bild der Krampfgifte gänzlich ablaufen-den Erkrankung herleiten». Wir fallen ebenvor diesen Aufgaben oft und viel einfach aufein oberflächliches Pseudo-Simile herein,gerade wie wenn ein Anfänger in der Homöo-pathie Tabikern Atropin oder Eserin wegender Pupillenstarre geben wollte. Damit, daßwir uns vor diesen Pseudo-Similia hüten wol-len, ist unsere Aufgabe freilich nur klarer,aber nicht leichter. Die Anhaltspunkte, die zueiner besseren Mittelwahl leiten könnten,sind spärlich und unscheinbar. Sie sindgerade gut genug, irgendwelche Probeannah-

men zu machen, und es bedarf dann desgeduldigen Zusammensetzens der klinischenErfahrungen, bis man dieser «verlagertenÄhnlichkeitsbeziehung (STIEGELE) einiger-maßen sicher ist. HAHNEMANNS heißerstrebtes Ziel in den chronischen Krankhei-ten war nichts anders als das, durch das Vor-hangmuster der Symptome hindurch einensicheren Einblick zu gewinnen auf das Grun-dübel der Krankheit, wie er es nennt, unddementsprechend auch auf die Grundkraftdes Heilmittels.

Das, was wir bei unseren Mitteln in dieser Hin-sicht mühsam erschließen möchten, ist uns beiden Nosoden von vornherein gegeben: dieinnere ätiologische Beziehung zum vorliegen-den Krankheitszustand. Das wäre die siebenteSchicht der Ähnlichkeit. Wählen wir dieseNosoden auf Grund der klinischen Diagnose,so brauchen wir uns offenbar an die Symp-tomähnlichkeit nicht allzu streng zu halten, wirwissen ja von vornherein, daß sie irgendwievorhanden sein muß. Doch sind die meistenNosoden, soviel ich weiß, auch geprüft.

Beispiel: Ein Fall von KRÖNER (Dtsch.Zschr. Homöop. 1914: 38): Fieberhafter Abortmit Blutungen, Ausschabung durch den zuerstzugezogenen Arzt, Schüttelfröste, hohesremittierendes Fieber, jauchiger Ausfluß;Exsudat bei der sehr großen Druck-empfind1ichkeit des Bauches nicht nachzu-weisen. 5 Wochen nach dem Abort wurdeKRÖNER zugezogen. Pyrogenium D30 undBelladonna D3. Entfieberung in 24 Stunden.Nach 6 weiteren Tagen gesund entlassen.KRÖNER fügt hinzu: «Der Fall allein beweistnatürlich noch nichts, da das Fieber auch spon-tan nachlassen konnte. Ich würde auch aufdiese Krankengeschichte allein nicht den Wertlegen, wenn sie die einzige der Art wäre. Nunhabe ich aber dieselbe Wahrnehmung bei zumTeil schweren Puerperalfiebern mindestensein halbdutzend Male gemacht, die alle in der-selben Weise verliefen: nach einem hartnäcki-

Page 14: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Leitartikel14

gen Fieber, das jeder Lokalbehandlunggetrotzt hatte, schnelle Entfieberung innerhalb24 Stunden nach Pyrogenium. Noch bemerkeich, daß dasselbe Mittel mich bei anderen sep-tischen Zuständen als solchen puerperaler Art,stets im Stiche gelassen hat.» - Pyrogenium istja ein Ergebnis der Eiweißfäulnis; gemäß sei-ner Gewinnung ist zu erwarten, daß eshauptsächlich bei putrider Sepsis hilfreich ist,nicht bei den vielen anderen Formen. Außer-dem wird es auch da geschätzt, wo typhöseFieber, Faulfieber, wie man sie wohl frühergenannt hat, aus der Vorgeschichte eine Rollespielen.

Hierher, vielleicht auch noch halb und halb zursechsten Schicht, gehören Gedankengänge, dieAMEKE vor vielen Jahren zu erproben begon-nen hat. Sein Versuch ist 1882 in der Zschr.Berl. Ver. homöop. Ärzte erschienen (S.323und 411 ff.). AMEKE (Die Schriftleitung hatAMEKES Aufsatz in wirklich vorbildlicherVorurteilslosigkeit unverkürzt aufgenommen,obwohl er den ganzen Grundsatz Similia simi-libus in sehr entschiedener Stellungnahmeablehnt, auf eine Selbsttäuschung HAHNE-MANNS zurückzuführen und sonderbarer-weise nur die kleinen Dosen als brauchbareErrungenschaft der Homöopathie gelten lassenwill. AMEKE hat seine Stoffe (körpereigeneStoffe!) in C3 bis C4 gegeben. - Aber in seinen3 Sätzen findet sich 2mal «unter Umständen»und 3mal die potentielle Ausdrucksweise. Hierist eben der Platz für unser Similia similibusauf der sechsten und siebten Schicht.) faßt dasErgebnis seiner Versuche und seiner Überle-gungen in 3 Sätzen zusammen:

1. «Die im menschlichen Organismus vorkom-menden chemischen Verbindungen könnenunter Umständen wertvolle Heilmittel sein.»

2. «Die in einem bestimmten Organe oderGewebe gefundenen chemischen Verbindungenkönnen unter Umständen bei Erkrankungenderselben zu Heilmitteln verwandt werden.»

3. «Die in einem bestimmten Krankheitsherdevorkommenden oder vermehrt darin vorkom-menden chemischen Verbindungen könnengegen eben diese Krankheiten als Heilmitteldienen.»

