Arzneiverordnung in der Praxis, Ausgabe 4/2008 ·...

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Zehn Leitfragen an den Pharmareferenten zur Interpretation klinischer Studien Seite 62 50 Jahre nach Contergan – wie steht es um die Arzneimittelsicherheit in der Schwangerschaft heute? Seite 65 Neue Standardtherapie für ältere Patienten mit multiplem Myelom Seite 67 „Never change a running horse“ Anmerkungen zur Substitutionsproblematik bei Epileptikern Seite 68 Kontrastmittel-Nephropathie – aktueller Stand der Diskussion über die Prophylaxe Seite 70 Aktuelle Therapieentwicklungen beim Systemischen Lupus Erythematodes (SLE) am Beispiel der Lupus-Nephritis Seite 71 Welches Statin in welcher Dosis? Seite 74 Paliperidon, ein neues Antipsychotikum Seite 75 ADVANCE – Wirklich ein Fortschritt? Perindopril plus Indapamid als Komedikation bei Diabetikern Seite 77 Gewichtszunahme als unerwünschte Wirkung vieler Arzneimittel Seite 78 Impfungen reduzieren Infektionskrankheiten Seite 80 Wirksamer Impfstoff gegen Rotavirus-Gastroenteritis Seite 80 Antikoagulation bei erblichen Gerinnungsstörungen, Osteoporoserisiko bei Antikoagulation mit kurzkettigen Heparinen Seite 82 Leseranfrage zu unserem Artikel Vorhofflimmern: Warfarin auch bei hochbetagten Patienten? Seite 84 Editorial Das aktuelle Thema Therapie aktuell Arzneiverordnung in der Praxis Impressum Herausgeber: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Prof. Dr. med. W.-D. Ludwig (Vorsitzender) Wissenschaftlicher Beirat: Dr. med. J. Bausch, Dr. med. K. Ehrenthal, Frau Prof. Dr. med. U. Gundert-Remy, Prof. Dr. med. R. Lasek, Prof. Dr. med. B. Müller-Oerlinghausen, Prof. Dr. med. U. Schwabe, M. Voss, Arzt, Vorstand der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Chefredakteur: Prof. Dr. med. D. Höffler Stellvertretender Chefredakteur: Dr. med. M. Zieschang Anschrift der Redaktion: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Postfach 12 08 64 10598 Berlin Telefon: 0 30 / 40 04 56-5 00 Telefax: 0 30 / 40 04 56-5 55 E-Mail: [email protected] www.akdae.de ISSN 0939-2017 Realisation und Vertrieb: Triple MPR Group GmbH, Postfach 19 01 30, D-53037 Bonn, Telefon: 02 28/2 42 35 45, Telefax: 02 28 /22 45 11 Druck: Franz Paffenholz GmbH, Bornheim Abonnement: Die Schutzgebühr des Jahresabonnements für 4–6 x AVP einschl. Sonderhefte Therapieemp- fehlungen beträgt EUR 39,– (für Studenten: EUR 19,–; Nachweis erforderlich). Ihre Abo-Anfor- derung richten Sie bitte an die Arzneimittel- kommission [email protected]. Bezug im Jahres- abonnement, Kündigung zum Jahresende. Wir möchten darauf hinweisen, dass die in „Arzneiver- ordnung in der Praxis“ erscheinenden Publikationen prinzipiell den Charakter von Autorenartikeln – wie in jeder anderen Zeitschrift – haben. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben zur Dosierung und auch zu den Preisen kann keine Gewähr übernommen werden. Trotz sorgfältiger Recherche bitten wir Sie dringend, die aktuellen Angaben des jeweiligen Her- stellers zu beachten. Die gemäß Arzneimittel-Richt- linien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu ver- öffentlichenden Therapieempfehlungen in ihrer aktu- ellen Fassung werden als solche gekennzeichnet. © Alle Rechte vorbehalten. AkdÄ, Berlin 2008 Herausgegeben von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008 Arzneimittel – kritisch betrachtet Unerwünschte Arzneimittelwirkungen Zitate Aus der Praxis – Für die Praxis Alle Artikel werden von der Redaktion dahinge- hend überprüft, ob ein Interessenkonflikt vorlie- gen könnte. Darüber hinaus werden alle Autoren routinemäßig nach evtl. vorhandenen Interessen- konflikten befragt. Sollte sich ein solcher erge- ben, würde dies am Ende der entsprechenden Arbeit vermerkt. Arzneiverordnung in der Praxis ist Mitglied der International Society of Drug Bulletins (www.isdbweb.org)

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Zehn Leitfragen an denPharmareferenten zur Interpretation klinischer Studien Seite 62

50 Jahre nach Contergan – wie steht es um die Arzneimittelsicherheitin der Schwangerschaft heute? Seite 65

Neue Standardtherapie für ältere Patienten mit multiplemMyelom Seite 67

„Never change a running horse“Anmerkungen zur Substitutionsproblematik bei Epileptikern Seite 68

Kontrastmittel-Nephropathie – aktueller Stand der Diskussion über die Prophylaxe Seite 70

Aktuelle Therapieentwicklungen beimSystemischen Lupus Erythematodes (SLE)amBeispiel der Lupus-Nephritis Seite 71

WelchesStatin inwelcherDosis? Seite 74

Paliperidon, ein neues Antipsychotikum Seite 75

ADVANCE –Wirklich ein Fortschritt?Perindopril plus Indapamid als Komedikation bei Diabetikern Seite 77

Gewichtszunahmeals unerwünschteWirkung vieler Arzneimittel Seite 78

Impfungen reduzieren Infektionskrankheiten Seite 80

Wirksamer Impfstoff gegenRotavirus-Gastroenteritis Seite 80

Antikoagulation bei erblichenGerinnungsstörungen, Osteoporoserisikobei Antikoagulationmit kurzkettigenHeparinen Seite 82

Leseranfrage zu unseremArtikelVorhofflimmern:Warfarin auch bei hochbetagtenPatienten? Seite 84

Editorial

Das aktuelle Thema

Therapie aktuell

Arzneiverordnungin derPraxis

ImpressumHerausgeber:Arzneimittelkommission derdeutschen ÄrzteschaftProf. Dr. med. W.-D. Ludwig (Vorsitzender)Wissenschaftlicher Beirat:Dr. med. J. Bausch,Dr. med. K. Ehrenthal,Frau Prof. Dr. med. U. Gundert-Remy,Prof. Dr. med. R. Lasek,Prof. Dr. med. B. Müller-Oerlinghausen,Prof. Dr. med. U. Schwabe,M. Voss, Arzt,Vorstand der Arzneimittelkommission derdeutschen ÄrzteschaftChefredakteur:Prof. Dr. med. D. HöfflerStellvertretender Chefredakteur:Dr. med. M. ZieschangAnschrift der Redaktion:Arzneimittelkommission der deutschenÄrzteschaftPostfach 12 08 6410598 BerlinTelefon: 0 30 / 40 04 56-5 00Telefax: 0 30 / 40 04 56-5 55E-Mail: [email protected] 0939-2017Realisation und Vertrieb:TripleMPRGroup GmbH, Postfach 19 01 30,D-53037 Bonn, Telefon: 0228/2423545,Telefax: 0228/224511Druck: Franz Paffenholz GmbH, BornheimAbonnement:Die Schutzgebühr des Jahresabonnements für4–6 x AVP einschl. Sonderhefte Therapieemp-fehlungen beträgt EUR 39,– (für Studenten: EUR19,–; Nachweis erforderlich). Ihre Abo-Anfor-derung richten Sie bitte an die Arzneimittel-kommission [email protected]. Bezug im Jahres-abonnement, Kündigung zum Jahresende.Wirmöchtendarauf hinweisen, dassdie in „Arzneiver-ordnung in der Praxis“ erscheinenden Publikationenprinzipiell den Charakter von Autorenartikeln – wie injeder anderen Zeitschrift – haben. Für die Richtigkeitund Vollständigkeit der Angaben zur Dosierung undauch zu den Preisen kann keine Gewähr übernommenwerden. Trotz sorgfältiger Recherche bitten wir Siedringend, die aktuellen Angaben des jeweiligen Her-stellers zu beachten. Die gemäß Arzneimittel-Richt-linien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu ver-öffentlichenden Therapieempfehlungen in ihrer aktu-ellen Fassung werden als solche gekennzeichnet.© Alle Rechte vorbehalten. AkdÄ, Berlin 2008

Herausgegeben von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Arzneimittel – kritisch betrachtet

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Zitate

Aus der Praxis – Für die Praxis

Alle Artikel werden von der Redaktion dahinge-hend überprüft, ob ein Interessenkonflikt vorlie-gen könnte. Darüber hinaus werden alle Autorenroutinemäßignachevtl. vorhandenen Interessen-konflikten befragt. Sollte sich ein solcher erge-ben, würde dies am Ende der entsprechendenArbeit vermerkt.

Arzneiverordnung in der Praxisist Mitglied der InternationalSociety of Drug Bulletins(www.isdbweb.org)

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62 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Zehn Leitfragen an denPharmareferenten zurInterpretation klinischer StudienDie Flut medizinisch klinischer Infor-mationen scheint immer größer zu wer-den, wobei mit der Quantität die Über-sicht verloren geht. Für 2007 finden sichin Medline über 11.000 randomisierteklinische Studien, allein für den Bereichder Onkologie über 2.500 Metaanalysen(Cochrane), Journal Clubs oder Leitlini-en wie die Therapieempfehlungen derAkdÄ bieten eine Orientierung.Randomisierte klinische Studien (RCT)werden auch im Pharmamarketing ge-nutzt, insbesondere wenn (einzelne) Er-gebnisse und deren (selektive) Darstel-lung zu einem vermehrten Einsatz einesPräparates führen können (1). RCTs zulesen und zu interpretieren ist zeitauf-wendig. Leitfragen, die auch gegenüberdem Pharmareferenten formuliert wer-den sollten, können bei der Entschei-dung helfen, ob es sich lohnt, eine Studiezu lesen. Wer die richtigen Fragen stellt,wird vonWerbeaussagennicht so schnellüberrumpelt.

1) Welche klinisch relevanteFrage beantwortet die Studie?

Die Formulierung einer beantwortbarenklinischen Frage ist der erste von fünfSchritten der evidenzbasierten Medizin(2). Die allgemeine Formulierung „Wel-chen Effekt hat die Intervention A imVergleich zur Intervention B beim Pati-enten X für die Zielgröße Y“ lässt sichauch auf RCTs anwenden, um die klini-sche Fragestellung der Studie zu formu-lieren. Zum Beispiel: Welchen Effekt hatdie ergänzende Therapie mit Valsartanim Vergleich zur ergänzenden Therapiemit Amlodipin bei über 50-jährigen Hy-pertonikern mit kardiovaskulären Risi-kofaktoren auf kardiale Komplikationen(3)? Mit wenig Übung lässt sich die Frageaus Überschrift und Abstract herausle-sen. Auf diese Art kann der Leser schnellentscheiden, ob die Studie überhauptvon Interesse ist. Wenn ich der Frage

nachgehe, ob AT1-Antagonisten einenVorteil gegenüber ACE-Hemmern bie-ten, brauche ich eine Studie, die einenVergleich zu einem Kalziumantagoni-sten untersucht, nicht zu lesen.

2) Ist der Endpunkt der Studieklinisch relevant?

Der Patient möchte länger leben undnicht anstelle eines Herzinfarktes einenSchlaganfall erleiden. Bei der Definitioneines (primären) Endpunktes einer Stu-die sollen harte Endpunkte im Vorder-grund stehen. Idealerweise verlängerteine Therapie die Lebenszeit oder dasAuftreten von Spätkomplikationen. DieBeeinflussung von Laborparametern istnur klinisch relevant, wenn eine kausaleVerknüpfung zu einemharten Endpunktgegeben ist. Die Blutdrucksenkung mitdem Alphablocker Doxazosin führte inder ALLHAT-Studie zu vermehrtenSchlaganfällen und kardiovaskulärenEreignissen im Vergleich zur Chlortali-don-Behandlung (4). Der ParameterBlutdrucksenkung war hier also nichtmit einem klinischen Überlebensvorteilverbunden.Bei kombinierten Endpunkten solltehinterfragt werden, ob ein statistischerVorteil nur durch die Überlegenheit beiweichen oder einzelnen Endpunkten zu-stande kommt (5). Die TIME-Studie un-tersuchte den Unterschied der Kathete-risierung im Vergleich zur medika-mentösen Therapie bei Patienten mitAngina pectoris. Die Katheterisierungwar der medikamentösen Therapie imkombinierten Endpunkt Tod, nicht töd-licher Herzinfarkt und Hospitalisierungaufgrund akuter Koronarsyndromeüberlegen. Der statistische Vorteil kamjedoch nur durch den weichen End-punkt Hospitalisierung zu Stande. BeiTod oder nicht tödlichemHerzinfarkt istkein Vorteil der Katheterisierung zu er-kennen (6).

3) Wie sind die Studienteilneh-mer charakterisiert? WerdenPatientengruppen von derStudie ausgeschlossen?

In klinischen Studien der Phase III undIV werden Studienteilnehmermit einemcharakteristischen Krankheitsbild ein-geschlossen.KlinischeStudienundLeit-linien werden gelegentlich kritisiert,weil der „Durchschnittspatient“ der Stu-die nicht dem Patienten in der Praxisentspricht. Beispielsweise beziehen nurwenige Studien gezielt ältere,multimor-bide Patienten mit ein. Die Übertragbar-keit von Ergebnissen aus dem artifiziel-len Rahmen der klinischen Studien indie Praxis ist begrenzt. Dies sollte jedochnicht dazu führen, ein Studienergebnisals unbrauchbar zu qualifizieren.

In klinischenStudien könnenPatienten-gruppen ausgeschlossen werden, wennzum Beispiel Nebenwirkungen erwartetwerden. So wurden bei den Zulassungs-studien für Rimonabant Patienten mitsubstantiellen neurologischen oder psy-chologischen Erkrankungen ausge-schlossen (z. B. in 7 und 8). Entspre-chend sind depressive Erkrankungenund Stimmungsänderungenmit depres-siven Symptomen zu einer Kontraindi-kation bei der Anwendung des Arznei-stoffs geworden.

4) Hat die Vergleichsgruppeeine angemessene Therapieerhalten?

Randomisierte klinische Studienwerdenkonzipiert, um die Wirksamkeit einer(neuen) Therapie im Vergleich zu einerPlazebotherapie zu zeigen oder um dieÜberlegenheit oder Nicht-Unterlegen-heit im Vergleich zu einer Standardthe-rapie zu demonstrieren.

Der Standard sollte dem aktuellen Standder medizinischen Erkenntnis entspre-

Editorial

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chen. Wurde der richtige Wirkstoff ge-wählt und war die Dosierung angemes-sen? Zum Beispiel wurde in Studien mitatypischen Neuroleptika der StandardHaloperidol in zu hoher Dosierung ein-gesetzt, was zu vermehrten Nebenwir-kungen in dieser Vergleichsgruppe führ-te (z. B. 9). In der MOSES-Studie wurdemit Nitrendipin (anstelle eines Diureti-kums) keine Standardmedikation der er-sten Wahl als Vergleich genommen undder Kalziumantagonist wurde zunächstnur in der halben Standarddosis einge-setzt (10). Auch ist der Vergleich von 40mg Esomeprazol mit 20 mg Omeprazolbei erosiver Ösophagitis nicht geeignet,die Überlegenheit des Enantiomers beiDosisäquivalenz zu zeigen, da es sichpraktisch um die doppelte Wirkstärkehandelt (11).

5) Sind die Studienergebnissestatistisch signifikant? –Subgruppenanalyse

Ein statistisch signifikanter Therapieun-terschied ist kein Maß für die klinischeRelevanz. Hoch signifikante Studiener-gebnisse können ohne angemessenenklinischen Vorteil für die Patienten sein.Die Statistik (p-Wert) gibt Auskunft dar-über, in welchemRahmen ein rein zufäl-liges Studienergebnis akzeptiert wird.

Studien, die kein statistisch signifikan-tes Ergebnis zeigen, sollten nicht bezüg-lich ihrer „Tendenzen“ oder Therapieun-terschiede interpretiert werden. Wennein Therapieunterschied oder Studi-energebnis nicht signifikant ist, mussman es als zufällig betrachten.