Von seinen Stoffen nenne ich Urea, Xanthin,Hippursäure, Leucin, Cholesterin. Cholesterinhat BURNETT sehr geschätzt, wie denn BUR-NETT selber diesen «Probeannahmen» einesehr große Bedeutung beigelegt und AMEKESArbeit in den englischen Zeitschriften bekannt-gemacht hat. - Thyreoidin (mit unserer Indika-tion bei Basedow) gehört hierher, in diesegewiß in sich selber noch mannigfaltigeSchicht der Ähnlichkeit, überhaupt diegesamte künftig kommende Homöopathie derHormone.

Wer einmal gesehen hat, welche VerheerungSanarthrit in einer von biologischen Erwägun-gen unberührten Anwendung machen kann,ahnt etwas von der heimtückischen Gewalt sol-cher Wirkstoffe und wird ihnen folgerichtig inanderer Handhabung wertvolle Hilfskräftezugestehen. Wer sie als «allopathischer» Arztanwenden will, darf es nur tun in der gespann-ten Aufmerksamkeit des Großstadtfahrers,bereit und in der Lage, sein gefährliches Fahr-zeug augenblicklich abzubremsen. -

Unsere «Domestikation» einerseits, die Hor-monindustrie andererseits, beides ausgebreitetüber ungehemmte, undurchschaute Genuß-triebe, werden hormonale Mißwuchserschei-nungen in ungeahntem Maße herbeiführen.Wir werden eine Homöopathie der Hormonenotwendig brauchen.

Hat es nun einen Zweck, die Ähnlichkeit derartzu zerlegen?

Einmal könnte die Arzneimittellehre unter demGesichtspunkt der Ähnlichkeitsschichten man-che willkommene Vereinfachung erfahren. Ichwenigstens bin auf diese Zerlegung nur gekom-

Page 15: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

15Leitartikel

men, weil ich für unverbundene Einzelheitenein ganz schlechtes Gedächtnis habe und nacheinem Faden suchte.

Unzweifelhafte Vorteile hat aber diese Betrach-tung, wenn wir uns über unser therapeutischesHandeln Rechenschaft zu geben versuchen.Noch kurz einige Nutzanwendungen nach die-ser Hinsicht.

Sie lesen in allen unseren Büchern und Zeit-schriften, in den älteren, guten, erst recht, daßzu einem homöopathischen Heilerfolg dieÄhnlichkeit in der Gesamtheit der Symptomegehöre. In HAHNEMANNS theoretischenAuffassungen vom Heilgeschehen ist seineBetonung begründet, daß jeder einzelneKrankheitsfall am gewissesten, gründlichsten,schnellsten und dauerhaftesten vernichtet undaufgehoben werde nur durch eine Arznei, diedie Gesamtheit seiner Symptome am ähnlich-sten und vollständigsten selbst zu erzeugenfähig sei (Organon, 6. Aufl., §271. - HAHNE-MANN gebraucht hier 6 Superlative, und mitdiesen 6 Superlativen ist der Satz ohne Ein-schränkung richtig. Superlative aber schließenKomparative ein; schon der Mittelpunktsbe-griff «ähnlich» kann ja nur ein «mehr oderweniger ähnlich» sein.

Der gutwillige Anfänger, der diese Forderungvon der Gesamtheit der Symptome heutzutage,mit unserem heutigen Wissen von den Krank-heiten, buchstäblich nähme, müßte verzwei-feln; und der Fortgeschrittene erst recht, da erdie Schwierigkeit oder Unmöglichkeit einersolchen Mittelwahl noch weit mehr kennt. ImLichte unserer heutigen Betrachtungen müßtenwir zudem sagen: eine Mittelwahl, die dieGesamtheit der Symptome umfassen sollte,müßte schlechterdings allschichtig, bei Infek-tionskrankheiten siebenschichtig das Similli-mum sein. Das ist ganz unmöglich! - Ich erin-nere mich, wie lange ich brauchte, diesenKinderschreck zu überwinden und allmählichzu erkennen, daß auch unsere besten homöopa-

thischen Ärzte die Suppe ihrer «Totalität» mitWasser kochen mußten. Nur die frühestenhomöopathischen Ärzte konnten die Forderungerfüllen, und nur in ihrem damaligenbeschränkten Sinne. Gerade diesen Väternunserer Lehre war die Ähnlichkeit nur auf derdritten bis vierten Schicht erfüllbar. Von derOrganotropie der Arzneimittel hat man, sovielich weiß, gerade in ihren Kreisen wenig gere-det. Sie wählten ihre Mittel zunächst auf derersten und dritten, nach und nach auch nochauf der vierten Schicht, und die fünfte war erstin langsamer Ausarbeitung begriffen. Dabeiwar das positive Wissen um die objektivenpathologisch-anatomischen oder auch klini-schen Symptome doch viel geringer und unsi-cherer, als heute jeder Praktikant mitbringt;keine einzige Spiegeluntersuchung war ausge-bildet. So konnten sie die Ähnlichkeit auf derdritten und vierten Schicht, namentlich in densubjektiven Symptomen, fast beliebig steigern,unbeschwert wie sie waren von den noch unge-wußten, aber darum nicht minder wichtigenKenntnissen (das sind Symptomenbeschaffen-heiten), die wir heute in Form von patholo-gisch-anatomischen, epidemiologischen undklinischen Erfahrungen in jeden unserer Kran-ken hineinsehen müssen und mit Hilfe unsererUntersuchungsverfahren zum Teil auch wirk-lich feststellen.

Nein, sogar einschichtige Mittelwahlen sindsoundso oft von sehr schönem Erfolg, ohnejede Rücksicht auf die «Gesamtheit» derSymptome, falls sie sich eben auf einenwesentlichen Zug der Krankheit stützten,wenigstens in einfachen Krankheitsfällen, diein sich selber unverwickelt sind.

1. Beispiel: In einem Armenhaus wurde ichneben anderen Grippekatarrhen auch zu einemhochfieberhaften Alten gerufen; der klagteneben den üblichen Symptomen über seinenzähen Schleim. Aushusten konnte er gar kei-nen, es war auch keine Bronchitis da, aber inseinem hochroten Rachen hinten hingen wirk-

Page 16: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Leitartikel16

liche Schleimsträhnen herum, zäh fast wieGummifäden. Durch Räuspern konnte er sienicht herausbringen, sondern nur so, daß er mitseinen Fingern hineinfuhr und sie herauszog,wirklich zog. Kalium bichromicum D4 besei-tigte diesen Zustand in 2mal 24 Stunden ohnejede andere Anwendung. Ähnlich schön, wennauch nicht ganz so rasch wirkte es bei dersel-ben Schleimbeschaffenheit eines kindlichenMittelohrkatarrhs. Auch da konnte die schlei-mige Absonderung halbmeterlang aufgehas-pelt werden.

Den schönsten Erfolg, den ich je bei einemKeuchhusten sah, hatte ich mit Coccus cactiD3: Die Kinder entleerten bei ihren morgend-lichen Hustenanfällen große Massen glasigenSchleims, der langeFäden bis auf denBoden zog. Dieganze Pertussis warvon da an in 8 bis 10Tagen fast restlosweg. -

2. Beispiel: Eine ein-schichtige Mittel-wahl in einem ver-wickelteren Zustand(H. GOULLON inZschr. Berl. Ver.homöop. Ärzte 1888: 274): Eine Anfang dersechziger Jahre stehende Frau, die schon voreinigen Jahren schwere Anfälle von Anginapectoris gehabt hatte, leidet seit längerer Zeitan Kopfschmerzen. Ihre eigenen Worte:«Kein Tag, keine Nacht mehr ohne Kopfweh,immer die alte Geschichte. Nachts um 3 oder4 Uhr erwache ich mit dem rasenden Druckauf dem Kopf, nach einigen Stunden setztsich der Schmerz über und hinter einem Augefest; habe ich Glück, so verliert er sich gegenMittag, im andern Fall dauert er bis 17 oder18 Uhr.» Viele ärztliche Berühmtheiten warenim Laufe der Zeit zugezogen worden, unteranderem auch der Leibarzt der Königin von

England, stets ohne irgendeinen Erfolg.GOULLON selber hatte schon geraume Zeitversucht, den Schmerz zu lindern; Thuja 30,Ignatia («muß das richtige Mittel sein»),Apis, Coffeinum citricum, der längereGebrauch von antipsorischen Mitteln Silicea,Lycopodium, Sulfur, Arsenikwasser, Kissin-gen, Lithion salic., nichts brachte eine Ände-rung, in eintöniger Beharrlichkeit lauteten dieBerichte: «Wieder einen rasenden Anfall vonKopfschmerzen, so daß ich den ganzen Tagliegen mußte»... «habe kaum einen freienTag; immer Kopfweh und immer Kopfweh.» -Endlich hilft, und zwar dauernd, SanguinariaD2 und macht die Kranke «zum glücklichstenMenschen auf der Welt». Nur D2 half, D4, 6und 30 wirkten nicht. - Diese Mittelwahl war

rein symptomatisch, ein- oder höchstenszweischichtig, verzichtete auf jeden unter-gründigen Gedankengang und ließ die Anginapectoris ganz außer acht. Und doch!

3. Beispiel: Ein Gegenstück, ein Fall vonBURNETT, aus seinen «Fünfzig Gründen»:«Vor ein bis zwei Menschenaltern wurdeCondurango als Mittel gegen den Krebsgerühmt, aber es dauerte nicht lang, da war eswieder vergessen, Condurango, sagte ich mir,heilt gewiß nur eine ganz besondere Art vonKrebs, nicht aber jeden Krebs. Wie ausfindigmachen, welche bestimmte Art? Wir müssendas Mittel am gesunden Menschen prüfen.

Page 17: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

17Leitartikel

Daher verschaffte ich mir Condurangorinde,machte einen Aufguß und nahm ein. Ich fandunter anderem auch, daß es Aufspringen derMundwinkel bewirkt. - Bald darnach kameine Frau in mittleren Jahren mit Krebs derlinken Brust zu mir. Diese Patientin hattemerkwürdigerweise auch einen tiefen Riß imMundwinkel links mit dick geschwollenenund verhärteten Rändern, also wahrscheinlichauch Epithelkrebs der Lippe. - Ununterbro-chen 3 Jahre lang nahm die Patientin Condu-rango in homöopathischer Verdünnung unterallmählicher sehr langsamer Besserung, biszuletzt völlige Heilung eintrat, die nun schon8 Jahre anhält.»