Statistisch signifikante Ergebnisse ausSubgruppenanalysen können nur einge-schränkt interpretiert werden. Dabeimüssen die Subgruppen im Studienpro-tokoll definiert werden, bevor die Studiedurchgeführt wird, ferner ist das Signifi-kanzniveau der Subgruppe anzupassen(z. B. 12). Nur wenn diese zwei Voraus-setzungen erfüllt sind, kann die Sub-gruppenanalyse von einem „Fischennach Ergebnissen“ unterschieden wer-den. Wegen der begrenzten Aussage-kraft, z. B. aufgrund der geringen Pro-bandenzahl einer Subgruppe, sollten dieErgebnisse von Subgruppenanalysen

nur zur Generierung weiterer Hypothe-sen genutzt werden.

6) Sind die Studienergebnisseklinisch relevant? –Risikoreduktion und Numberneeded to treat (NNT).

In der ASCOT-Studie senkte Atorvastatinim Vergleich zu Plazebo bei Bluthoch-druckpatienten mit normalem oder ge-ringem Cholesterinspiegel das Herzin-farktrisiko relativ um 36 Prozent (13).Das Studienergebnis wurde entspre-chend vermarktet. Das absolute Risikowurde in der Studie in der Behandlungs-zeit über 3,3 Jahre von 3,00 (Plazebo) auf1,93 Prozent (Atorvastatin) gesenkt. Dieabsolute Risikoreduktion (ARR) beträgt1,07 %, das sind relativ 36% von 3,00%.

ARR = 1,07 % bedeutet: Wenn 100 Blut-hochdruckpatienten über 3,3 Jahre be-handelt werden, können bei 1,07 Patien-ten ein Herzinfarkt verhindert werden.94 Patienten (100 : 1,07) müssen überden Zeitraum behandelt werden, um einEreignis zu verhindern. Diese Numberneeded to treat (NNT, hier = 94) gibt an,wie viele Patienten behandelt werdenmüssen, um ein Ereignis zu verhindern.

Die relative Risikoreduktion (RRR) istabhängig vom Ausgangsrisiko. Die abso-lute Risikoreduktion (ARR) gibt einenHinweis auf den klinischen Effekt. Mitihr lässt sich die NNT berechnen. Es gibtkeine Richtschnur, ab welcher NNT sicheine Therapie lohnt. Jedoch sind die Vor-stellungen von Fachärzten, Allge-meinärzten und Patienten deutlich un-terschiedlich (14).

7) Sind die Studienergebnisseklinisch relevant? –Konfidenzintervall

Therapieunterschiede in klinischen Stu-dien werden meist anhand der Mittel-werte dargestellt. Die Mittelwerte wur-den aus den Ergebnissen einer Stichpro-be berechnet und sind daher in gewissemAusmaß unsicher. Um den „wahren“Wert der Effektgröße oder eines Risikosbeurteilen zu können, sollte ein Konfi-denz- oder Vertrauensintervall angege-ben werden. Das 95 %-Konfidenzinter-

vall gibt an, in welchem Bereich der„wahre“ Messwert mit 95 %iger Wahr-scheinlichkeit liegt. Die Breite des Kon-fidenzintervalls hängt unter anderemvon der Anzahl der Studienteilnehmer(Größe der Stichprobe) ab und wird mitzunehmender Patientenzahl enger.Wenn die Konfidenzintervalle zweierMittelwerte sich überschneiden, ist derTherapieunterschied statistisch nichtsignifikant. Allgemein gilt: je breiter dasKonfidenzintervall, desto unsicherer istdie Aussage.

8) Ist die Studiendauer langgenug?

Bei der (vergleichenden) Beurteilungvon Arzneimitteln zur Behandlungchronischer Erkrankungenmüssen Stu-dien ausreichend lange durchgeführtwerden, um den Therapieeffekt auf harteklinische Parameter beurteilen zu kön-nen. Bei der Behandlung des Typ-2 Dia-betes reicht die kurzfristige AbsenkungdesHbA1c-Wertes allein nicht aus, umdieBeeinflussung kardiovaskulärer Risikenzu beurteilen, wie die aktuelle Diskussionum die Glitazone zeigt. Ähnliches gilt fürdie Behandlung der Osteoporose, der Hy-pertonie, depressiver Erkrankungen etc.

9) Wurden die Ergebnissealler Studienteilnehmerausgewertet?

Die Studienteilnehmer sollten so ausge-wertet werden, wie sie ursprünglich denTherapiearmen zugeordnet wurden. Beidieser Intention-to-treat-Analyse (ITT)werden zum Beispiel auch Studienab-brecher gewertet, oder die Teilnehmer,die entgegen dem Studienprotokoll aufeine andere Therapie umgestellt werden.Die ITT-Analyse gilt gegenüber der Aus-wertung „per protocol“ oder „as treated“als Standard, weil so z. B. Verzerrungen(Abbrüche) aufgrund von Nebenwirkun-gen erfasst werden. Ferner entspricht dieITT-Analyse am ehesten der Alltagssitua-tion in der Praxis, weil auch dort ein Teilder Patienten nicht die ursprünglichvorgesehene Medikation einnimmt.

In einer einjährigen Studie wurde dieNicht-Unterlegenheit des neuenDPP-IV-Inhibitors Sitagliptin (Januvia®) mit

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Glipizid verglichen (jeweils in der Kom-bination mit Metformin). Von den ur-sprünglich 1.172 Patienten wurden nur798 in die Auswertung per protocol ein-bezogen. In der Studie brachen 15% derTeilnehmer unter Sitagliptin gegenüber10 % unter Glipizid die Therapie wegenunzureichender Wirksamkeit ab. Ineiner ITT-Analyse hätten diese Studien-abbrecher berücksichtigt werden müs-sen (15).

10) Wurde die Studie adäquatverblindet?

Die rein zufällige Zuordnung der Pro-banden zu denStudienarmen (Randomi-sierung, allocation concealment) unddie Verblindung der Studienteilnehmerund der Behandler sind eine wichtigeVorraussetzung, um Behandlungsein-flüsse, die nicht der reinen Arzneimittel-wirkung zuzurechnen sind, gering undbesonders in allen Behandlungsarmengleich zu halten. In einer klassischenStudie untersuchten K. F. Schulz und I.Chalmers den Einfluss der adäquatenGeheimhaltung der Probandenzuord-nung und der adäquaten Verblindungauf Studienergebnisse. Bei der Auswer-tung von 250 Studien aus Metaanalysenstellte sich heraus, dass bei nicht adä-quater Geheimhaltung der Therapieef-fekt um 41 % überschätzt wurde, beinicht adäquater Verblindung um 17 %(16).

LiteraturDie Ziffern im Text beziehen sich aufdas umfangreiche Literaturverzeichnis,welches beim Autor angefordert werdenkann.

Dr. Holger Neye, Dü[email protected]

1 Dipeptidyl-Peptidase-IV-Hemmer, hemmt den en-zymatischenAbbau vonGlukagon like peptide u.a.Neues Diabetes-Mittel (AVP 4/2007, Seite 104)

2 Sulfonylharnstoff, in D nicht im Handel

Studie + - +/-

1 Fragestellung

2 Ist der Endpunkt der Studie klinisch relevant?

3 Wie sind die Studienteilnehmer charakterisiert?Wurden Patientengruppen von der Studie ausgeschlossen?

4 Hat die Vergleichsgruppe eine angemessene Therapie erhalten?

5 Sind die Studienergebnisse statistisch signifikant?Subgruppenanalyse?

6 Risikoreduktion und Number needed to treat. NNT =

7 Konfidenzintervalle angegeben?

8 Studiendauer ausreichend?

9 Intention-to-treat Analyse?

10 Adäquate Verblindung?

FAZIT

Die Lektüre und Interpretation einzelnerklinischer Studien ist zeitaufwendig. FürdieBeantwortungspezifischer klinischerFragen und für die Überprüfung vonWer-beaussagen scheint es jedoch unerläss-lich, sich mit klinischen Studien ausein-anderzusetzen. Die aufgeführten zehnLeitfragen sollen dazu dienen, einenschnellen Zugang zu einer randomisier-ten klinischen Studie zu bekommen und

schnell entscheiden zu können, ob essich überhaupt lohnt, eine Studie zulesen. Einzelne Fragen können als KO-Kriterien gesehen werden, andere Krite-rien sollten für die Gesamtbeurteilungeiner Studie berücksichtigt werden.Die zehn Fragen sind natürlich nicht er-schöpfend. Bei dem so genannten CON-SORT- Statement der Herausgebermedi-zinischer Fachzeitschriften werden bei-

spielsweise 22 Punkte aufgelistet, die ineiner randomisierten klinischen Studieberücksichtigt werden sollen (17).Für einen ersten und einfachen Zugangzu klinischen Studien sollten die hier vor-gestellten zehn Leitfragen zunächst rei-chen. Auch die Frage eines eventuellenInteressenkonfliktes des Autors ist zustellen.

Tabelle 1: Checkliste zur Studienbewertung

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50 Jahre nachContergan –wie steht es umdieArzneimittelsicherheit in der Schwangerschaft heute?Die in den vergangenen Monaten häufiggestellte Frage lautete: Kann sich soetwas wie Contergan wiederholen? DieAntwort ist „Nein“, wenn die Frage sichauf dasUnerwartete bezieht. Die laut Arz-neimittelgesetz bzw. Zulassungsricht-linien vorgeschriebenen Tests schließenweitgehend aus, dass ein teratogenesMittel ohne Vorwarnung auf den Marktkommt. Beispielsweise war bei den fürUngeborene stark schädlichen Retinoi-den gegen Akne und Psoriasis die terato-gene Wirkung aufgrund von Tierexperi-menten bekannt, und die Anwendungwurde stark reglementiert und an wirk-same Verhütungsmaßnahmen gekop-pelt. Außerdem wird sich kein Arznei-mittelhersteller mehr – wie damals beiContergan – trauen, sein neues Produktals nebenwirkungsfrei und geeignet fürSchwangere offensiv zu bewerben.

Häufigkeit angeborenerFehlbildungenDennoch stellen äußerlich verursachteFehlbildungen weiterhin ein Problemdar. Bei über 600.000 Geburten im Jahrin Deutschland rechnet man mit dreiProzent, also etwa 20.000 Kindern mitgroßen Fehlbildungen, die kosmetischentstellend, funktionell erheblich ein-schränkend sind und operativ korrigiertwerden müssen. Hinzu kommen Kindermit mentalen Entwicklungseinschrän-kungen und kleineren Organanomalien.Nur ein kleiner Prozentsatz dieser vor-geburtlichen Entwicklungsstörungenlässt sich definitiv einem Medikamentoder anderen äußeren Faktor ursächlichzuordnen. An erster Stelle unter denteratogenen Noxen steht mütterlicherAlkoholabusus mit mehreren Hundertschwer geschädigten Kindern pro Jahrund einigen Tausend äußerlich kaumauffallenden aber in ihrer Entwicklunglebenslang stark eingeschränkten Kin-dern. Auf die Zahl von ca. 1.600 Fällen,

die auf einen Folsäuremangel in denersten Schwangerschaftswochen zurück-gehen,hattenwir inAVP1/2002, Seite 20,hingewiesen.

Die „klassischen“ Antiepileptika sind dieam häufigsten verschriebene teratogeneMedikamentengruppe, zu der die Valpro-insäure gehört, die auch als Phasen-prophylaktikum im psychiatrischen Be-reich eingesetztwird. Antiepileptika sindwahrscheinlich jährlich für weitere 200bis 300 Kinder mit großen Fehlbildun-gen verantwortlich (siehe auch AVP1/2002, Seite 17). Im Vergleich dazu be-sitzen die etablierten Psychopharmaka(auchLithium) kein erhebliches Fehlbil-dungsrisiko. Zwar wurde in den vergan-genen Jahren diskutiert, ob selektiveSerotonin-Wiederaufnahmehemmer(SSRI) teratogen sind, z. B. dass etwashäufiger Septumdefekte am Herzen auf-treten. Die inkonsistenten Studiener-gebnisse sind aber allenfalls als schwa-ches Signal zu werten, das keinen Anlassdarstellt, eine notwendige Therapie miteinem erprobten SSRI (z. B. Sertralin,Citalopram) vorzuenthalten.

Auch bei den anderen in den letztenJahren diskutierten Medikamenten, wiez. B. ACE-Hemmer im ersten Trimenon(Herz- und ZNS-Fehlbildungen) oderErythromycin (Herzfehlbildungen, Py-lorusstenose) geht es mehr um schwa-che, bislang nicht bestätigte Signale alsum spektakuläre, für die individuelleSchwangere relevante Fehlbildungsrisi-ken. Kürzlich sorgten Einzelfallberichtezum Immunsuppressivum Mycophenol-atmofetil (Ohrenfehlbildungen mit Lip-pen-Gaumenspalte) für Aufmerksam-keit. Da es sich bisher erst um etwa50 dokumentierte Schwangerschafts-verläufe handelt, die teils retrospektiverhoben wurden, ist es für die Berech-nung eines spezifischen Risikos zu früh.

Prävention äußerlichverursachter Fehlbildungen

Obwohl „spektakuläre“ Ereignisse wiebeimContergan kaummehr zu erwartensind, bleibt noch viel zu tun, um vorge-burtliche Schädigungen zu vermeiden.Die häufig lebenslang belastenden vor-geburtlichen Entwicklungsstörungenwerden im öffentlichen Bewusstsein imVergleich zu Themen wie etwa Krebsoder AIDS unzureichend wahrgenom-men.Beispiele notwendiger Initiativen:• Frauen im gebärfähigen Alter und

Schwangere mit Alkoholgefährdungmüssen wirkungsvoller erreicht wer-den – die Frage nach Alkohol darfweder tabuisiert noch unterbewertetwerden.

• Die Medikamentenwahl sollte beiFrauen im gesamten reproduktions-fähigen Alter die Möglichkeit einerSchwangerschaft berücksichtigenund embryonaltoxikologische Erfah-rungen in die Therapieentscheidungeinfließen lassen. Denn für diemeistenErkrankungen gibt es heute Medi-kamente, die hinreichend für dieSchwangerschaft untersucht sind, umein nennenswertes Risiko für dasUngeborene auszuschließen. Bei denAntiepileptika zum Beispiel müsstedas heißen, schon ab der Pubertät beiMädchen wenn irgend möglich aufValproinsäure zu verzichten undAlternativen einzusetzen.

Ungenügende Datenlage sowie Schwie-rigkeiten mit der Interpretation epide-miologischer Studien und der üblichenWarnhinweise begünstigen eine Fehl-einschätzung des Arzneimittelrisikosmit der Folge, dass• notwendige Verordnungen (ggf. auch

Off-label) unterbleiben oder ver-schriebene Medikamente nicht einge-nommen werden,

Dasaktuelle Thema

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66 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

• nach bereits erfolgter Einnahme ver-meintlich suspekter Medikamente er-wünschte und intakte Schwanger-schaften abgebrochen werden odereine nicht gerechtfertigte (invasive)Diagnostik durchgeführt wird.

Es wäre naiv zu behaupten, äußerlichverursachte angeborene Schäden ließensich vollständig vermeiden. EineSchwangere mit ernsthafter Erkran-kung, wie zum Beispiel einer Epilepsie,muss behandelt werden, ggf. auch mitpotentiell riskanten Medikamenten,wenn sichere Arzneimittel nicht zur Ver-fügung stehen oder nicht ausreichendwirken. Eine hundertprozentige Unbe-denklichkeit gibt es ohnehin zu keinemwirksamen Medikament. Generell mussjeweils das Mittel mit der besten Erpro-bung in der Schwangerschaft ausge-wählt werden. Dieser Prozess der ver-gleichenden Risikobewertung bedarfkontinuierlicher Aktualisierung durchsystematische Dokumentation und Aus-wertung behandelter Schwangerer.Schwangerschaftsverläufe unter Medi-kation sollten (siehe unten) gemeldetwerden.

Instrumente zur Verbesserungder ArzneimittelsicherheitZur Verbesserung der Arzneimittelsi-cherheit in der Schwangerschaft wurdein einigen Ländern eine Änderung derZulassungsordnung für Arzneimittelvorgeschlagen. Dabei ist sogar erörtertworden, Schwangere unter bestimmtenVoraussetzungen an klinischen Studienvor der Marktzulassung zu beteiligen.Mit Ausnahme schwangerschaftsspezi-fischer Medikamente sprechen jedochnicht nur ethische Gründe gegen eineLockerung des AusschlusskriteriumsSchwangerschaft. Neue Produkte stellennicht selten Pseudoinnovationen („Metoo“) dar, von denen keineswegs automa-tisch ein Fortschritt für den Patientengegenüber bewährten Produkten an-zunehmen ist. Für neue Arzneimittelsollte daher zunächst ein unzweifelhaf-ter, erheblicher therapeutischer Vorteilnachgewiesen werden, ehe man sie bei(potentiell) Schwangeren und Stillen-den anwendet.