Diese Mittelwahl wurde BURNETT nahege-legt zunächst durch eine vermutete, aufEmpirie gestützte Bezeichnung des Mittelszum Epithelkrebs -, eine Annahme auf unse-rer sechsten Schicht; dazu kamen ebenfallsnur wahrscheinliche organotrope Beziehun-gen des Mittels zur Mamma einerseits, zurHaut andererseits, namentlich zu den Stellender Haut, wo die Epidermis übergeht inSchleimhaut- oder Innenepithel. Also nur ent-fernte Wahrscheinlichkeiten. Doch könnenwir verstehen: wenn BURNETT am eigenenLeibe deutlich - und sicher lästig genug -gespürt hat, daß Condurango zum Mundwin-kel läuft, dort an den Grundzellen desgeschichteten Plattenepithels beharrlich bohrtund die Ordnung stört -, dann können wirseine Zuversicht verstehen, das Mittel werdeauch in der Kranken dorthin gehen und (ineiner abgeschwächten Dosis), statt die Ord-nung zu stören, Ordnung schaffen. So großwar seine aus der eigenen Prüfung hervorge-gangene Zuversicht, daß er 3 Jahre nur dieseseine Mittel gab, trotz der «sehr langsamen»Besserung. - Beachten Sie: In der ganzen the-rapeutischen Erwägung ist kein Symptom derersten, dritten, vierten und fünften Schichtberücksichtigt. - Eine ganz unklassischeHomöopathie im landläufigen Sinne, aberallerbeste Homöopathie im Kerne.

Die Fälle liegen eben immer wieder anders undkehren dem homöopathischen Therapeuten unddem Arzt überhaupt immer wieder andereAngriffsflächen zu, die er ausnützen kann undmuß, wie der Soldat sein Vorgehen demGelände anpassen muß. Zu dieser Anpassunghaben wir homöopathischen Ärzte Ähnlich-keitsbeziehungen auf den verschiedenen heutebesprochenen Schichten zur Verfügung; woSymptome der dritten und vierten Schicht feh-len oder wo sie dem Wesen des Krankheitsfallesnicht entsprechen, da müssen wir auf andereSchichten hinaus oder hinab steigen. Nicht nurbei den verschiedenen Fällen, sondern oftgenug auch in einem und demselben Falle:

BURNETT (Dis. of the Liver, 2. Aufl., S.143ff.): «Rein symptomatisch gewählte Mittel rei-chen nicht gar so weit und sind nur dann vongutem Wert, wenn die Krankheit und ihreSymptome sozusagen identische Begriffe sind.Sind sie das nicht, so kann das klassischeSimile der Symptome auch das Simile derKrankheit sein, kann es aber auch nicht sein. Istes das Simile auchder Krankheit selber, so haben wir eine Hei-lung, bei der nichts zu wünschen übrig ist. Istes aber nur ein Simillimum der augenblickli-chen Symptome, so können wir fortfahren, denKranken zu «heilen», bis er - stirbt.

Wenn die Homöopathie Fortschritte machensoll, so müssen wir der Notwendigkeit insAuge sehen, hinter die Symptome zu kommen.«Mit anderen Worten: es genügt bei weitemnicht immer, das Simile auf der dritten undvierten Schicht zu finden. Sehr häufig mußeine Ähnlichkeit auf der sechsten oder sieben-ten Schicht erstrebt werden.

Die sechste und die siebente Schicht, das sindu. a. auch die Schichten der Probeannahmen.Wieder BURNETT (Med. Treatm. of Dis. ofthe Veins): «Es ist erstaunlich, wieviel Pflöckebereit sind, therapeutische Probeannahmendaran zu hängen: PARACEESUS, HAHNE-

Page 18: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Leitartikel18

MANN, RADEMACHER, GRAUVOGL,VIRCHOW, AMEKE, GUTTZEIT - «alle kön-nen weiter helfen!» - Erstaunlich und nichterstaunlich, wie man’s will. Nicht erstaunlich,weil jeder der zitierten Geister irgendwo dieärztlichen Dinge recht sah und recht hatte. Nurden vermeintlichen Schlußstein ihrer Systeme,den könnte man allen Denkern, ob es nun Phi-losophen sind oder Ärzte, billig lassen, dennder bricht immer heraus: den Schlußstein derSysteme - straft das Leben immer Lügen.

Bei den chronisch «Kränklichen» sind fastimmer Verwicklungen vorhanden; da ist dasLeiden selber oft vielschichtig überlagert undwieder überlagert. Jeder von uns bräuchte zuihrer Behandlung Leitern von Mitteln, wieBURNETT einmal nachdenklich sagt, an einerschönen Stelle seiner «Fünfzig Gründe», imAnschluß an eine Starheilung (36. Grund), Lei-tern (nicht Komplexe!), an denen der Arzt auf-und absteigt, eben auf unseren Ähnlichkeits-schichten, und die er immer wieder an andereSeiten des kranken Zustandes anlegt, auch,wenn es sein muß, immer wieder mit anderentherapeutischen Probeannahmen.

Beispiel: BURNETT behandelte eine jungeDame an «Leberschwellung» (Wem diese Dia-gnosen zu unbestimmt sind, der möge beden-ken, daß die Veröffentlichungen, aus den 80erJahren stammen.), auch harre sie eine Landkar-tenzunge, verschiedene Arten von Kopfschmer-zen und Schielen. Die Leber wird zuerst durcheinige Hepatica gut (Carduus, Chelidonium,Natrium sulfuricum, Taraxacum; zweite undvierte Schicht), die Landkartenzunge bleibt,wohl fühlt sich die Kranke auch noch nicht, undvon ihren Kopfschmerzen war nur die Art bes-ser, die sie selber ihre Gallenkopfschmerzennannte. Erst unter Thuja 30 einen Monat lang(sechste Schicht, BURNETTS Vaccinosis) wur-den ihre neuralgischen Kopfschmerzen besserund ging die Landkartenzunge weg. Die 3. ArtKopfschmerz, die mit ihrem Schielen zusam-menhing - wohl ein asthenopischer oder amb-

lyopischer - blieb, aber Glonoinum und Gelse-mium taten dem wenigstens gut - vierteSchicht. (Dis. of the Liver. 2. Aufl.,S. 61.)