Der schwedische Reproduktionsepide-miologe Bengt Källén hat schon vor20 Jahren in seinem Lehrbuch den nichternst gemeinten Vorschlag gemacht,neue Arzneimittel primär auch Schwan-geren zu verordnen. Die Gesamtzahl derdurch ein neues, noch nicht entdecktesTeratogen geschädigten Kinder wäredann geringer, weil die „zeitlich konzen-trierte“ Exposition (und Schädigung)von Feten nach Marktzulassung denNachweis einer (ursächlichen) Assozia-tion erleichtert. Eine solche unabsicht-lich hergestellte „Studiensituation“kannmannachträglich auch in denCon-tergan-Vorfall hinein interpretieren, woeineKorrelation vonVerkaufsziffern undAnzahl geschädigter Kinder achtMonatespäter die Beweisführung erleichterte.Allerdings hätte ein größeres Problem-bewusstsein damals schon eher zurMarktrücknahme oder gar zur erschwer-ten Zulassung führen können, wieder Entdecker des Contergan-SkandalsWidukind Lenz rückschauend mit Hin-weis auf in den Jahren vor Conterganpublizierte experimentelle Ergebnissezu anderen Substanzen bemerkte. (Ver-gleiche hierzu auch die Chronik derAkdÄ, Seite 69 ff.)

Das 2004 etablierte Pharmakovigilanz-Projekt des Bundesinstituts für Arznei-mittel undMedizinprodukte (BfArM) hatsich inzwischen als wirksames Instru-ment zur Verbesserung der Datenlageerwiesen. Im PharmakovigilanzzentrumEmbryonaltoxikologie in Berlin werden

Schwangerschaftsverläufe im Zusam-menhang mit Medikamenteneinnahmeprotokolliert und beobachtete Assozia-tionen bewertet. Diese Daten werden inKooperation mit anderen europäischenZentren systematisch ausgewertet, ummehr Sicherheit bei der Medikamenten-auswahl und beim Risikomanagementnach (tatsächlich oder vermeintlich)problematischer Medikamenteneinnah-me zu erreichen.

Literatur

1. Källén B: Risk assessment and infor-mation problems. In: Epidemiology ofhuman reproduction. 1. Aufl., BocaRaton: CRC Press, 1988; 183–189.2. Lenz W: A short history of thalido-mide embryopathy. Teratology 1988; 38:203–215.3. Schaefer C, Spielmann H, Vetter K(Hrsg.): Arzneiverordnung in Schwan-gerschaft und Stillzeit. 7. Aufl.; Mün-chen, Jena: Urban & Fischer Verlag,2006.4. Schröder JM, Düppenbecker H,Müller-Oerlinghausen B, Scheler F: DieArzneimittelkommision der deutschenÄrzteschaft: von den Anfängen bis zurGegenwart. Zur Erinnerung an die kon-stituierende Sitzung am 26./27. April1952 in Göttingen. Köln: DeutscherÄrzte-Verlag, 2003.

Dr. med. Christof Schaefer, [email protected]

FAZIT

HeutevorliegendeStudiendatenzuMedi-kamenten in der Schwangerschaft spre-chen überwiegend gegen ein erhebli-ches teratogenes Risiko. Andererseitssind viele Arzneimittel beim Menschenunzureichend untersucht. Zwar ist dasindividuelle Risiko selbst nach (ver-sehentlicher) Einnahme der meisten po-tentiell embryotoxischen Medikamente(abgesehen von Thalidomid und Retinoi-den) gering und erfordert nicht die Erör-terung eines Schwangerschaftsab-bruchs. Bei der Therapieplanung solltenaber im gesamten reproduktionsfähigen

Alter der Frau hinsichtlich Wirksamkeitund vorgeburtlicher Verträglichkeit be-währte Mittel bevorzugt werden, um aufeine ungeplante Schwangerschaft ein-gerichtet zu sein. Zur Verbesserung derArzneimittelsicherheit in der Schwan-gerschaft können Ärzte aller Fachrich-tungen beitragen, indem sie dem Phar-makovigilanzzentrum Embryonaltoxiko-logie in Berlin (www.embryotox.de) dieDaten exponierter Schwangerer mitderen Einverständnis zur Auswertungübermitteln.

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67Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

NeueStandardtherapie für älterePatientenmitmultiplemMyelom

nisfreie Überleben von 27 % auf 54 %(p = 0,0006) und das dreijahres Gesamt-überleben von 64 % auf 80 % (p = 0,19),letzteres allerdings nicht signifikant. DieRate an Grad 3–4 Nebenwirkungen stiegvon 25 % auf 48 %. Elf von 13 Todesfäl-len bei den mit Thalidomid zusätzlichbehandelten Patienten wurden auf un-erwünschte Arzneimittelwirkungen wieHerzrhythmusstörungen, Myokardin-farkt, Thromboembolie und Pneumoniezurückgeführt. Daher wurde nach zwei-jähriger Laufzeit eine prophylaktischeAntikoagulation mit Enoxiparin 40 mg/Tag eingeführt.In einer weiteren Studie der IFM für 75–85 jährige Patienten mit erstmalig be-handlungsbedürftigem Multiplem My-elom wurde ebenfalls randomisiert MPmitMPT verglichen. Die Arbeit ist bishernur als Abstract publiziert (6). Thalido-mid verbesserte die Remissionsrate(mindestens partielle Remission 31%vs.61 %), das progressionsfreie Überleben(median 19 vs. 24,1 Monate, p = 0,001)und das Gesamtüberleben (median 27,7vs. 45,3 Monate, p = 0,05).Was ist der Preis, der für den Überlebens-zeitgewinn durch die Ergänzung vonThalidomid zu MP zu bezahlen ist? Inallen Studien erhöhte sich die Häufigkeitder Grad 3–4 Toxizitäten: Thromboem-bolische Ereignisse, Neutropenien undPneumonien waren signifikant häufiger.Die Autoren des Artikels und die Autorendes begleitenden Editorials schlussfol-gern dennoch, dass MPT Referenzthera-pie von unbehandelten älteren Patientenmit Multiplen Myelom sein sollte. Ver-

gleichsstudien mit Lenalidomid undBortezemib fehlen bislang.

Literatur

1. Combination chemotherapy versusmelphalan plus prednisone as treatmentfor multiple myeloma: an overview of6,633 patients from 27 randomized tri-als. Myeloma Trialists' CollaborativeGroup. J ClinOncol 1998; 16: 3832-3842.2. Alexanian R, Haut A, Khan AU et al.:Treatment for multiple myeloma. Com-bination chemotherapy with differentmelphalan dose regimens. JAMA 1969;208: 1680-1685.3. Attal M, Harousseau JL, Stoppa AM etal.: A prospective, randomized trial of au-tologous bone marrow transplantationand chemotherapy inmultiplemyeloma.Intergroupe Francais du Myelome. NEngl J Med 1996; 335: 91-97.4. Palumbo A, Bringhen S, Petrucci MTet al.: Intermediate-dose melphalan im-proves survival ofmyeloma patients aged50 to 70: results of a randomized con-trolled trial. Blood 2004; 104: 3052-3057.5. Palumbo A, Bringhen S, Caravita T etal.: Oral melphalan and prednisone che-motherapy plus thalidomide comparedwith melphalan and prednisone alone inelderly patients with multiple myeloma:randomised controlled trial. Lancet2006; 367: 825-831.6. Hulin C, Virion J, Leleu X et al.: Com-parison of melphalan-prednisone-thali-domide (MP-T) to melphalan-predniso-ne (MP) in patients 75 years of age or

Die Gabe von Melphalan (Alkeran®) undPrednisolon (MP) war seit vielen JahrenStandard in der Therapie des behand-lungsbedürftigen Multiplen Myeloms(1;2). Unter anderem durch Studien derIntergroup Francophone du Myelome(IFM) wurde dieser Standard vor einigenJahren für Patienten im Alter bis 65 Jah-ren durch eine intensive Chemotherapie(Melphalan 200 mg = MEL200) gefolgtvon einem autologen Stammzellrescueersetzt (3). Eine italienische Arbeit hattebei Patienten im Alter von 50–70 Jahrendie Verlängerung des medianen Gesamt-überlebens von 42 auf über 58 Monatedurch Therapie mit MEL100 (Melphalan100 mg) gegenüber einer Therapie mitMP gezeigt. Auch in der Subgruppe der65–70 Jährigen (37 vs. 58 Monate) liessich ein vergleichbarer Effekt zeigen (4).Die IFM publizierte nun die Ergebnisseihrer 99-06 Studie, einer multizentri-schen, prospektiven, randomisiertendreiarmigen Studie bei Patienten miterstmalig behandlungsbedürftigem Mul-tiplen Myelom im Alter von 65–75 Jah-ren. Kontrollarm war die Therapie mitMP. Ein Studienarm untersuchte denStellenwert einer zusätzlichen Behand-lung von Thalidomid (MPT). Ein zweiterStudienarm setzte intermediär dosiertesMelphalan (MEL100) ein, gefolgt voneinem autologen Stammzellrescue1. Pri-märer Endpunkt war das Überleben. Diemediane Nachbeobachtungszeit betrug51,5Monate. Diemediane Überlebenszeitlag im MP-Arm bei 33,2 Monaten, imMPT-Arm bei 51,5 Monate und imMEL100-Arm bei 38,3 Monate und warfür MP gegen MPT und MEL100 gegenMPT signifikant (HR 0,59, 95 % CI 0,46–0,81, p = 0,0006 bzw. 0,69, 95 % CI 0,49–0,81, p=0,027)nicht jedoch fürMPgegenMEL100 (HR 0,86, 95%CI 0,65–1,15, p =0,32). Ähnliche Ergebnisse fanden sichfür das progressionsfreie Überleben.Die Ergebnisse müssen in Bezug gesetztwerden zu einer Arbeit von Palumbo etal. (5). Patienten im Alter von 60–85 Jah-ren mit Multiplem Myelom erhielten dieStandardtherapie MP oder MP und zu-sätzlich Thalidomid (MPT). Die Remis-sionsrate erhöhte sich dadurch von47,6 % auf 76,0 %, das zweijahres ereig-

FAZIT

MP (Melphalan + Prednisolon) allein istauch in der Therapie älterer Patienten(65–75 Jahre) nicht mehr Standard inder Therapie des neu diagnostiziertenbehandlungsbedürftigen Multiplen My-eloms. Die Ergänzung durch Thalidomidist trotz erhöhter Toxizitätsrate, aber an-gesichts eines medianen Überlebens-zeitgewinns von ca. 18Monaten zu emp-fehlen.Wesentliche zusätzlicheToxizitä-

ten sind thromboembolische Ereignisse,derenHäufigkeit aber durchprophylakti-sche Therapie gesenkt werden kann,Neuropathie und Ermüdbarkeit. DerStellenwert von Thalidomid im Vergleichzu anderen Substanzen, wie Lenalido-mid oder Bortezomib bleibt sowohl be-züglich der Effektivität als auch des Toxi-zitätsprofils abzuwarten.

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68 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Dr. med. Ulrich Wedding, [email protected]

1 Re-Transfusion zuvor über eine Apherese gesam-melter und kryokonservierter hämatopoetischerStammzellen nach Hochdosischemotherapie zurRekonstitution der Hämatopoese.

older with untreated multiple myeloma(MM). Preliminary results of the rando-mized, double-blind, placebo controlledIFM 01-01 trial. J Clin Oncol 2007; 25(18S): 8001.

fallsfreiheit über längere Zeiträume re-gistriert werden kann.

Neulizensierungen, der generischeWettbewerb und die Vielzahl der Präpa-rate haben zu einer schwer überschau-baren Präparateflut auf dem deutschenMarkt geführt. Der Druck auf eine wirt-schaftliche Verordnungsweise durch dieVertragsärzteschaft hat vor allem beiNeueinstellungen und Therapieumstel-lungen zu einer Ausschöpfung vorhan-dener Einsparpotentiale geführt.

So weit, so gut. Neue Probleme entste-hen jedoch zurzeit durch Rabattverträ-ge, welche von den Krankenkassen mitden Herstellern abgeschlossen werdenund den Apotheker verpflichten, nichtdas vomArzt rezeptierte, sondern das ra-battierte Arzneimittel mit dem gleichenWirkstoff abzugeben. Es sei denn, derArzt hätte auf dem Rezept das Kreuz bei„Aut-idem“ platziert, um die Verantwor-tung für seine Verordnung einschließ-lich derWirtschaftlichkeit umfassend zuübernehmen und so eine Substitutionauszuschließen. Dazu sind jedoch auchbei den Antikonvulsiva die Ärzte mehr-heitlich nicht bereit. Marktbeobachtun-gen zeigen: Bei Verordnungen von Anti-konvulsiva wird nur eher selten die Sub-stitution ausgeschlossen. In der Regelwählt der Apotheker gemäß Lieferver-trag das konkrete Rabattmedikamentaus und gibt es an den Patienten ab.

Dies bedeutet für die Mehrheit der An-fallpatienten: Versorgung nach Vertrags-lage ohne Berücksichtigung der bisheri-gen ärztlichen Verordnung.

Antiepileptika zählen zu einer Arznei-mittelgruppemit einer problematischenBioverfügbarkeit. Weltweit warnen des-wegen Experten und Fachgesellschaftenvor einer solchen Vorgehensweise (1;2).Denn jede medikamentöse Umstellungkann potentiell mit einem schweren An-fall verknüpft sein. Wobei über die Kau-salität danach trefflich gestritten werdenkann. Der zeitliche Zusammenhang istaber auf jeden Fall für den Patienten be-zugnehmend und maßgeblich (aller-dings auch für die Führerscheinzulas-sungsbehörden, wenn ein solches Ereig-nis auf offener Straße stattfindet undsomit der Polizei aktenkundig wird).

Der BKK-Bundesverband hat am 2. Juli2007 offiziell zur „Ersetzung wirkstoff-gleicher Arzneimittel nach § 129 Abs. 1SGB V im Zusammenhang mit der Aut-idem-Regelung und Rabattverträgen“festgestellt (aus einem Brief des BKK-Bundesverbandes an den deutschenApo-thekerverband, an die Spitzenverbändeder Krankenkassen und die KBV sowieArzneimittelhersteller): „Nach demGKV-WSG haben rabattbegünstigte Arz-neimittel uneingeschränkt Vorrang vorden Abgabebestimmungen des Rahmen-vertrages“. Einziger Hinderungsgrundwäre der Substitutionsausschluss durchden Vertragsarzt.

Zur Austauschbarkeit werden nach demGesetzeswortlaut eine identische Wirk-stärke und Packungsgröße, sowie eingleicher Indikationsbereich vorausge-setzt. Hinsichtlich der Darreichungs-form stehen zur Ersetzung die gleiche,oder eine austauschbare Darreichungs-

Die antikonvulsive Therapie hat das Ziel,große und kleine Anfälle zu vermeiden.Sie wirkt bekanntlich nicht kausal, son-dern hebt die Schwelle für das Auftretenvon epileptischen Anfällen an. Jeder un-vorhersehbare Anfall mit Bewusstlosig-keit mit und ohne Konvulsionen birgtdas Risiko in sich, dass Patienten sichund andere schwer gefährden (Straßen-verkehr, Schwimmbad, Treppe). Im Falledes Auftretens in der Öffentlichkeitkommt es in aller Regel zum Einsatz desNotarztes und zu anschließender sta-tionärer Aufnahme ins Krankenhaus füreinige Tage. Das Krankheitsbild der Epi-lepsie ist sehr uneinheitlich. Die Anfalls-häufigkeit ist schwer prognostizierbar.Für das mögliche Auftreten von Anfällengibt es keine zuverlässigen Prodromiund nur wenige Lebenssituationen mitVorhersagecharakter, ausgenommen Al-koholmissbrauch, Schlafentzug und oftauch flackerndes Licht (Diskothek).Schwer einstellbare Anfallskranke fin-den sich in allen Altersstufen, allerdingsmit einer deutlichen Dominanz im Kin-der- und Jugendalter.