BURNETT fährt fort: «Diese Überlegungenzeigen, daß es Krankheitsfälle gibt, die unmög-lich mit einem Mittel geheilt werden können;und insofern ihre Symptome je für sich Teiler-scheinungen verschiedener Verursachungensind, ist der Versuch, die vorhandenen Symp-tome in ihrer Gesamtheit zu «decken», vonvornherein zum Scheitern verurteilt.

Mir ist das Rademachersche Verfahren, dieOrgane anzugehen, in der alltäglichen Praxisein unschätzbarer Ausweg. Gehe ich ein Organmit seinem «Appropriatum Paracelsi» an, undschwindet dann die eine Reihe von Sympto-men, wogegen andere bleiben, so setzt michdas instand, allmählich den verwickeltstenSymptomenknäuel aufzurollen und schließlichunter Umständen ein Simile oder gar Similli-mum für das Grundübel zu finden. - Mir ist esGrundsatz geworden, peinliche oder gefährli-che Organzustände so schnell wie möglich miteinfachen organotropen Mitteln zu behebenoder zu erleichtern und die fernerliegenden,vielleicht auch tiefergehenden späterer Sorgeund Behandlung zu überlassen, sei es - wennmöglich - mit ihrem pathologischen, sei es mitihrem ätiologischen Simile.»

BURNETT schreibt das in einem Buch überdie Krankheiten der Leber. Da, wo er über diearzneiliche Behandlung von Tonsillen-Hyper-trophien, von schwächlichen, zurückgebliebe-nen Kindern spricht, da stellt er selbstver-ständlich die Diagnose und die Behandlung«sedis morbi» in den Hintergrund und beginntnicht mit Organmitteln, sondern fast stets mitMitteln unserer sechsten und siebentenSchicht.

Wir sind mit unseren Schichtenbetrachtungenam Ende. Ich hoffe, Ihnen durch diese Über-

Page 19: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

19Leitartikel

sicht für Ihre homöopathischen Bemühungeneine gewisse Erleichterung gegeben zu haben.An und für sich werden diese Gedankengängeschon durch unseren Mittelpunktsbegriff Ähn-lichkeit nahegelegt. Wie der Maler sein Bildnisvon verschiedenen Seiten nehmen und mit ver-schiedenen Hilfsmitteln fertigen kann unbe-schadet der Ähnlichkeit, so können auch wirunsere Kranken von verschiedenen Seiten neh-men und bleiben doch innerhalb der Ähnlich-keit. Lassen wir nochmals BURNETT spre-chen: «Dazu brauchen wir Organotropie,klassische Homöopathie, Amekeanismus, ein-fache Empirie, ja sogar luftige Theorien in infi-nitum, wenn ausgeschöpft werden soll, wasmöglich ist, das heißt was uns an Möglichkei-ten die Ähnlichkeitsregel in ihrer weiteren Auf-fassung in die Hand gegeben hat.»

Nachbemerkung von der Schriftleitung,Heinz Schoeler.

Hans BREYER, der in Freudenstadt imSchwarzwald lebte, wirkte und dort auch imJahre 1967 im Alter von 88 Jahren starb, warein arbeitsamer erfolgreicher und von seinenPatienten geliebter und hochgeachteter homöo-pathischer Arzt, der seine Freizeit - als Künst-ler, wie so mancher Arzt - erfolgreich derMalerei widmete.

Er ist der Verfasser seiner berühmt gewordenenArbeit, deren Titel «Schichten der Ähnlich-keit» im homöopathischen Schrifttum, in Vor-trägen, Fortbildungskursen und im Ein-führungsunterricht zu einem feststehendenBegriff geworden ist. Die Arbeit erschiendamals in der Zeitschrift Hippokrates (7, S.640, 688, 712) und wurde dann wegen ihrerWichtigkeit in der Dtsch. homöop. Mschr. 4[1953]: 269, 340, 415 erneut zum Abdruckgebracht. Kein Geringerer als unser großerHistoriker Rudolf TISCHNER trat 1959 in derAHZ für einen nochmaligen baldigen Wieder-abdruck dieser wichtigen Arbeit ein.

Martin STÜBLER hat BREYERS Gedan-kengänge zur Basis seiner Arbeit «Das Erler-nen der Homöopathie» (AHZ 212 [1967]: 452)auserwählt. Um nun dem homöopathischenNachwuchs, der zur älteren homöopathischenLiteratur oft nur schwer Zugang hat, diesebedeutende Arbeit nahe zu bringen, haben wiruns entschlossen, sie hier noch einma1 voll-ständig zum Abdruck zu bringen (2 Teile).Heinz Schoeler, Schriftleitung AHZ.

Zusammenfassung von Lukas Bruhin:

1. SchichtArndt-Schulz’sche Regel. Heiß - Kalt.

2. SchichtOrganotropie. Chelidonium - Leber.

3. SchichtToxikologie. Sitz und Art der Störung.(Chloralhydrat, Merc-cyanat.)

4. SchichtSie umfaßt diejenigen Züge des Krankheitsbil-des, die es über seine typische allgemein noso-logische Zugehörigkeit hinaus zu einem per-sönlicheren, eigenartigeren Bilde machen.

5. SchichtDie ganze Reaktionsweise des Menschen.Konstitutionelle Betrachtung. Richtungsliniender Arzneiwirkung. Genus des Mittels. Durchnachdenklich gewonnene Vorstellung. Unter-grund der Symptome.

6. SchichtPathologisch-Anatomische Bildungen. NichtEntwicklungssymptome, sondern die Produktewerden miteinander verglichen.