Das medikamentöse Arsenal zur Anfalls-behandlung, welches im WesentlichenJahrzehntelang auf Barbiturate, Benzo-diazepine, Valproinsäure, Phenytoin undCarbamazepin begrenzt war, hat sich inden letzten Jahren um weitere und gutverträgliche Wirkstoffe erweitert (unteranderem Gabapentin, Lamotrigin, Ox-carbamazepin, Zonisamid, Topiramat,Pregabalin). DieMedikation ist sehr häu-fig eine Kombinationstherapie, wobeinicht selten verlaufsbegleitend Dosisti-trationen stattfinden müssen, bis An-

„Never changea running horse1“Anmerkungen zur Substitutionsproblematik bei Epileptikern

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69Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

form zur Verfügung. Bei gleichen Dar-reichungsformen bedarf es keiner weite-ren Festlegung; gleiche Darreichungs-formen sind immer substituierbar. Zuaustauschbaren Darreichungsformenhat der Gesetzgeber den G-BA beauf-tragt, diese – soweit therapeutisch ver-tretbar – zu gruppieren und in der Arz-neimittelrichtlinie festzulegen.

Aus diesen Zusammenhängen folgt:

1. Verordnet der Arzt ein Arzneimittelmit einemWirkstoff, zu dem der G-BAkeine Hinweise nach § 129 Abs. 1aSGB V gegeben hat, darf nur innerhalbder gleichen Darreichungsform sub-stituiert werden. Beispiel: Bei einerVerordnung „Tabletten“ kann nur ausverschiedenen Arzneimitteln in Ta-blettenform ausgewählt werden.

2. Verordnet der Arzt ein Arzneimittelmit einemWirkstoff, zu dem der G-BAaustauschbare Darreichungsformenbestimmt hat, darf unter den in denRichtlinien bestimmten Darrei-chungsformen ausgewählt werden.

Nunweißniemand ganz genau, ob all dieBefürchtungen der Fachleute und Fach-gesellschaften national und internatio-nal eintreten werden, wenn man vondem Prinzip abweicht, einen einmal sta-bil eingestellten Anfallskranken aus rei-nen Kostengründen auf ein andereswirkstoffgleiches Präparat mit gleicherWirkstärke und Darreichungsform um-zustellen. Dazu gibt es, wie NICE zutref-fend feststellt, keine adäquate Evidenz.Aber es wird auch keine Ethikkommissi-on geben, die einer solchen prospektivenund randomisierten verblindeten Studieihre Zustimmung erteilen würde (das isteher eine Frage der Kostenübernahmeals der Ethik). Bisher gibt es keine Hin-weise für eine Therapieverschlechterungdurch die Substitution aufgrund von Ra-battverträgen. In der kanadischen Pro-vinz Ontario haben allerdings Ander-mann et al. (3) rein deskriptiv und retro-spektiv beobachtet, dass nach einer Ge-nerikaumstellung bei Anfallspatientenein Fünftel der Gesamtheit wieder aufdas Original rückumgestellt werdenmusste. Die Gründe dafür blieben imDunkeln (Toxizität? Verlust der Anfalls-kontrolle?).

Aus all dem ergibt sich eine zutiefst un-befriedigende Situation: Trägt der ver-ordnende Arzt durch Freigabe der Sub-stitution bei Anfallskranken dazu bei, diefinanziellen Ressourcen der Kassen zuschonen und sich selbst von Wirtschaft-lichkeitsproblemen zu befreien, riskierter eine Therapieverschlechterung, vorder Experten weltweit warnen. Schließter die Substitution in der Apotheke aus,um dem Patienten die ggf. mühsam ge-fundene wirksame Medikation zur An-fallsfreiheit zu bewahren, muss der Pati-ent in der Apotheke zuzahlen, sofern erals „Chroniker“ nicht befreit worden ist.Und der Arzt steht im Prüffall vor einerBegründungspflicht. Also ein klassi-sches ethisches Dilemma, ausgetragenauf dem Rücken der Ärzte zu Lasten derPatienten.

Eswird heute gefordert, den Patienten inEntscheidungen einzubeziehen. EineDiskussion darüber, welche Position siein dieser heiklen Problematik denn ver-treten, steht noch aus und sollte von Pa-tientenorganisationen getroffenwerden.Bei Rabattverträgen sind Patienten zurMitwirkung gar nicht vorgesehen. Denndiese werden zwischen den Herstellernund den Krankenkassen abgeschlossen.Verantwortliche Ärzte und leidtragendePatienten sind außen vor.

Zum Eklat könnte es allerdings dannkommen, wenn durch diesen Zwangs-umstellungsprozess zur Ausschöpfungvon Einsparreserven eine nennenswerte

Zahl von Anfallskranken ein Anfallrezi-div erleidet. Dann werden die verant-wortlichen Vertragspartner und die Poli-tiker vermutlich jede Schuld von sichweisen und auf die unteilbare ärztlicheVerordnungsverantwortung hinweisen.Eine Argumentation, die allerdings juris-tisch gut untermauert ist.

Literatur

1. Kramer G, Biraben A, CarrenoM et al.:Current approaches to the use of genericantiepileptic drugs. Epilepsy Behav 2007;11: 46–52.2. Krämer G, Dennig D, Schmidt D et al.:Generika in der Epilepsietherapie: Wasist zu beachten? Z Epileptol 2006; 19:1–5.3. Andermann F, Duh MS, Gosselin A,Paradis PE: Compulsory generic switch-ing of antiepileptic drugs: high switch-back rates to branded compounds com-pared with other drug classes. Epilepsia2007; 48: 464–469.

Dr. med. Jürgen Bausch, [email protected]

Für die kritische Durchsicht des Manus-kriptes (aus der Sicht des Neurologen)sind wir Herrn Prof. Dr. med. H. Prange,Göttingen, zu Dank verbunden.

1 Eherner Grundsatz bei denWetten im Pferderenn-sport

FAZIT

Die Umsetzung der Rabattverträge beiMedikamenten zur Behandlung der Epi-lepsie führt in der Apotheke zu einer Ab-gabe von Medikamenten nicht gemäßder ärztlichen Verordnung, sonderngemäß der Vertragslage im Rabattver-trag. Weltweit warnen Experten undFachgesellschaften vor einer solchenVorgehensweise, weil möglicherweiseAnfallsrezidive durch diesen Umstel-lungsvorgang provoziert werden kön-

nen. Für die verordnenden Ärzte bestehtein ethisches Dilemma, welches gegen-wärtig nur dadurch gelöst werden kann,dass der Arzt bei seiner Verordnung aufdem Substitutionsverbot beharrt, aller-dings mit dem Risiko, im Prüfungsfall zurRechenschaft gezogen zu werden, weiler bewusst verhindert hat, dass vorhan-dene Einsparreserven ausgeschöpftwerden.

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70 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Kontrastmittel-Nephropathie –aktueller Stand derDiskussion über die Prophylaxe

Die Frage, ob eine intraarterielle Gabedes KM z. B. bei der Koronarangiogra-phie risikoreicher ist als eine intravenö-se z. B. beim Urogramm, ist offen. DasKontrastmittel erreicht meist immererst nach Lungenpassage die Nieren. Esgibt lediglich eine prospektive Untersu-chung hierzu, und diese zeigte keinenUnterschied. Die suprarenale Admini-stration bringt eine höhere Konzentrati-on des KM in den Nieren aber wohl keinehäufigeren Zwischenfälle.

Prävention

Eine sehr große Anzahl von größerenund kleineren Studien beschäftigt sichmit dem klinischen Problem der mögli-chen Prävention. Bisher sind trotz dieserUntersuchungen keine klaren evidenz-basierten Richtlinien erschienen, dieproblemlos in den klinischen Alltagtransferiert werden könnten. GängigePrinzipien sind:

Einsatz derNierenersatzverfahrenEine Metaanalyse aus dem Jahr 2001poolte die Daten der bis dahin erschiene-nen verschiedenen randomisierten Stu-dien mit denen einer nicht randomisier-ten Studie (n = 230) und kam zu demEr-gebnis, dass bisher keine ausreichendeDatenlage für den Einsatz der sehr auf-wendigen und potentiell auch gefährli-chen Nierenersatzverfahren besteht (1).Eine italienische Arbeitsgruppe und eineGruppe aus Taiwan konnten kürzlicherstmalig einen Vorteil in einer prophy-laktischen Hämofiltration (92 bzw. 114Patienten) oder Hämodialyse (82 Patien-ten) bei einer Hochrisikogruppe nachKoronarangiographie und perkutanerkoronarer Intervention zeigen (2;3).Diese Ergebnisse konnten in der neue-ren Arbeit zu diesemThema (424 Patien-ten) nicht nachvollzogenwerden (4). An-

zumerken ist hierbei, dass andere Fakto-ren die positiven Resultate in den zitier-ten Arbeiten beeinflussen könnten. Soerhalten Patienten während der Hämo-dialyse und -filtration Antikoagulantienund werden sehr viel intensiver betreut.Die Gerinnungshemmung kann einenpräventiven Effekt haben und die auf-wändige Überwachung und Behandlungmag die Ursache für die geringere Kurz-und Langzeitmortalität sein.

Periprozedurale Hydratationen

Ungefähr 30 Jahre nach Einführung derjodhaltigen KM gab es viele, vor allemkasuistische Beobachtungen, dass eineDehydratation das Risiko des Nierenver-sagens nach KM-Applikation insbeson-dere bei Patienten mit Diabetes mellitusund praeterminalem Nierenversagendeutlich erhöht. Inzwischen konnte diesanhand einer Reihe von randomisiertenkontrollierten Daten, die sich mit derprophylaktischen Hydratation befassen,belegt werden. Dennoch ist es sehrschwer, das wirklich effektivste Hydrata-tions-Protokoll (optimales Volumen,Zeit und Art der Flüssigkeit) aus der gän-gigen Literatur zu extrahieren. Dies wirddadurch erschwert, dass die Studien beiverschiedenen Patientenpopulationenund mittels unterschiedlicher Definitio-nen der KMN durchgeführt wurden.Harte klinische Endpunkte wurden sogut wie nicht verfolgt. Zurzeit hat sichneben der i. v. Applikation von Natri-umchlorid 0,9 % die periinterventionel-le Gabe von Bikarbonat etabliert undwird bereits vielerorts eingesetzt. Da diepro Zeiteinheit gegebene Menge geringist, wird der Kontrastierungseffekt nichtbeeinträchtigt.

Arzneimittel zur Prävention

Eine Vielzahl von sehr interessantenTierexperimenten mittels pharmakolo-

EinleitungIn Amerika und Europa stellt die Kon-trastmittel-Nephropathie (KMN)die dritt-häufigste Ursache des akuten im Kran-kenhaus beobachteten Nierenversagensdar. Sie ist für ca. 10 % aller im Kran-kenhaus erworbenen Nierenversagenverantwortlich. Freilich kommen hierDefinitionsfragen ins Spiel: Oft werdenschon geringe Steigerungen des Serum-kreatinins als „Nierenversagen“ bezeich-net, was bei anderen zur spöttischen Be-zeichnung „Laborkrankheit“ führt. Im-merhin aber treten bei bis zu 30 % derPatienten persistierende Schäden, alsoeine Verminderung der GFR auf.

Art und Menge sowieApplikationsort derKontrastmittelgabeBisher ist nicht klar, welche Rolle die Os-molarität, die Ionizität und die Viskositätder einzelnen Substanzen für die Patho-genese der KM-Nephropathie spielen.Zusammenfassend gilt aufgrund der jet-zigen Datenlage, dass niedrig-osmolareKM (z. B. Iopamidol) den älteren hoch-osmolaren KM (z. B. Amidotrizoesäure)im Hinblick auf die Entwicklung einerKMN überlegen sind. Die Überlegenheitder isoosmolaren KM (z. B. Iodixanol)für die Prävention der KM-Nephropathiewie sie auch in neueren Studien beiKoronarangiographien beschrieben wur-de, wird dagegen aufgrund ihrer hohenViskosität in Studien mittels CT-Unter-suchungen in Frage gestellt werden.

Das eingesetzte Volumen hängt sehrstark von der radiologischen Vorgehens-weise, der Konzentration und der Art desKMab. AlsObergrenze gelten gemeinhin2 ml/kg bei niereninsuffizienten Patien-ten. Die wiederholte Gabe vonKM inner-halb von 22 Stunden wurde in einer Stu-die als unabhängiger Risikofaktor be-schrieben.

Therapie aktuell

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71Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

gischer Beeinflussung verschiedenerMechanismen, die in die Pathogeneseder KMN einfließen, führte zu zahlrei-chen klinischen Studien. Zusammenfas-send konnten kleinere Studienmit Man-nitol, Furosemid, Fenoldopam, Dopa-min, atrialem natriuretischen Peptid,Kalzium-Kanal-Blockern, ATP-MgCl2,L-Arginin und mittels eines nicht selek-tiven Endothelinantagonisten keinenbelegbaren Nutzen zeigen.

Akzeptiert durch die meisten Autorensind:

Acetylcystein (ACC)Seit der ersten Beschreibung durchTepel (5) wurde dieser Ansatz sehr kon-trovers und engagiert diskutiert. Diesvor allem, da ACC ein sehr preiswertes,allgemein gut verträgliches Mittel ist.Trotz einer Vielzahl von Folgestudien (inden letzten Jahren auch zunehmendmittels hoch dosierter i. v. Gabe) undauch einer Vielzahl von Metaanalysenliegt bisher keine generell gültige Emp-fehlung zumEinsatz von ACC vor, und esmuss weiterhin eine große multizentri-sche Studie, die die Daten zur i. v. Gabedes ACC unterstützt, gefordert werden.Wennmöglich, sollte hierbei die Nieren-funktion nicht mittels Serumkreatinin,sondern z. B. durch Messung des Cysta-tin-C erfolgen, da kleine Studien einenEinfluss des ACC auf die Schätzung der

glomerulären Filtrationsrate mittelsKreatinin beschreiben.

TheophyllinAuch für Theophyllin liegen unter-schiedliche Resultate vor. Interessanter-weise sind die Ergebnisse (auch der Me-taanalysen) besonders gut bei Patienten,bei denen eine definierte Hydratationnicht erfolgte oder nicht erfolgen konn-te und die auf einer Intensivstationlagen. Hier wird der Einsatz auch viel-fach empfohlen. Außerhalb der Intensiv-station, insbesondere beim Routinege-brauch im Rahmen von Koronarinter-ventionen ist Theophyllin gegenüberACC eher ungünstig aufgrund seinernicht unerheblichen Nebenwirkungen(Arrhythmie).

Literatur

1. Vogt B, Ferrari P, Schonholzer C et al.:Prophylactic hemodialysis after radio-contrast media in patients with renal in-sufficiency is potentially harmful. AmJ Med 2001; 111: 692–698.2. Marenzi G, Bartorelli AL: Hemofiltra-tion in the prevention of radiocontrastagent induced nephropathy. MinervaAnestesiol 2004; 70: 189–191.3. Lee PT, Chou KJ, Liu CP et al.: Renalprotection for coronary angiography inadvanced renal failure patients by pro-phylactic hemodialysis. A randomized

controlled trial. J Am Coll Cardiol 2007;50: 1015–1020.4. Reinecke H, Fobker M, Wellmann J etal.: A randomized controlled trial com-paring hydration therapy to additionalhemodialysis or N-acetylcysteine for theprevention of contrast medium-inducednephropathy: the Dialysis-versus-Diure-sis (DVD) Trial. Clin Res Cardiol 2007;96: 130–139.5. Tepel M, van der GM, Schwarzfeld C etal.: Prevention of radiographic-contrast-agent-induced reductions in renal func-tion by acetylcysteine. N Engl J Med2000; 343: 180–184.

Prof. Dr. med. Christiane Erley, [email protected]

FAZIT

Zur Vorbeugung des durch Kontrast-mittel induzierten Nierenversagens istdie intravenöse Gabe von physiologi-scher Kochsalzlösung (NaCl 0,9 %) diezurzeit etablierteMethode. Dieses Vor-gehen ist nicht durchArbeiten gestützt,die den Kriterien der EBM entspre-chen. Wirksam könnten auch eine in-travenöse Bikarbonatgabe, ACC oraloder i. v. und die Gabe von Theophyllinsein. Der Nutzen einer prophylakti-schen Dialyse oder Hämofiltrationkonnte bisher nicht bewiesen werden.

Aktuelle Therapieentwicklungen beimSystemischen LupusErythematodes (SLE) amBeispiel der Lupus-Nephritis

Zu den therapeutisch schwierigstenchronisch-entzündlichen Erkrankun-gen des Immunsystems zählt der syste-mische Lupus Erythematodes (SLE).Klinisch zeigt er eine enorme Variati-onsbreite zwischen langjährig limitier-ten und gut beherrschbaren Krankheits-verläufen bis hin zum lebensbedrohli-chen Multiorganbefall. Frauen im Re-produktionsalter sind wesentlich häufi-ger betroffen als Männer (Ratio ca. 9 : 1),auch ethnische Unterschiede sind vongroßer Bedeutung. Die Tatsache, dass

die meisten außereuropäischen Studieneinen großen Anteil an Patienten mitschwarzafrikanischer oder asiatischerAbstammung einschließen, macht dieÜbertragbarkeit ihrer Daten auf Er-krankte aus europäischen (kauka-sischen) Familien schwierig. Patientenmit SLE weisen zusätzlich zu den spezi-fischenOrganschäden ein signifikant ge-steigertes Risiko für Dyslipidämien,Atherosklerose, thromboembolische Er-eignisse und vaskuläre Schäden auf. In-wieweit das Vorhandensein von Anti-

Phospholipid-Antikörpern die Athero-sklerose aggraviert, ist unklar.

Krankheitsaktivität –Surrogatparameter – ScoresZur Bewertung der Krankheitsaktivitätmüssen Surrogatparameter herhalten.Der Therapeut erstellt dazu eine Kombi-nation aus Anamnese, Klinik, Serologie(Beispiel: Anstieg der anti-dsDNA-AK,Komplementverbrauch, Anstieg deserythrozytengebundenen C4d), Entzün-

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dungsparametern (CRP, BSG) undorganspezifischen Labortests (Beispiel:S-Kreatinin, nach Formeln geschätzteGFR, Proteinurie, Urinsediment). Aller-dings weist nicht jeder Patient mit er-höhter Krankheitsaktivität veränderteserologischeMarker auf, und umgekehrtsignalisieren Änderungen der Titer nichtzwangsläufig eine drohende oder beste-hende Schubsituation. Sehr hilfreichzur Aktivitätsbeurteilung im Langzeit-verlauf ist die regelmäßige Erstellungvon Aktivitätsscores (z. B. EuropeanConsensus Lupus Activity Measurement= ECLAM), um eine Unter- bzw. Über-therapie zu vermeiden.

Therapieziele Remission undTeilremissionDie Aggressivität der Therapie muss ge-genüber ihrer Toxizität abgewogen wer-den. Das Ziel einer immunsuppressivenInduktionstherapie stellt das Erreicheneiner Remission der entzündlichenLupus-Manifestationen dar, wie sie bei-spielsweise für die Lupus-Nephritis 2006vom American College of Rheumatologyfür die Nierenfunktion, die Proteinurieund die Urinsedimentbefunde definiertworden sind. Sowohl eine komplette Re-mission als auch eine Teilremission wei-sen auf einen ungleich günstigerenLangzeitverlauf hin als ein Nichtanspre-chen. Eine Teilremission wiederum lässtmit höherer Wahrscheinlichkeit ein Re-zidiv erwarten als eine komplette Remis-sion.

Antimalariamittel

Chloroquin (CQ) und Hydroxychloro-quin (HCQ) sindhilfreichzurBehandlungderHautmanifestationenundBeschwer-den der Muskeln und des Bewegungsap-parats. In Langzeitbeobachtungen stell-temanunter Antimalarika auch eine sig-nifikante Reduktion neuer Symptomewie leichte Erschöpfbarkeit und Fieberfest sowie ein deutlich höheres Schubri-siko nach Absetzen der Medikation. DerWirkungsmechanismus ist weiterhinunklar. UnerwünschteWirkungen (UAW)sindgering.ÜberdieVermeidungvonUAWam Auge durch idealgewichtsadaptierteDosierung (CQ < 3,5–4 mg/kg/Tag; HCQ< 6–6,5 mg/kg/Tag) wurde bereits früher

an dieser Stelle referiert (AVP 1/1999,Seite 5). Neue Aufmerksamkeit erlangendie Antimalariamittel durch positiveEffekte auf Dyslipidämie, Glukosestoff-wechsel und die Häufigkeit thromboem-bolischer Ereignisse. Bei gleichzeitigerBegünstigung der Therapieansprech-raten werden die Organspätschäden(„damage“) und die Gesamtmortalitätgesenkt (LUMINA L-Studie 2007). Inso-fern sollte möglichst bei allen Erkrank-ten diese kostengünstige Basistherapie-komponente in das Therapiekonzepteinbezogen werden.

Lupus-Nephritis

Eine Lupus-Nephritis (LN) vom Typ derImmunkomplex-Nephritis kann sich beibis zu 60 % bei Erwachsenen und bis zu80 % der Kinder mit SLE entwickeln.Klinische Symptome sind Proteinurie(ggf. mit Ausbildung eines nephroti-schenSyndroms), ein „aktives“ Urinsedi-ment (Mikrohämaturie, Zylinder), einlangsamer oder akuter Anstieg der Re-tentionsparameter und eine neu aufge-tretene arterielle Hypertonie. Bei LN-Verdacht ist eine Nierenbiopsie zur Ab-klärung der renalen Morphologie zwin-gend erforderlich. Neben dem Typ derglomerulären Schädigung kann der Pa-thologe das Ausmaß der tubulo-intersti-tiellen Beteiligung und eine möglichevaskuläre Mitbeteiligung beurteilensowie einen Index für Akuität und Chro-nizität festlegen. Der elektronenmikro-skopischeNachweis LE-spezifischer Ver-änderungen (tubulo-retikuläre Struktu-ren) sichert oft erstmals die Lupusdiag-nose. Eine aggressive immunsuppressi-ve Therapie ist bei den LN-Typen III(fokal-proliferierende LN) und IV (diffus-proliferierende LN) erforderlich.

Cyclophosphamid

Basierend auf dengutenErfahrungenmiteiner Induktionstherapie aus Cyclophos-phamid (CYC) und Glukokortikostero-iden nach dem NIH-Regime in den 70erund 80er Jahrenwurden in den vergange-nen Jahren verschiedene Studien aufge-legt, die eine Reduktion der gefürchtetenCYC-Toxizität (Infektionen, Malignomin-duktion, Infertilität) bei gleich guter The-rapiewirkung zum Ziel hatten.

Im Euro-Lupus Nephritis Trial wurden90 LN-Patienten entweder einer sechs-maligen intravenösen Low-dose-CYC-Pulstherapie (500 mg) im Abstand von14 Tagen oder sechs- monatlichen Pul-sen à 0,5 g/m2 (adaptiert am Leukozyten-nadir), gefolgt von zwei vierteljährlichenCYC-Pulsen, unterzogen. SämtlichePatienten erhielten initial 750 mgMethylprednisolon i. v. an drei aufeinan-derfolgenden Tagen sowie nach Beendi-gung der Pulstherapie ein remissionser-haltendes Regime aus Azathioprin (AZA)(2mg/kg/Tag) undPrednisolon oralmin-destens bis zum 30. Monat. Die Ergeb-nisse nach einer Beobachtungszeit vonim Median 41 Monaten ergaben eine Re-mission der LN in 71 % der Low-doseund 54 % der High-dose-Gruppe (n. s.).Therapieversagen wurde in 16 bzw. 20%(n. s.) beobachtet, ein Rezidiv der LN tratbei 27 bzw. 29% (n. s.) der Patienten auf.Schwere Infektionen waren in der High-dose-Gruppe häufiger (Houssiau 2002).Auch die Nachbeobachtung dieser Pati-enten über durchschnittlich sechs Jahreergab keine Unterschiede zwischen bei-den Gruppen bezüglich terminalemNie-renversagen oder Verdopplung der S-Kreatinin-Konzentrationen. Darüberhinaus signalisierte ein frühzeitiges An-sprechen auf die Therapie auch ein bes-seres Langzeitergebnis (Houssiau 2004).

Nicht gesichert ist die optimale Dauerder initialen CYC-Induktionstherapie.Die prospektive Studie von Contreras(NEJM 2004) an 59 Patienten mit proli-ferativer LN Typ III und IV lässt jedochdarauf schließen, dass eine monatlichePulstherapie über ein halbes Jahr mitCYC (0,5 bis 1,0 g/m2) plus Glukokorti-koiden bereits zu einer substantiellenBesserung der Nierenerkrankung führt(83 % der Studienpatienten). In denanschließenden remissionserhaltendenTherapiearmen erwiesen sich AZA (1–3mg/kg/Tag) bzw. Mycophenolatmofetil(MMF) (500–3.000 mg/Tag) während72 Monaten Nachbeobachtung gegen-über einer vierteljährlichen Wiederho-lung der CYC-Therapie hinsichtlich Re-zidivfreiheit, terminalem Nierenversa-gen, Tod bzw. schweren UAW deutlichüberlegen. Das Editorial von Balow undAustin (NEJM 350, 2004) setzt sich kri-tischmit der Patientenauswahl und eini-

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gen Ergebnisinterpretationen dieserStudie auseinander, schmälert jedochnicht die oben genannte Kernaussageeines günstigeren Nutzen-Risiko-Profilsder getesteten remissionserhaltendenSubstanzen gegenüber CYC.

Mycophenolat

Mycophenolatmofetil (MMF) als Pro-drug der Mycophenolsäure wird seit vie-len Jahren mit großem Erfolg als Im-munsuppressivumbei der Transplantati-on solider Organe eingesetzt und hatdort auf Grund der besseren Wirksam-keit das Azathioprin inzwischen nahezukomplett ersetzt. Auch bei der LN zeig-ten erste kleinere Studien schon 1999,dass MMF, verglichen mit CYC, auch inder Induktionstherapie effektiv ist.

In den letzten Jahren sind vier kontrol-lierte randomisierte Studien erschienen,die in einer 2007 publizierten Metaana-lyse von Walsh (CJASN 2, 2007) zusam-mengefasst wurden. Die Nierenfunktionwar bei allen Patienten höchstens leichteingeschränkt (Kreatinin 94–113mmol/l) und die Proteinurie lag zwi-schen 1,8–4,0 g/Tag. Die Therapiedauerlag jeweils bei sechs Monaten gefolgtvom Fortführen der MMF-Therapie bzw.Wechsel auf AZA im CYC-Arm. Als Er-gebnis lässt sich bei insgesamt 268 Pati-enten mindestens eine vergleichbareWirksamkeit derMMF-Therapie gegenü-ber der CYC-Therapie feststellen. Das re-lative Risiko für ein Therapieversagenlag für MMF 30 % niedriger (p = 0,004).Auch das Risiko des Todes oder die Ent-wicklung einer terminalen Niereninsuf-fizienz war in der MMF-Gruppe niedri-ger, wenn auch der Unterschied aufGrund einer zu geringen Anzahl an er-reichten Endpunkten kein Signifikanz-niveau erzielte.

Die UAW-Rate war in allen Studien be-züglich Infektionen, Entwicklung einerAmenorrhoe oder einer Leukopeniedeutlich höher in der CYC-Gruppe. Ge-rade eine Amenorrhoe stellt für die oftjungen Patientinnen eine schwerwie-gende Nebenwirkung dar. In diesem Zu-sammenhangmuss jedoch erwähnt wer-den, dass auf Grund beschriebener feta-ler Missbildungen unter MMF auch

während der Einnahme von MMF aufeine sichere Antikontrazeption geachtetwerden muss. Lediglich gastrointestina-le Nebenwirkungen wurden häufiger inder MMF-Gruppe beobachtet. Trotz die-ser Ergebnisse sindMetaanalysen immermit Vorsicht zu betrachten. So war dieDosis an MMF sowie die Applikationsartvon CYC nicht in allen Studien gleich.Auchwurden in den Studien unterschied-liche ethnische Gruppen untersucht.

Auf dem Jahreskongress der Amerikani-schen Nephrologischen Gesellschaft2007 stellte G. Apel eine noch nicht pu-blizierte Studie mit über 300 Patientenvor, die die Gleichwertigkeit einer MMF-Therapie mit der CYC-Gabe bestätigte.Auch er konnte für MMF das deutlichgünstigere Nebenwirkungsspektrum be-stätigen. Die MMF-Dosis sollte je nachgastrointestinaler Verträglichkeit zwi-schen 2–3 g/Tag, verteilt auf 2–3 Einzel-dosen, liegen. Im Gegensatz zur Situati-on bei der Transplantation solider Orga-ne, bei der sich die Wertigkeit eines the-rapeutischen Drug-Monitorings immermehr bestätigt, gibt es hierzu bei der Lu-pustherapie keine Daten, so dass derzeitein Drug-Monitoring nicht empfohlenwerden kann. Zusätzlich zu MMF muss,wie auch bei CYC, eine Behandlung mitGlukokortikoiden erfolgen.Aufgrund dieser Daten sollte nach deraktuellen Studienlage bei Patienten mitgut erhaltener Nierenfunktion und einerProteinurie bis zu 4 g/Tag primär bevor-zugt MMF als Induktionstherapie einge-setzt werden. Dies gilt insbesondere beijungen Frauen. Im Falle einer höhergra-dig eingeschränkten Nierenfunktionoder schwerer Proteinurie von > 5 g/Tagexistieren keine Erfahrungen mit MMF.Es ist jedoch festzustellen, dass bei die-sem Patientenkollektiv auch die Studi-enlage bezüglich anderer Therapieansät-ze sehr begrenzt ist.

Rituximab

Bei therapierefraktärer LN wurden inden letzten Jahren erstmals gegenB-Zel-len gerichtete monoklonale Antikörper(MAB) eingesetzt. Aus Tierexperimentenwar bekannt, dass die vorübergehendeselektive Entfernung von B-Zellen nichtnur zu einer Reduktion der anti-dsDNA-

Antikörper führt, sondern auch zu einerVerminderung der Zahl der Antigen-prä-sentierenden Zellen und der Zytokinpro-duktion. Rituximab (RTX) ist ein chimä-rer monoklonaler Antikörper, der gegendas B-Zell-Oberflächenantigen CD 20gerichtet ist. CD 20 wird während der B-Zell-Reifung exprimiert, ist jedoch nichtauf Plasmazellen nachweisbar. RTXwurde Ende der 90er Jahre zur Behand-lung von B-Zell-Lymphomen eingeführtund kürzlich für die therapierefraktärerheumatoide Arthritis zugelassen.

In einer Übersicht von Sfikakis et al(Curr Opin Rheumatol 2005) wurden diein Fallstudien publizierten Ergebnissevon 100 bis zu diesem Zeitpunkt behan-delten Patientenmit verschiedenenOrg-anmanifestationen kritisch analysiert.Die Heterogenität und Schwere des Or-ganbefalls, die unterschiedliche immun-suppressive Vorbehandlung sowie dieuneinheitlichen RTX-Dosen lassen aller-dings nur eine Trendanalyse zu. So er-hielten ca. 40 % der Patienten das RTXnach dem für Lymphome empfohlenenRegime (vierwöchentliche Infusionen à375 mg/m2). Bei anderen wurde das fürdie rheumatoide Arthritis festgelegteRTX-Schema (1000 mg im Abstand vonzwei Wochen) angewandt. Ca. 35 % derPatienten erhielten parallel CYC-Infu-sionen (500–750 mg). Die Bewertungder globalen Lupus-Aktivität anhandverschiedener Scores zeigte eine deutli-che Verbesserung bei 80 % aller behan-delten Patienten in einem durchschnitt-lichen Beobachtungszeitraum von zwölfMonaten. Die Mehrzahl der in diese offe-nen Studien eingeschlossenen Patientenmit proliferativer LN profitierte hin-sichtlich einer Verbesserung der Pro-teinurie und der Nierenfunktionspara-meter i. S. einer kompletten oder Teilre-mission. Eine aktuell publizierte Lang-zeitbeobachtung bei 32 Patienten mitunterschiedlichen SLE-Manifestatio-nen, darunter 21 LN-Fälle Typ IV, übereinen durchschnittlichen Beobach-tungszeitraum von 39 Monaten, berich-tet von einer Reduktion der medianenProtein-Kreatinin-Ratio imUrin von 446auf 190 mg/mmol nach sechs Monaten.

Um die Effektivität und die Sicherheitder RTX-Therapie bei LN Typ III und IV

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WelchesStatin inwelcherDosis?

Unter diesem Titel erschien vor Kurzemeine Übersicht (1). Alle Statine hemmendie Co-Enzym A-Reduktase, die für dieCholesterinsynthese in der Leber erfor-derlich ist. Die verschiedenen Substan-zen können eine gleiche LDL-Senkungbewirken, wenn sie in äquivalentenDosen gegeben werden. Simvastatin,Atorvastatin und Rosuvastatin1 setzendie Triglyzeridkonzentration etwas stär-ker herab als Fluvastatin und Pravasta-tin. Außerdem haben die Statine einenEffekt auf den CRP-Spiegel. Ob dies eineklinische Bedeutung hat, ist unklar (2).Bezüglich der präventiven Effektivitätder Statine herrscht Einigkeit. Siewurdedurch große Studien mit „harten“ End-punkten gesichert. Ihre Wirksamkeit istumso eindrucksvoller, je höher die Blut-fettwerte ausgangs liegen und je stärkerbereits das Gefäßsystem geschädigt ist.Es liegen bisher keineDaten darüber vor,ob die verschiedenen Statine, in Stan-darddosis gegeben, unterschiedlich ef-fektiv sind. Es fehlen somit Vergleichevon Statin zu Statin. Vergleicht manaber die vorliegenden Studien unterein-ander, so scheint ein fassbarer Unter-schied nicht zu bestehen.