7. SchichtNosoden. Ätiologische Grundbeziehung zumKrankheitsprozess.

Page 20: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Arzneimittelbild20

Familie der Ranunculaceae (Hahnenfuss-gewächse)

Diese zauberhafte Winterpflanze, auch Chri-strose genannt, ist vorwiegend in Süd- undWesteuropa in Buchenwäldern, im Krumm-holz, an Waldrändern und in steinigen Mattenanzutreffen.Der Gattungsname «Helleborus» wird vomgriechischen Fluss «Helleborus» bei derStadt Antikyra abgeleitet, wo die Pflanze inder Antike ihren Standort hatte. Der Beiname«niger» bezieht sich auf den schwarz-brau-nen Wurzelstock.Das Pulver der schwarzen Wurzel wurdefrüher als Schnupftabak verwendet, woraussich der deutsche Name «schwarze Nies-wurz» ergab.

Die Christrose ist schon im Altertum zuBerühmtheit gelangt. Ein Ziegenhirt namensMelampus soll mit dieser Pflanze die Tochterdes Königs Proitos von Tirynus vom Wahn-sinn geheilt haben.

Verwendet wird nach Hahnemann (RA,Bd.3): «Der mit Weingeist zu gleichen Theilengemischte Saft der frischen und die geistigeTinctur der trockenen Wurzel des Helleborusniger.»Diese Urtinktur wird dann in die gängigenPotenzen verschüttelt.

Helleborus ist ein starkes Nervengift undangezeigt bei darniederliegender Vitalitätund schweren Krankheiten. Charakteristisch ist die Stumpfheit, sowohlder geistigen, wie auch der sensiblen undmotorischen Fähigkeiten. Die Muskeln verweigern den Dienst, wenn

man sich nicht dauernd auf sie konzentriert,man schwankt beim Gehen, lässt Gegen-stände fallen usw. Es kann zu tonischen und klonischen Krämp-fen und nachfolgenden Lähmungen kommen. Durch die Dämpfung des Sympathicus zei-gen sich Anämie oder Abmagerung, Kapilla-rerweiterungen, Stauungen und seröseErgüsse. Auch das Herz kann, ähnlich wie bei Digita-lis, durch Lähmungen des Myocards, undStörungen infolge Ausschaltung der Anre-gung durch die Herzganglien, gestört werden. Die Sinne werden stark gedämpft, gestellteFragen werden nicht richtig verstanden undlangsam beantwortet.Er sieht richtig, aber begreift nicht was ersieht. Das Gehör ist, ohne ersichtlichenGrund, gestört und der Geschmackssinnfehlt. Er möchte arbeiten, aber die Muskel-kraft dazu fehlt. Der Kranke sagt, tut, denktnichts.Helleborus passt mehr zu passiven oder mur-melnden Delirien, im Gegensatz zu Bell. oderStram. die heftige Delirien zeigen. DerKranke liegt in echter Stumpfheit auf demRücken mit halb geschlossenen Augen undmattem, starrem Blick, rollt den Kopf nachlinks und rechts bei offenem Mund undtrockener Zunge. Dabei zupft er ständig anKleidern, Lippen und Nase oder Bettdecke.Dieser Zustand kann sich über lange Zeitdahinziehen, und der Kranke magert allmäh-lich ab.

Arzneimittelbild

Schwarze Nieswurz – Helleborus niger

Page 21: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

21Arzneimittelbild

Zähneknirschen

Versuch zu fliehen

Kopf ins Kissen bohren

Dauernde Bewegung des linken Armes und Beines

Verschlimmerung von 16 Uhr bis 20 Uhr

Kreischen vor oder während Spasmen

Wassersucht nach Scharlach

Stumpfheit

Betäubte Sinne

Lippen trocken und rissig

Speichelfluss reichlich; Kaubewegungen

Atem stinkend

Ap., Bell., Cann-i., Cic., Cina, Hell., Phyt., Phell., Santin., Spig.,

Tub., Zinc.

Bell., Hell.

Ap., Bell., Hell., Podo.

Apoc., Bry., Hell.

Hell., Lyc.

Ap., Hell., Op.

Ap., Hell., Lach., Ter.

Ap., Bapt., Bell., Bry., Cocc., Hell., Hyos., Op., Ph-ac., Phos.,

Rhus-t., Stram., Verat.

Hell., Nux-m., Op.

Bry., Nat-m., Nux-m., Sulph.

Acet-ac., Iod., Ip., Merc., Nit-ac.

Arn., Ars., Bapt., Chel., Kreos., Merc., Nit-ac., Nux-v.

Helleborus im Vergleich:

Page 22: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren
Page 23: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