Bringen höhere Dosen mehr alsStandarddosen?

Eine Studie mit Simvastatin zeigte hierkeine Differenz. In einer anderen Studiewurden 80 gegen 10 mg Atorvastatin ge-prüft. Hier zeigte sich ein signifikantbesseres Ergebnis bezüglich des zusam-mengesetztes Endpunktes (Tod bei koro-narer Herzkrankheit, Herzinfarkt, Rea-nimation nachHerzstillstand, Schlagan-fall). Der Unterschied war hoch signifi-kant (p < 0,001), die absolute Risikore-duktion (ARR) betrug aber lediglich2,2 %, was einer NNT von 45 entspricht.Damit hatte diese achtfach höhere Dosiseigentlich keine klinische Relevanz. ZurPrimärprävention gibt es keine Studien,die hohe und Standarddosen miteinan-der vergleichen.

Unerwünschte Arzneimittelwir-kungen (UAW)Insgesamt werden die Statine relativ gutvertragen, die beobachteten UAW sindaber, wie aus den Dosisvergleichsstudienhervorgeht, dosisabhängig. An ersterStelle stehen Muskelprobleme (Schmer-zen, Krämpfe, Schwäche). Hierbei kann

die Kreatininkinase (CK) erhöht sein. Inder Regel sind die Beschwerden erträg-lich, können aber auch zum Absetzenzwingen. Nach den Autoren der hier zi-tierten Übersicht schätzt man, dass fünfbis elf Myopathien auf 100.000 Perso-nenjahre kommen. Unterschiede zwi-schen den verschiedenen Statinen sindnicht erkennbar, es besteht jedoch deut-lich eineDosisabhängigkeit. Treten dieseBeschwerden auf und ist die Kreatinin-kinase (CK) erhöht, kann ein Versuchmit einem anderen Statin und/oder eineDosisreduktion weiterhelfen. Die Rhab-domyolyse wurde seinerzeit bei Ceriva-statin (Lipobay®) besonders häufig beob-achtet und führte zur Rücknahme desMittels. Es handelt sich um eine lebens-bedrohliche Erkrankung, die rasch zumNierenversagen führen kann. Man rech-net 3,4 Fälle auf 100.000 Patientenjahre.Bei Fluvastatin und Pravastatin scheintdiese Nebenwirkung seltener zu sein.

In etwa zwölf Fällen auf 100.000 Patien-tenjahre kommt es zu einer peripherenNeuropathie. Hier sind zunächst andereUrsachen (Diabetes, Niereninsuffizienz,Schilddrüsenunterfunktion) auszusch-ließen. Kommt es nach dem Absetzen

zu prüfen, wurde kürzlich eine randomi-sierte, doppelblinde, plazebokontrollier-te Multizenterstudie (LUNAR-Studie,140 Patienten an 85 Zentren) initiiert,deren Ergebnis die Frage beantwortensoll, ob die B-Zelldepletion mit Rituxi-mab zukünftig eine neue Therapiesäulebei proliferativer LN darstellen wird.Weitere Studien unter Verwendung an-derer B-Zell-gerichteter MABs sind ge-genwärtig in Arbeit.

Einzelfallberichte über das Auftreteneiner progressiven multifokalen Leuk-enzephalopathie (PML) unter RTX-Therapie führten zu ausführlichen Si-cherheitsdiskussionen. Allerdings ist dasAuftreten einer PML vereinzelt auch beiSLE-Patienten unter anderen immun-suppressiven Regimen beschrieben wor-den.

Literatur

Eine Literaturliste kann bei den Autorenangefordert werden.Weitere Details auch unterwww.rheumanet.org;www.rheuma-online.de;www.springerlink.com

Prof. Dr. med. Michael H. Weber,[email protected] Dr. med. Michael Burg,Hann. Mü[email protected]

FAZIT

Patientenmit SLE undNierenbeteiligungmüssen fast immer immunsuppressivbehandelt werden. Aufgrund der heutevorliegenden Studien kann bei Patientenmit gut erhaltener Nierenfunktion unab-hängig von den histologischen Verände-rungen Mycophenolat als primäre In-duktionstherapie eingesetztwerden. Beibereits eingeschränkter Nierenfunktion

sollte eine maximal sechsmonatige pa-renterale Cyclophosphamidgabe miteiner sich daran anschließenden Erhal-tungstherapie mit Mycophenolat erfol-gen. Bei Therapieversagern kann dieGabe von Rituximab erwogen werden,die optimale Dosis ist derzeit nochThema mehrerer Studien.

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75Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Seit Juli 2007 ist unter dem Handelsna-men Invega® ein neues Antipsychotikumauf dem Markt. Sein Wirkstoff Paliperi-don ist der aktive Metabolit 9-Hydroxy-Risperidon des in der Klinik fest etablier-ten Risperidons (Risperdal®), dessen Pa-

tent vor kurzem ausgelaufen ist. Ein ver-gleichbarer Vorgang war z. B. die Ein-führung von Fexofenadin, des aktivenMetaboliten des Antihistaminikums Ter-fenadin vor dem Erscheinen von Generi-ka. Invega® ist zur Behandlung der Schi-

zophrenie zugelassen. Neu an demPräparat sind die retardierteGalenik undder im Vergleich zu Risperidon verkürz-te Ausscheidungsweg, der den Leberme-tabolismus im Wesentlichen umgeht.

des Statins zur Besserung, kann – beizwingender Indikation eines Statins – zueinem späteren Zeitpunkt ein erneuterVersuch mit einem anderen Statin undeiner niedrigen Dosierung begonnenwerden. Weiterhin kann es zu einerasymptomatischen Erhöhung der GPTund der GOT auf etwa das Dreifache derNorm kommen. Dies geschieht bei etwaeinem Prozent aller Patienten. Bei derhohen Dosis Atorvastatin (80 mg) wurdedieseNebenwirkung bei zwei bis drei Pro-zent der Patienten beobachtet. Auch hierist eine Reduktion der Dosis angezeigt.Ein Übergang auf Gallensäuren-Kom-plexbildner wie Colesevelam (siehe AVP,Band 35, Ausgabe 3, Mai 2008, Seite 55),Fibrate und Nikotinsäure ist zu prüfen.

Kontraindikationen undVorsichtsmaßnahmenAlle Statine sind bei Lebererkrankun-gen, Schwangerschaft und Stillzeit kon-traindiziert. Grapefruitsaft kann übereine Hemmung des CytochromP450/3A4 den Spiegel von Simvastatinund ebenso den Spiegel von Atorvastatin(allerdings nur bei hohen Dosen) anhe-ben (3). Die anderen Statine werden aufanderem Wege metabolisiert. Weiterhinist zu beachten, dass auch andere Sub-stanzen dieses Cytochromhemmenkön-nen, so bestimmte Virustatika, Fungizi-de sowie die Makrolidantibiotika (Aus-nahme: Azithromycin), weiter Verapa-mil, Amiodaron und Diltiazem. Bei Nie-reninsuffizienz muss Simvastatin in re-duzierter Dosis gegeben werden. FürAtorvastatin gilt, dass nur im Falle einerhöheren Dosierung auf Substanzen ge-achtet werden muss, die auf das Cyto-chrom P450/3A4 wirken. Pravastatin ist

wasserlöslich und wird anders metaboli-siert. So kann es als Alternative für Sim-vastatin in den oben genannten Fällenangesehen werden. Bei Fluvastatin isteine Kombination mit Glibenclamid zuvermeiden, da es zu Hypoglykämienkommen kann. Rosuvastatin soll beischwerer Niereninsuffizienz gemiedenwerden.

Kosten-Nutzen-Analyse

Da es mit den wenigen oben genanntenAusnahmen offenbar gleichgültig ist,mit welchem Statin die Cholesterinsen-kung erzielt wird, kann folglich das ko-stengünstigste gewählt werden. DieStandarddosen2 kosten im Mittel etwa.0,27 (ab 0,23) Euro für Simvastatin(DDD-Kosten nach Arzneiverordnungs-Report 2007). Pravastatin ca. 0,52 Euro,Fluvastatin ca.0,55 Euro, Lovastatin0,64 Euro, Atorvastatin ca. 0,58 Euro

Bei welchen Patienten solltedas Statin gewechselt werden?Zunächst einmal sollte auf das kosten-günstigste Statin umgestellt werden,wenn der Patient auf ein teures Statin

eingestellt ist. Weiter ist umzustellen,wenn dies die Komedikation oder viel-leicht die besondere Vorliebe des Patien-ten für Grapefruitsaft erfordert (sieheoben). Zu beachten bleibt, dass nachjeder Umstellung Kontrollen erforder-lich sind, die ihrerseits Zeit und Geld ko-sten.

Literatur

1. Which statin, what dose? Drug andTherapeutics Bulletin 2007; 45: 33-37.2. Arzneimittelkommission der deut-schen Ärzteschaft: Empfehlungen zurTherapie von Fettstoffwechselstörun-gen. 2. Auflage. Arzneiverordnung in derPraxis (Therapieempfehlungen), Juli1999; Band 26, Sonderheft.3. Höffler D: Vorsicht vor Grapefruitsaft-induzierten Arzneimittelinteraktionen.Arzneiverordnung in der Praxis (AVP)2005; 32: 119-120.

1 In Deutschland derzeit nicht im Handel

2 Da sich dieApotheken-Abgabepreise oft kurzfristigändern, können diese Zahlen nur Hinweise geben

3 Eine Tabelle zur Ermittlung dieses Wertes findetsich bei (2).

FAZIT

Eine Statintherapie ist grundsätzlich zuempfehlen bei Patienten mit koronarerHerzkrankheit oder solchen mit einem10-Jahresrisiko der koronaren Herz-krankheit vonmehr als 20%3. Bei der Se-kundärprävention kann eine hohe DosisVorteile (aber auch mehr UAW) bringen.Bei der Primärprävention ist der Nutzenhöherer Dosen nicht nachgewiesen.

Wegen der grundsätzlichen Vergleich-barkeit aller Statine ist das kostengün-stigste (zur Zeit Simvastatin) vorzuzie-hen. Die teurerenSubstanzen sollten nureingesetzt werden, wenn eine der selte-nen spezielleren Situationen (Komedika-tion, eingeschränkteNierenfunktion) ge-geben sind.

Paliperidon, ein neuesAntipsychotikum

Arzneimittel – kritisch betrachtet

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76 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Neue Galenik

Invega® (Paliperidon Extended Release[ER]) ist ein orales Antipsychotikum, dasin einer retardierten Galenik entwickeltwurde. Zur Realisierung der verzögertenFreisetzung wurde die OROS-Technolo-gie (Osmotic controlled Release Oral de-livery System) verwendet, die das Prinzipder Osmose ausnützt. Während derMagen-Darm-Passage wird der Wirkstoffkontrolliert über 24 Stunden freigesetzt.Dies führt zu einer gleichmäßigen Blut-konzentration und einer anhaltenden,ausreichend hohen Rezeptorbelegung.So kann die Wirkstoffkonzentrationleichter über einen längeren Zeitrauminnerhalb des optimalen Bereichs derRezeptorbelegung von 60–80%, d. h. dessogenannten „therapeutischen Fens-ters", gehalten werden. Es wird erwartet,dass wegen der Vermeidung unnötighoher Wirkstoffspitzen und der darausresultierenden Rezeptorüberbelegungweniger extrapyramidalmotorische Stö-rungen wie Dyskinesien auftreten. Diebessere Verträglichkeit soll die Patientendazu motivieren, das Medikament ver-lässlich einzunehmen, so dass theore-tisch das therapeutische Ergebnis besserwird. Eine Einmalgabe – wichtige Vor-aussetzung für die Therapietreue – ohneanfängliche Dosistitration könnte mög-lich sein.Vergleicht man die Tagestherapiekosten(4mgRisperdal® gegen 6mg Invega®), sosind die Kosten in etwa vergleichbar (ca.sechs bis sieben Euro/Tag).

Metabolisierung

Paliperidon wird vorwiegend (> 60 %)renal ausgeschieden. Die Hydroxylie-rung des Risperidons, die über das Cyto-chrom-P450-Isoenzym 2D6 (CYP2D6)verläuft, ist im Molekül bereits vorge-nommen. Trotzdemwird noch ein Anteilvon ca. 4 % der Dosis über CYP2D6 ver-stoffwechselt, ein jeweils gleich großerAnteil über zwei weitere enzymatische,nicht hepatogene Stoffwechselwege. DasRisiko pharmakokinetischer Arzneimit-telinteraktionen über das Cytochrom-P450-Isoenzymsystem der Leber ist dahergering.

KlinischeWirksamkeit

Wirksamkeit und Verträglichkeit ent-sprechen dem, wasman von dem aktivenMetaboliten des Risperidon erwartenkonnte. In fünf plazebokontrolliertenZulassungsstudien wurde das Präparatan circa 2000 Patienten getestet. Die kli-nische Wirksamkeit und Verträglichkeitbei der Therapie der Schizophrenie sowieeine positive Wirkung auf das psychoso-ziale Funktionsniveau konnten erwar-tungsgemäß belegt werden. Die Patien-tenwerte auf der PANSS-Skala (Positiveand Negative Syndrome Scale) verbes-serten sich signifikant (> 30 %) ab Tagvier nach Studienbeginn. Die fünf Studi-en erstreckten sich jedoch nur übereinen Zeitraum von sechs Wochen. Stu-dien zum direkten Vergleich mit ande-ren Antipsychotika und der Muttersub-stanz Risperidon liegen bislang nichtvor. Deshalb ist noch keine evidenzba-sierte Aussage darüber möglich, ob dasPräparat tatsächlich Vorteile gegenüberder Ausgangsubstanz hat. Nachteile hatsie keine.

UnerwünschteArzneimittelwirkungen (UAW)Unter 6–15mgPaliperidonER (extendedrelease: verzögerte Freisetzung) tratenunerwünschte Arzneimittelwirkungenbei 66 % bis 77 % der Patienten auf,wobei das UAW-Profil dem der Mutter-

substanz ähnelt. Es finden sich dosisab-hängig extrapyramidal motorischeStörungen, prolaktinassoziierte uner-wünschte Ereignisse (wie Galaktorrhoeoder Amenorrhoe) und kardiale Ereig-nisse (wie QT-Zeitverlängerungen oderTachykardie).

Literatur

1. Falkai P, Haen E, Hargarter L: Palipe-ridon ER (INVEGA). Der nächste Schrittzur optimalen Schizophrenietherapie.Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 20072. EMEA: Produktinformation Invega®:Zusammenfassung der Merkmale desArzneimittels (Stand: 25. Juni 2007):http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/invega/H-746-PI-de.pdf.Invega-H-C-746-00-00, zuletzt geprüft:12. November 2007.3. Janssen-Cilag GmbH: Fachinformati-on „Invega® 3 mg Retardtabletten“.Stand: Juni 2007.

cand. rer. nat. Daniela Schlosser,RegensburgProf. Dr. med. Dr. rer. nat.Ekkehard Haen, [email protected]

1 E-Mail: [email protected]: www.amuep-agate.de

2 E-Mail: [email protected]: www.amsp.de/amsp

FAZIT

Paliperidon (Invega®) ist der aktive Me-tabolit 9-Hydroxy-Risperidon des Rispe-ridons (Risperdal®). Neu an dem Präpa-rat sind die retardierte Galenik und derim Vergleich zu Risperidon verkürzteAusscheidungsweg. Wegen dieserpharmakokinetischen Eigenschaftenwärees vorstellbar, dassPaliperidonge-genüber der Ausgangssubstanz Risperi-don Vorteile bietet. Ob diese sich im kli-nischen Alltag bewähren, muss im Rah-mendesPharmakovigilanzsystemsnach

der Zulassungdokumentiertwerden. DieÄrzteschaft bleibt daher aufgefordert,jedes unerwünschte Ereignis unter derTherapie mit diesem neuenMedikamentan die Arzneimittelkommission der deut-schen Ärzteschaft (Berichtsbogen alle14 Tage auf der inneren hinteren Um-schlagseite desDeutschenÄrzteblattes)bzw. die psychiatriespezifischen Vigi-lanzsysteme AGATE und AMSP zu mel-den. Eine Vergleichsstudie mit Risperi-don wäre wünschenswert.

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77Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Tabelle 1: ADVANCE (mod. nach 2)

11.140 Patienten (66 ± 6 Jahre, 43%Frauen)mit Diabetesmellitus Typ 2mitmindestens einemweiteren Risikofaktor (z. B. Herz-infarkt, Schlaganfall, Mikroalbuminurie, Augenerkrankung usw.). Sechs Woche run-in Periode mit fixer Kombination Perindo-pril (2 mg) plus Indapamid (0,625 mg). Randomisation: Perindopril plus Indapamid versus Plazebo. Nach drei Monaten wurdendie Dosen verdoppelt. Primärer kombinierter Endpunkt: Große makro- oder mikrovaskuläre Ereignisse (kardiovaskulärer Tod,Schlaganfall, Herzinfarkt, Nierenerkrankung oder diabetische Augenerkrankung). Beobachtungsdauer: 4,3 Jahre.

Ereignis Plazebo Perindopril/ ARR NNT NTNIndapamid

(n = 5.571) (n = 5.569)% % % n n

Primärer Endpunkt 16,8 15,5 1,3 77 76makrovaskulär 9,3 8,6 0,7 143 142mikrovaskulär 8,6 7,9 0,7 143 142

Gesamtmortalität 8,5 7,3 1,2 83 82Kardiovaskulärer Tod 4,6 3,8 0,8* 125 124

Koronares Ereignis 9,6 8,4 1,2 83 82

Cerebrovaskuläres Ereignis 5,4 5,1 0,3 333 332

Augenschäden 46,9 45,4 1,5 67 66

Mikroalbuminurie 23,6 19,6 4,0 25 24

* Wenn in aktuellen Anzeigen dem »24-Stunden-Duo« eine 18 %ige Senkung der kardiovaskulären Mortalität bescheinigt wird, so handelt es sich dabei um die nichts-sagende relative Risikoreduktion (RRR = 18 %, errechnet: 0,8 multipliziert mit 100 und dann dividiert durch 4,6). Tatsächlich wird die kardiovaskuläre Mortalität um0,8 % reduziert.

ARR: absolute Risikoreduktion NNT:Number needed to treat NTN:Number treated needlessly

ADVANCE–Wirklich ein Fortschritt?Perindopril plus Indapamid als Komedikation bei Diabetikern

Die Blutdrucksenkung ist bei Patientenmit Diabetes mellitus Typ 2 eine wichti-ge pharmakotherapeutische Maßnah-me. Ob es alters- und geschlechtsspezifi-sche Schwellenwerte gibt wie bei Nicht-Diabetikern (1) kann noch nicht gesagtwerden.

ADVANCE

In ADVANCE (Action in Diabetes andVascular disease: preterAx and dia-microN-MR Controlled Evaluation) wirdder Nutzen der fixen antihypertensivenKombination Perindopril plus Indapa-mid versus Plazebo bei Diabetikern ge-prüft (2). Die Kombination ist inDeutschland zugelassen: Coversum®

Combi 4 mg/1,25 mg Tabletten und Pre-

terax® 2 mg/0,625 mg Tabletten/BiPreterax® 4 mg/1,25 mg Tabletten.Einbezogen wurden 11.140 Patientenvon 215 Studienzentren aus 20 Ländern.Neben der Studienmedikation erhieltendie Patienten die übliche Therapie. Aller-dings durften Thiazid-Diuretika nichteingenommen werden. Vor Studienbe-ginn mussten 15 % der Teilnehmer ihrThiazid sogar absetzen. Das wirkte sichin der »Plazebogruppe« gewiss nicht po-sitiv aus.

Durch die fixe Kombination des ACE-Hemmers Perindopril mit dem thiazid-artig wirkenden Diuretikum Indapamidwurden im Vergleich zu Plazebo dermittlere systolische Blutdruck um 5,6mm Hg und der diastolische Blutdruck

um 2,2 mmHg reduziert. Die mittlerenAusgangswerte betrugen 145/81mmHg.Der primäre zusammengesetzte End-punkt wurde um1,3% (16,8minus 15,5)gesenkt. Das entspricht einem NNT-Wert von 77 (100 dividiert durch 1,3).Dieser Wert ist zwar statistisch geradenoch signifikant (p = 0,04), was bei dergroßen Zahl untersuchter Patientenauch nicht verwundert. Klinisch ist eraber völlig irrelevant! Immerhin wurden76 von 77 Personen über 4,3 Jahre ver-geblich mit einem Kombinationspräpa-rat belastet. Die anderen Zahlenangabensind analog zu interpretieren.Blutdrucksenkungen in diesem Bereichhaben eher einen kosmetischen Charak-ter. Die Auswirkungen auf die klinischrelevanten Endpunkte sind nur mini-

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78 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Die Wahrscheinlichkeit, übergewichtigzu werden, nimmt im Laufe des Lebenszu und ergibt sich durch das Zusam-menspiel von sozialen, genetischen undanderen Faktoren. Auch Arzneimittelkönnen das Körpergewicht erhöhen: Er-wünscht, wie bei Anorexie/Kachexie,aber häufiger unerwünscht wie z. B.unter der Therapie mit Antipsychotikaund sogenannten trizyklischen Antide-pressiva. Es gibt eine Reihe weiterer Arz-neimittel, die zu Übergewicht führenkönnen, die aber oftmals nicht sofortmitdieser Wirkung in Verbindung gebrachtwerden. Welche Arzneistoffe häufig be-troffen sind und welche Bedeutung dasfür die Arzneimitteltherapie hat, wird imFolgenden dargestellt.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen(UAW) sind ein wichtiger Grund fürmangelnde Therapietreue. Medikamen-teninduzierte Gewichtszunahme wirdvon Patienten als eine ernste UAW ange-sehen, die die Lebensqualität stark ver-mindert (1). Es wird berichtet, dassunter einer Therapie mit Neuroleptikaungefähr 40 % der Patienten innerhalbeines Jahres und 75 % innerhalb vonzwei Jahren die Einnahme ihrer Medika-mente abbrachen und dass einer der amhäufigsten genannten Gründe eine un-

gewollte Gewichtszunahme war (2).Auch bei der Therapie von depressivenErkrankungen, Migräne, einer Hormon-ersatztherapie, Diabetes mellitus sowiezur Unterdrückung von Abstoßungsre-aktionen nach Organtransplantationenmit Immunsuppressivawurden ähnlicheProbleme berichtet (3, 4, 5, 6, 7). Nebenden rein ästhetischen Aspekten kanneine Gewichtszunahme auch Begleiter-krankungen wie Hypertonie, Stoffwech-selerkrankungen, koronare Herzkrank-heit, Schlaganfall sowie degenerative Ar-thritis ungünstig beeinflussen (8). Diearzneimittelbedingte Gewichtszunahmeist daher ein ernst zu nehmendes Pro-blem.

Leslie et al. (9), eine Forschergruppe vonder Glasgow Royal Infirmary, BereichErnährung/Entwicklungsmedizin inSchottland, haben kürzlich die vorhan-dene Literatur zur Gewichtszunahmewährend einer Arzneimitteltherapie vonErwachsenen systematisch erfasst.Eine Datenbankrecherche wurde aufjene Arzneimittel ausgerichtet, die kon-sistent in der Literatur mit einer Ge-wichtszunahme in Zusammenhang ge-bracht und gleichzeitig für chronischeBehandlungen eingesetzt werden:

• Insulin, Sulfonylharnstoffe, Thiazoli-dinone (Avandia®, Actos® u. a.),

• Glukokortikoide,• Cyproheptadin (Peritol®),• Betablocker,• Natriumvalproat,• Antipsychotika,• Lithium,• trizyklische Antidepressiva.

Einschlusskriterien für die Auswertungwaren das Vorliegen von randomisiertenkontrollierten Studien, Patienten ≥ 18Jahre, ein verordnetes Arzneimittel ausder obigen Liste, eine mindestens drei-monatige Behandlungsdauermit diesemMedikament, der Vergleich zu Plazebooder Alternativmedikament und eine ob-jektive quantitative Angabe zu Verände-rungen des Körpergewichts. Die Studienwurden jeweils von zwei Gutachtern be-züglich der Einschlusskriterien undme-thodischen Qualität der Studiendurch-führung unabhängig voneinander ge-prüft.

Insgesamt wurden 43 Studien mit25.663 Patienten in die Auswertung ein-geschlossen. Sechs Studien, die sich aufValproat, Clozapin, Olanzapin, Glipizid,Nortriptylin und Propranolol bezogen,hatten Gewichtsveränderungen als

UnerwünschteArzneimittelwirkungen

Gewichtszunahmeals unerwünschteWirkungvielerArzneimittel

FAZITBei Patienten mit Diabetes mellitus Typ2 verbessert nach dieser Studie eineweitere Senkung des Blutdrucks unter145/80 mmHg deren klinische Situationpraktisch nicht, wenn man von demSurrogatparameter »Mikroalbuminu-rie« absieht.Die Art der antihypertensiven Therapiesollte sich nach den klassischen diffe-rentialtherapeutischen Kriterien (Alter,Symptome, Komorbidität, Komedikati-on, Verträglichkeit) richten (3).

mal. Lediglich der sekundäre Endpunkt»Mikroalbuminurie« wird deutlicher be-einflusst.Die Tagestherapiekosten betragen 0,95Euro, wenn eine N3-Packung zugrundegelegt wird.

Literatur

1. Port S, Demer L, Jennrich R et al.: Sy-stolic blood pressure andmortality. Lan-cet 2000; 355: 175-180.2. Patel A, MacMahon S, Chalmers J etal.: Effects of a fixed combination of per-

indopril and indapamide on macrovas-cular andmicrovascular outcomes in pa-tients with type 2 diabetes mellitus (theADVANCE trial): a randomised control-led trial. Lancet 2007; 370: 829-840.3. Kaplan NM: Vascular outcome in type2 diabetes: an ADVANCE? Lancet 2007;370: 804-805.

Prof. em. Dr. med. Frank P. Meyer,Groß [email protected]

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79Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

primären Endpunkt, die restlichen Stu-dien untersuchten die Zu- oder Abnah-me des Gewichts als sekundären End-punkt bzw. innerhalb der berichtetenunerwünschten Wirkungen. Für Cypro-heptadin (Peritol®) wurden keine Studi-en gefunden, die den Einschlusskriteri-en genügten.

Abbildung 1 zeigt eine Aufstellung derErgebnisse aus der Studie, mit den aufdem deutschen Markt befindlichen Arz-neimitteln. Dargestellt sind die Datenvon den minimalen und maximalen Ge-wichtsveränderungen unter einem Me-dikament in verschiedenen Studien.Zum Beispiel wurde Clozapin in zweiStudien zur Therapie von Schizophrenie(N = 160, Dosis ≤ 400 mg/Tag, 52 Wo-chen) und schizoaffektiver Störungen(N = 151, Dosis 200–800mg/Tag, 14 Wo-chen) untersucht und führte zu einermittlerenGewichtssteigerung von9,9 kgbzw. 4,2 kg. Natriumvalproat wurde invier Studien zur Therapie von Epilepsieund bipolaren Störungen eingesetzt. DieGewichtszunahmen in diesen vier Studi-en variierten dosisabhängig von 1,2 kg(N = 251, Dosis 1500 mg/Tag, 47 Wo-chen) über 2,0 kg (N = 621, Dosis 1.250mg/Tag, 26Wochen) und 2,5 kg (N=120,Dosis 2115 mg/Tag, 12 Wochen) bis zu5,8 kg (N = 141, Dosis 1822 mg/Tag, 32Wochen).

In der Arbeit wird eine vollständige ta-bellarische Darstellung der Arzneimittel

mit Grunderkrankung, Beobachtungs-zeit, Anzahl der Studienteilnehmer, ein-gesetzten Dosierungen und Gewichts-veränderungen angegeben. Aus der Ab-bildung 1 ist erkennbar, dass alle unter-suchten Arzneimittel, ausgenommenZi-prasidon, zu einem Gewichtsanstiegführen können. Jedoch unterscheidetsich die Gewichtszunahme nicht nurstark zwischen den einzelnen Arzneimit-telklassen sondern auch für ein einzel-nes Medikament innerhalb verschiede-ner Studien. Die Antipsychotika, insbe-sondere Clozapin und Olanzapin, führ-ten zu dem größten Gewichtsanstieg imVergleich zu den anderen untersuchtenMedikamenten. Die Gewichtszunahmeunter Betablockern war relativ gering,jedoch am stärksten unter Propranolol.Ein Gewichtsverlust wurde zum Teil fürRosiglitazon und Propranolol berichtet.Für Amitriptylin, Doxepin, Nortriptylin,Prednison und Lithium konnten jeweilsnur eine Studie in die Auswertung miteinbezogen werden. Dieser Aspekt, kom-

biniert mit der unterschiedlichen An-zahl der Probanden pro Studie und me-thodischen Mängeln der eingeschlosse-nen Studien, macht eine vorsichtige In-terpretation der Daten notwendig.

In der Übersichtsarbeit von Leslie et al.wird deutlich, welch großen Einfluss dieArzneimitteltherapie auf das Körperge-wicht haben kann. Auch bei anderen hiernicht untersuchten Medikamentenwurde über Gewichtszunahme berich-tet. Eine Suche in der Roten Liste 2007ergab mehr als 100 Arzneistoffe unterdem Suchbegriff unerwünschte Wir-kung „Gewichtszunahme“. Das Problemgeht also sicher über die hier genanntenSubstanzen hinaus. Leslie et al. weisenauf die Notwendigkeit hin, den Patientenstärker in die Therapieentscheidungeneinzubinden und damit seine Therapie-treue zu erzielen. Der Arzt sollte das Po-tential eines Arzneimittels, eine Ge-wichtszunahme zu verursachen, mitdemPatienten besprechen und ihn in dieNutzen-Risiko-Bewertung einbinden.Der Patient muss über mögliche Gegen-maßnamen informiert werden. Nur sokann die für das Erreichen des Behand-lungszieles unabdingbare Therapietreueerreicht werden (10).

Literatur

Die Literaturangaben beziehen sich aufdas ausführliche Literaturverzeichnis,dass bei der Autorin angefordert werdenkann.

cand. rer. nat. Winnie Vogt,MSc Clin Pharm ,Prof. Dr .med. Stephanie Läer,Dü[email protected]

Abb. 1: Gewichtsveränderungen unter Arzneimitteltherapie (modifiziert nach Leslie (9))

Minimale und maximale Gewichtszu- bzw. abnahme (kg)

FAZIT

Die Gewichtszunahme ist eine potentiel-le unerwünschte Wirkung von Medika-menten, insbesondere vonAntipsychoti-ka, Antidiabetika, sogenannten trizykli-schen Antidepressiva, Glukokortikoidenund Betablockern. Da sich eine Ge-wichtssteigerung nicht nur negativ auf

den allgemeinen Gesundheitszustanddes Patienten sondern auch auf dessenAkzeptanz der Arzneimitteltherapie aus-wirkt, sind eine individuelle Auswahl derArzneimittel unter diesemGesichtspunktsowie eine Besprechung des Problemserforderlich.

Valproat

Lithium

Clozapin

Olanzapin

Risperidon

Ziprasidon

Prednison

Insulin

Glimepirid

Glibenclamid

Rosiglitazon

Pioglitazon

Nortriptylin

Doxepin

Amitriptylin

Atenolol

Metoprolol

Propranolol

-4 -2 0 2 4 6 8 10

Bluth

och-

druc

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ression

Diabe

tesTy

p2

Epileps

is,S

chizop

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Stör

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80 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Tabelle 1: Historischer Vergleich der Reduktion der Letalität impfpräventabler Erkrankungen in den USA durch Impfstoffe, diebis 1980 zugelassen wurden

Krankheit Vorimpf-Ära Im Jahr 2004 Reduktion in %höchste Todeszahl – jährlich Todeszahl Todeszahl

Diphtherie 3065 0 100Masern 552 0 100Mumps 50 0 100Pertussis 7518 27 99,6Pocken 2510 0 100Poliomyelitis 3145 0 100Röteln 24 0 100congenitale Röteln 2160 0 100Tetanus 511 4 99,2

Tabelle 2: Historischer Vergleich der Reduktion der Letalität impfpräventabler Erkrankungen in den USA durch Impfstoffe, diezwischen 1980 und 2005 zugelassen wurden

Krankheit Vorimpf-Ära Im Jahr 2005 bzw. 2006 Reduktion in %höchste Todeszahl – jährlich Todeszahl Todeszahl

Hepatitis A 298 18 94Hepatitis B 267 47 82Hib ca 1000 < 5 ca. 100Invasive Pneumokokken-Erkrankungen*) 7300 4850 34Varizellen**) 138 19 86

*) Generelle Impfempfehlung für Kinder erst seit 2000**) Generelle Impfempfehlung für Kinder erst seit 1995

Literatur

1. Roush SW, Murphy TV: Historicalcomparisons of morbidity and mortality

for vaccine-preventable diseases in theUnited States. JAMA 2007; 298: 2155–2163.