23Arzneimittelbild

Spezifische Anwendungen

1. Hohes Fieber mit Betäubung undStumpfheit der Sinne bei:

- Meningitis- Zerebrospinalem Fieber mit Cri encépha-

lique- leerem, starrem Blick- Kopf ins Kissen bohren und von Seite zu

Seite rollen- automatische Bewegungen eines Armes

oder Beines- gierigem Trinken kalten Wassers und

Löffelbeissen aber ohne Bewusstsein- bohren, zupfen oder reiben der Nase

2. Krämpfe, Zuckungen:- mit extremer Körperkälte, ausgenommen

Kopf / Hinterkopf, welcher heiss seinkann

3. Diarrhoe, unfreiwilliger Abgang, wieweisser geleeartiger Schleim oder«Froschlaich»:

- bei Hydrocephalus, während Zahnungoder Schwangerschaft

4. Gehirnerkrankungen mit:- unterdrücktem Harn- rotem, dunklem oder spärlichem Urin

und kaffeesatzähnlichem Sediment

5. Wassersucht nach Scharlach, Malaria,oder unterdrückten Hautausschlägen:

- mit unterdrücktem, eiweisshaltigem Urin

6. Gehirn Symptome:während der Zahnung (Cham., Hyos.)

7. Gehirnerschütterungen:wenn Arn. versagte.

8. Lähmungen:nach Gehirnaffektionen.

Materia medica

Gemüt:Hahnemann schreibt in Band 3 der reinenArzneimittellehre: Aus verschiedenen Beobachtungen schliesseich, dass Stupor, Abstumpfung des innernGefühls - wo man bei gutem Gesichte nurunvollkommen sieht und das Gesehene nichtachtet, bei guten Gehörwerkzeugen nichtsdeutlich hört oder vernimmt, bei richtigemGeschmackswerkzeuge an nichts Geschmackfindet, immer oder oft gedankenlos ist, sichdes Vergangenen oder kurz vorher Begegne-ten wenig oder nicht erinnert, an nichtsFreude hat, nur leicht schlummert, ohne festund erquickend zu schlafen, arbeiten will,ohne Aufmerksamkeit oder Kräfte dazu zuhaben - eine erste Hauptwirkung derSchwarz-Christwurzel sey....Diese Stumpfheit zeigt sich also am mensch-lichen Geist, dabei sollten auch andere Mittelverglichen werden, wie zum Beispiel: Ap.,Bapt., Bell., Kali-bi., Ph-ac.Der Patient ist verschlossen, melancholischbis zur Verzweiflung, mit Traurigkeit, die sichdurch den Anblick fröhlicher Menschen ver-schlimmert. Er wird von fixen Ideen geplagt und bildetsich ein, noch heute zu sterben; im Gegensatzzu Acon. hat er aber keine Angst dabei. Er glaubt fest, Fehler begangen zu haben,spricht aber nur vage davon. Sitzt stumpf undschweigsam in einer Ecke ohne etwas zu den-ken. Jeder Versuch ihn zu trösten verschlim-mert, wie bei Nat-m., seinen Zustand. Er lebt im Wahn, sein Seelenheil durch Sündegefährdet zu haben und bildet sich ein, wiebei Aur., Unrecht gehandelt und unverzeihli-che Fehler gemacht zu haben.

Kopf:Gefühl von brennender Hitze, lanzinierende,drückende, betäubende Kopfschmerzen mitStöhnen und Cri encéphalique. Kopfschmerz,Kopfbewegung und Gesichtsausdruck wie

Page 24: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Arzneimittelbild24

bei Gehirnkongestion. Er rollt den Kopf voneiner Seite zur andern oder nimmt ihn zwi-schen seine Hände oder bohrt ihn ins Kissen.Schwindel mit Übelkeit und Erbrechen.

Augen:Trotz normalem Sehvermögen sieht er nurunvollständig. Dinge, die er ansieht, hinterlas-sen keinerlei Eindruck auf sein Bewusstsein.

Die Pupillen können erweitert oder wechselnderweitert - verengt sein. Auffallend ist derleere, starre Blick mit Lichtempfindlichkeit.

Gesicht:Krankes, blasses, hohles, abgezehrtes Ausse-hen. Von kaltem Schweiss bedeckt aber mitheissem Kopf. Augen sind schwarz umrandetund die Nasenlöcher sehen wie «russig» aus.Wie bei Lyc. ist die Stirn voller Falten. BeiLyc. weist dies auf eine ernste Erkrankungder Lunge, bei Hell. jedoch auf eine Gehir-nerkrankung hin.Die Gesichtsmuskeln zucken, die Augen star-ren glasig mit halb geöffneten Lidern und dieLippen sind trocken und rissig.

Mund:Kauende Bewegung und starker Mundgeruch.

Magen:Grosser Durst auf kaltes Wasser, das er gierigtrinkt, mit oft ungewöhnlichem Hunger.Übelkeit und Erbrechen, aber auch Völlege-fühl können sich zeigen.

Stuhl:Anfangs reichlich schleimiger Durchfall,später Verstopfung mit kleinem, hartem,trockenem Stuhl.

Harn:Harnverhaltung, Urin spärlich oder ganzunterdrückt. Wie bei Acon., Ars., Eup-per., Nux-v. Sars.,erfolgloser Harndrang mit manchmal nur

tröpfelnder Entleerung. Der Urin kann aberauch unbemerkt abgehen und ist zuweilenblutig.

Rücken und Glieder:Grosse Muskelschwäche und Erschlaffungmit Schweregefühl und Schmerzen der Glie-der. Er liegt auf dem Rücken mit angewinkel-ten Beinen oder rutscht im Bett herunter.Verminderter Muskelsinn, so dass er sich vollauf seine Muskeltätigkeit konzentrierenmuss. Bei Ablenkung lässt er wie bei Ap.,Bov., Nat-m., Tarent., Dinge fallen, die er inder Hand hält. In den Armen reissende Schmerzen der Kno-chen und Gelenke, Rucken in den Muskelnsowie spastische Steifheit der Finger. Wie beiCupr. wird der Daumen eingezogen.In den Beinen zeigt sich eine erheblicheSchwäche. Ohne starke Konzentration aufseine Muskelarbeit schwankt er beim Gehen.Unwillentliche, krampfhafte oder automati-sche Bewegungen eines Armes oder Beines.Seine Bewegungen sind die eines Geistesab-wesenden.

Quellen: Boger, Hahnemann, Kent, Lathoud,Mathur

Page 25: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

25Kusuistik

Von Dr. Paul Wassily, Kehdenstrasse 6, ausDeutsche Zeitschrift für Homöopathie1939, Seiten 182/183.

Ein Mann von 61 Jahren leidet an einerSupraorbitalneuralgie seit 5 bis 6 Wochen. Erhat natürlich schon alles mögliche gebraucht,kommt nun zu mir, da er es satt hat, weiterAspirin, Phenacitin, Gelonida und dergl. zuschlucken. Heftigziehend-reissendeSchmerzen tretenanfallsweise auf,auch nachts,Schlaf ist über-haupt unruhig; dieSchmerzen sitzenan der rechtenSeite, Verschlim-mern sich durchAufregung, beson-ders durch Ärgerund Kälte. Er istleicht frostig undliebt ein warmesZimmer. Er klagtnoch über bitterenMundgeschmackund Magenbe-schwerden, Drucknach dem Essen.Bei der Abtastungdes Magens ergibtsich aber, dassLeber und Gallenblase druckempfindlichsind. Er hat eine etwas gelbliche Sklera,Leberflecken auf der Haut und früher einmalan Gallesucht gelitten. Der Puls ist voll undhart. Ich wollte die Behandlung mit Aconitanfangen, da er aber noch ganz spontan sagte,

daß er fast ständig einen Schmerz unter demrechten Schulterblatt fühle, verordnete ichChe1idonium D30, jeden Abend eine Gabeund bei eintretender Besserung jeden zweitenAbend.

Als der Patient nach 10 Tagen wiederer-schien, war er schmerzfrei und berichtete,daß er zuerst eine merkwürdige Schläfrigkeit

empfunden hätte und besser geschlafen habeals sonst.

Ich berichte diesen Fall, weil er so charakte-ristisch für die homöopathische Anwendungvon Chelidonium ist, wie er wohl selten vor-

Kusuistik

Ein Chelidoniumfall mit Randglossen

Page 26: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVH Folio 3/2004

Kusuistik26

kommt. Überall da, wo die Leber irgendwiebeteiligt ist am Zustand des Kranken, rate ichmit an Chelidonium zu denken. Es ist ein

ganz hervorragendes Heilmittel, das schondie alten Ärzte angewendet haben. Auch vonRademacher wird es in seiner «Erfahrungs-heillehre» sehr gerühmt (in kleinen Gaben),wobei er nebenher noch die consensuellenBrustaffektionen hervorhebt. Chelidoniumist angezeigt bei der sogenannten biliösenPneumonie, ja es gibt auch Keuchhusten-und Grippeepidemien, wo Chelidonium dasepidemische Mittel ist.

Die für mich charakteristischen Anzeichenfür die Anwendung von Chelidonium sindfolgende:

In erster Linie ist es ein Leber- und Gallen-mittel - auch bei Gallensteinen.

Die Kranken sind reizbar und verstimmt biszum Lebensüberdruß.

Rechtsseitige Kopfschmerzen und Neural-gien bei irgendwelchen Lebererscheinungen.Schmerzen unterhalb des rechten Schulter-blattes.

Die Beschwerden verschlimmern sich beikaltem Wetter.

Die Stühle sind tonfarbig oder hell, einerleiob Verstopfung oder Diarrhoe vorhanden ist.

Anschließend an diesen Fall noch ein Wortüber den Schlaf: Jedem, der aufmerksambeobachtet, wird es nicht entgangen sein, daßKranke bald nach dem Einnehmen der richtiggewählten homöopathischen Arznei von einerNeigung zum Schlafen befallen werden odergar in einen tiefen, gesunden Schlaf verfal-len, aus dem sie erquickt erwachen, wie dasauch in diesem Fall geschehen ist. Das ist

immer ein Zeichen, daß das gewählte Mittelein Simillimum ist. Freilich kann auch einesogenannte Erstverschlimmerung auftreten,wonach aber dann Ruhe und erleichternderund erquickender Schlaf eintritt.

Page 27: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

3/2004 SVH Folio

Redaktion

Schweizerischer Verein für HomöopathieLukas Bruhin

Hauptstrasse 68CH-8840 Einsiedeln

Mail: [email protected]

Web: www.verein-homoeopathie.ch

❏ Bitte schicken Sie mir unverbindlich Ihre Unterlagen

❏ Ich möchte SVH Mitglied werden

Name:

Strasse:

Telefon:

Datum:

Vorname:

PLZ/Ort:

Unterschrift:

Page 28: SVH Folio - fit-mit-system.ch · SVH Folio 3/2004 4 SVH-Nachrichten Am Mittwoch, 16. Juni trafen wir uns zur Ver-einswanderung. Wir beschlossen die Durch-führung trotz des unsicheren

SVHSchweizerischer Verein für HomöopathieLukas BruhinHauptstrasse 68CH-8840 Einsiedeln

Bitte frankieren

Verein mit Tradition seit 1930

Die Medizin der Zukunft Schweizerischer Verein für Homöopathie

• Unser Ziel ist, die Freunde der Homöopathie zusammenzuführen und mit der Heilkunst von Dr.Hahnemann vertraut zu machen.

• Wir streben die Verbreitung der Homöopathie und die Aufklärung aller Bevölkerungsschichten an.

• Wir sind politisch und religiös neutral.

• Bei uns sind Sie willkommen, ob Sie nun Laie, Homöopath oder Arzt sind, ob Patient oder Therapeut; wir dienen der gemeinsamen Sache, der Homöopathie.

• Schnuppern kostet nichts; wir laden Sie ein, unverbindlich einen Vortrag bei uns zu besuchen.

• Unser Jahresprogramm gibt Ihnen Auskunft über Vorträge, Kurse oder andere Veranstaltungen.

• Mit einem Jahresbeitrag von Fr. 55.– sind Sie bei uns Mitglied. Prof itieren Sie!

• Wir freuen uns, Sie bei uns begrüssen zu dürfen.