Prof. Dr. med. Burkhard Schneeweiß,[email protected]

Wirksamer Impfstoff gegenRotavirus-GastroenteritisRotaviren sind die häufigsten Erregerschwer verlaufender GastroenteritidenvonKindern in den ersten Lebensjahren.

In Entwicklungsländern schätztman dieZahl der Kinder, die jährlich an einersolch schweren Durchfallerkrankung

sterben, auf über 600.000 (1). In Indu-strieländern können tödliche Verläufedurch stationäre Infusionstherapie

Zitate

Impfungen reduzieren InfektionskrankheitenImpfungen sind die effektivsten Präven-tionsmaßnahmen der Medizin. DiesesStatement wurde jüngst durch eine Ver-gleichsuntersuchung (1) erneut unterBeweis gestellt. Aus dieser umfangrei-chen Studie soll hier nur ein kleiner Aus-zug wiedergegeben werden.In den USA gab bzw. gibt es Impfempfeh-lungen gegen 13 Infektionskrankheiten,

nämlich Diphtherie, invasive Infektio-nen durch Haemophilus influenzae Typb (Hib), Hepatitis A, Hepatitis B, Masern,Mumps, Pertussis, invasive Pneumokok-ken-Erkrankungen, Pocken, Poliomyeli-tis, Röteln, Tetanus, Varizellen.

Erkrankungszahlen, Hospitalisierungenund Todesfälle wurden unter dem Ein-

fluss von Impfungen, die bis 1980 bzw.zwischen 1980 und 2005 empfohlenwurden, zusammengestellt.

Die folgenden Tabellenauszüge zeigeneindrucksvoll, wie Impfungen zur Sen-kung tödlicher Verläufe von Infektions-krankheiten beigetragen haben.

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81Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

meist abgewendet werden. Die Zahl jähr-lich stationär behandelter Kinder mitschwerer Rotavirus-Durchfallerkran-kung unter fünf Jahren wird in der EUmit 87.000 angegeben (2). DieRotavirus-Gastroenteritis ist demnach ein weltwei-tes schwerwiegendes medizinisches undökonomisches Problem.

Zwei orale Lebendvirus-Impfstoffe – Ro-tarix® und RotaTeq® – sind seit 2006zugelassen und stehen für eine Impfungvon Säuglingen im ersten Lebenshalb-jahr zur Verfügung. Beide Impfstoffe gel-ten hinsichtlich Verträglichkeit undWirksamkeit als gleichwertig. Die klini-schen Studien zur Erprobung dieserImpfstoffe wurden an jeweils über60.000Probanden in verschiedenenLän-dern mit besonderer Sorgfalt durchge-führt. Es galt eine Häufung von Invagi-nationen auszuschließen, die bei dem1998 eingeführten Rotavirus-ImpfstoffRotashield® überzufällig beobachtetworden war und 1999 zu seiner Rück-nahme geführt hatte. In den klinischenVerträglichkeitsstudien der neuen Impf-stoffemit jeweils über 60.000 Probandenwar die Zahl der Invaginationen gegenü-ber der Plazebogruppe nicht erhöht (3).

Als Beispiel für die mit großer Sorgfaltnach GCP-Richtlinien durchgeführtenklinischen Studien kann eine jüngst pu-blizierte europaweite doppelblinde, ran-domisierte Studie (4) zitiert werden. Eswurden 2.646 Kinder aus sechs Ländernmit zwei Dosen des Impfstoffs RIX4414und 1.348 Kinder mit einem Plazebogeimpft. Die Kinder waren jünger alszwei Jahre. Die Beobachtungsdauer be-trug zwei aufeinander folgende Rotavi-rus-Saisons (im Mittel 17 Monate). DieDurchfallerkrankungen wurden virolo-gisch diagnostiziert und der Schwere-grad nach einer 20-Punkteskala nachVesikari quantifiziert. Während der er-sten Rotavirus-Saison erkrankten – un-abhängig von der Krankheitsschwere –

24 von 2.572 geimpften und 94 von 1.302plazebobehandelten Kindern. Hierauserrechnet sich eine Impfstoffschutzwir-kung von 87,1 % (95 %CI 79,6–92,1 p <0,0001). Nach beiden Rotavirus-Saisonswurden folgende Impfschutzraten er-mittelt: 90,4 % (85,1–94,1; p < 0,0001)Schutz vor schwer verlaufender Rotavi-rus-Gastroenteritis, 96,0% (83,8–99,5; p< 0,0001) Schutz vor stationär behand-lungspflichtiger Rotavirus-Gastroenter-itis, 83,8 % (76,8–88,9; p < 0,0001)Schutz vor ambulant zu behandelnderRotavirus-Gastroenteritis.

Die derzeit vorliegenden Daten aus denZulassungsstudien lassen eine Bewer-tung der Dauer des Impfschutzes nichtzu. Es liegen Hinweise dafür vor, dassnach einer vollständigen Immunisie-rung gegen Rotaviren ein Schutz fürzwei bis drei Jahre besteht (5).

Seit Zulassung eines Rotavirus-Impf-stoffs im Februar 2006 sind in den USAinnerhalb eines Jahres bis Februar 2007bei 3,5 Millionen Dosen des ImpfstoffsRotaTeq® 28 Fälle von Invaginationeninnerhalb von 21 Tagen nach der Imp-fung beobachtet worden. Die US ameri-kanische Zulassungsbehörde FDA hatdazu Stellung genommen (http://www.fda.gov/cber/safety/phnrota021307.htm). Eine ursächliche Rolle der Imp-fung konnte weder nachgewiesen nochausgeschlossen werden, zumal die beob-achtete Zahl 28 der Hintergrundmorbi-dität von Invaginationen in diesemSäuglingsalter entsprach. Sowohl dieFDA als auch die CDC (http://www.cdc.gov/nip/publications/acip-list.htm)empfahlen im Februar 2007 die Fortset-zung der Impfungen bei Intensivierungder Meldung eines jeden Verdachtsfallsauf Invagination.

Geimpft werden sollten Kinder wegender Häufigkeitszunahme von spontanenInvaginationen ab dem zweiten Lebens-

halbjahr nur bis zum sechsten Lebens-monat – später nicht. Der Preis einerGrundimmunisierung liegt leider bei150,00 Euro. Da bisher keine Impfemp-fehlung der STIKOvorliegt, sind dieKas-sen zur Erstattung nicht verpflichtet. ImÜbrigen ist neuerdings die Kostenüber-nahme von einer Entscheidung des„Gemeinsamen Bundes-Ausschusses“(G-BA) abhängig, die Empfehlung derSTIKO gilt nicht mehr als ausreichend.

Literatur

1. Parashar UD, Gibson CJ, Bresse JS,Glass RI: Rotavirus and severe childhooddiarrhea. Emerg Infect Dis 2006; 12:304–306.2. Soriano-Gabarro M, Mrukowicz J, Ve-sikari T, Verstraeten T: Burden of rotavi-rus disease in European Union coun-tries. Pediatr Infect Dis J 2006; 25:S7–S11.3. Vesikari T, Matson DO, Dennehy P etal.: Safety and efficacy of a pentavalenthuman-bovine (WC3) reassortant rotavi-rus vaccine. N Engl J Med 2006; 354:23–33.4. Vesikari T, Karvonen A, Prymula R etal.: Efficacy of human rotavirus vaccineagainst rotavirus gastroenteritis duringthe first 2 years of life in European in-fants: randomised, double-blind control-led study. Lancet 2007; 370: 1757–1763.5. Mitteilung der Ständigen Impfkom-mission (STIKO) am Robert-Koch-Insti-tut: Fragen und Antworten zur Möglich-keit einer Impfung gegen Rotaviruser-krankungen. Epidemiol Bull 2007; Nr. 2:9–11.

Prof. Dr. med. Burkhard Schneeweiß,[email protected]

FAZIT

Eine jüngst publizierte Studie konntenachweisen, dassder geprüfte Lebendvi-rus-Impfstoff Rotarix®undRotaTeq®nachzweimaliger oraler Applikation im Verlauf

zweier Rotavirus-Saisons bei Kindernunter zwei Jahren über 90 % schwer ver-laufender bzw. stationär-behandlungs-pflichtiger Rotavirus-Gastroenteritiden

verhütet. Geimpft wird vor dem sechstenLebensmonat, die Impfung ist teuer, nochnicht von der STIKO empfohlen und nichtzu Lasten der GKV zu verordnen.

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Zu diesen beiden Problemkomplexen er-hielten wir eine Anfrage eines Prakti-schen Arztes:

Erstes Problem: In meiner Praxis seheich zunehmend Patienten, die bei ganzunterschiedlichen erblichen Gerin-nungsstörungen von Krankenhäusernbzw. Universitätskliniken zur Thrombo-sevorbeugung mit einer oralen Antikoa-gulation gedrängt werden. In einem ak-tuellen Fall sollen drei Generationeneiner Familie mit einer heterozygotenFaktor-V-Leiden-Gerinnungsstörungeine orale Antikoagulation erhalten,nachdem bei einem der Familienmit-glieder eine Thrombose nach einerKnie-operation aufgetreten war. Die mir zu-gänglichen Daten und Empfehlungenbezüglich einer Antikoagulation beieiner erblichen Thrombophilie sind wi-dersprüchlich. Ich vermisse klare Studi-en und unabhängige Empfehlungen.

1. Frage: Für welche erblichen Gerin-nungsstörung gibt es unabhängige Stu-dien und klare Empfehlungen für eineAntikoagulation?

Ein zweites Problem: Eine schlanke,zierliche Patientin erhielt wegen einerfrüher durchgemachten Tiefvenen-thrombose (TVT) in zwei Schwanger-schaften von Anfang an bis zur Entbin-dung kurzkettige Heparine zur Throm-bosevorbeugung (verschiedene Präpara-te). Drei Jahre nach der zweiten Schwan-gerschaft traten bei ihr mit 36 Jahrenmehrere Wirbelfrakturen wegen einerausgeprägtenOsteoporose auf. Sie wurdevon mir in meiner betriebsärztlichenPraxis mit der Frage der beruflichen Ein-setzbarkeit untersucht. Ein ursächlicherZusammenhang der Osteoporosemit dervorangegangenen Antikoagulation in derSchwangerschaft wurde von den behan-delnden Kollegen verneint.

Es ist bekannt, dass Standardheparinebei längerer Anwendung eine Osteo-porose verursachen bzw. begünstigenkönnen. Für die neueren, kurzkettigenHeparine wird diese schwerwiegendeNebenwirkung bisher verneint. Aufmeine Bitte an verschiedene Anbieterum Studien, Veröffentlichungen, Er-kenntnissen usw. zu dem Thema „Osteo-poroserisiko unter Gabe von kurzketti-gen Heparinen" erhielt ich lediglich voneinem der Anbieter Kopien kleiner Stu-dien über die allgemeine Verträglichkeitdes Präparates in der Schwangerschaft.Auf weitere Nachfragen rief mich dannein Kollege im Auftrag einer der Anbie-ter an und teilte mir lapidar mit, dass eskeine Studien oder Untersuchungen zudieser Frage gäbe.

2. Frage: Gibt es Studien bzw. Erkennt-nisse zur Frage „Osteoporoserisiko beiLangzeitanwendung von kurzketti-gen/fraktionierten Heparinen“?

Anmerkung: Die Patientin hat eine ansich notwendige Meldung einer uner-wünschten Arzneimittelwirkung striktabgelehnt. Sie wolle keinen Ärger habenund man könne ja sowieso nichts ma-chen! Der behandelnde Arzt kann siesehr gut verstehen. Der Telefon- undBriefterror der betroffenen Anbieternach einer solchen Meldung sei fast un-erträglich1.

Antwort zur Frage 1:

Eine Gerinnungsstörung, welcher Artauch immer, ist nie per se ein Grund füreine Antikoagulation. Im Fall einesaußergewöhnlichen Risikos (z. B. or-thopädische Operation) kann das Vorlie-gen einer Thrombophilie allerdings zueiner Verlängerung, bei Vorliegen einerThrombose oder Lungenembolie ggf.

auch zur lebenslangen Antikoagulationführen, letzteres z. B. bei einem verifi-zierten Antithrombin-Mangel.Familienangehörige eines Patienten, dereine Thrombose postoperativ erlittenhat, aufgrund des Vorliegens einer he-terozygoten Faktor-V-Leiden-Mutationzu antikoagulieren, halte ich für eineFehlentscheidung, und es gibt hierzukeine Studien, die ein solches Vorgehenrechtfertigen. Auch der Patientmit einerpostoperativen TVT bei Faktor-V-Leiden-Mutation bedarf allenfalls einer zeitlichverlängerten Antikoagulation. Allenfallsbei der Zeit nach einer Lungenemboliemit weiter bestehender Rechtsherzbela-stung oder schwerem postthromboti-schen Syndrom kann dabei eine dauer-hafte Antikoagulation sinnvoll sein.

Dr. med. W. Mondorf, Frankfurt [email protected]

Antwort zu Frage 2:

Osteoporoserisiko bei Antikoagulationmit kurzkettigen Heparinen: Gibt esStudien bzw. Erkenntnisse?

Die Antwort ist leider enttäuschend: Esgibt weder Studien von erforderlicherRelevanz nochErkenntnisse, die eine be-friedigende Sicherheit zu dieser Fragebieten. Für die Praxis, in der sich Patien-tenmit der Problematik vorstellen,mussnach einem Mosaikbild fragmentari-scher Einzelbefunde nach bestem Wis-sen und Gewissen (Erfahrung) vorge-gangen werden. Hierzu folgende Anre-gungen:

1) Existiert die Entität „Heparin-indu-zierte Osteoporose“?Dies steht außer Frage. Seit den Sechzi-ger Jahren sind viele Einzelberichte pu-bliziert, ohne dass größere, statistischverlässliche Studien publiziert wären.

AntikoagulationbeierblichenGerinnungsstörungen,OsteoporoserisikobeiAntikoagulationmit kurzkettigenHeparinen

82 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 35 · Ausgabe 4 · Juli 2008

Ausder Praxis – Für die Praxis

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2) Wie häufig ist eine solche „sekundä-re“ Osteoporose?Hierzu fehlen infolge der relativen Sel-tenheit der Entität ausreichende Daten.Retrospektive Analysen lassen vermu-ten, dass Dosen von über 15.000 Einhei-ten pro Tag über länger als sechs Monateangewendet werden müssen, um eineOsteoporose zu induzieren (1). In einerSerie von über 100 Patienten, die täglich10.000 Einheiten Heparin oder wenigerüber bis zu 15 Jahre erhielten, wurdekeine Osteoporose mit Frakturen gese-hen.Es ist davon auszugehen, dass die Häu-figkeit einer Heparin-induzierten Osteo-porose im Vergleich zu einer „klassi-schen“medikamentös-induziertenOsteo-porose, wie z. B. der Glukokortikoid-in-duzierten Osteoporose, deutlich niedri-ger liegt. Dies mag erklären, dass Hepa-rin nicht einmal regelmäßig in denRisikofaktor-Katalogen von Übersichtenzum Thema Osteoporose auftaucht unddass auch keine Leitlinien zum Umgangdamit vorliegen.

3) Gibt es Daten zur Schwangerschaft?In einer Studie an 184 Frauen, die in derSchwangerschaft eine Thrombosepro-phylaxe mit Heparin erhielten, wurdenosteoporotische Frakturen bei 2 % gese-hen (2). Dies ist doch eine relevanteHäu-figkeit, die begründet, vor der Einleitungeiner solchen Therapie eine Analyse desKnochenstatus (weitere Risikofaktorenfür eine Osteoporose?) vorzunehmen(siehe unten).

4) Ist niedermolekulares Heparin weni-ger „knochenschädlich“ als genuinesHeparin?Dies wird vermutet (3), ohne dass einezahlenmäßige Abschätzung erfolgtwäre, um wie viel die Knochen-„Toxi-zität“ bei der niedermolekularen Hepa-rinform abnimmt. Der Befund begrün-det aber, zugunsten des Knochen-schutzes die niedermolekulare Formvorzuziehen, wenn keine sonstigenGründe dagegen stehen.

5) Wie ist der Mechanismus der Osteo-porose-Induktion durch Heparin?Neben zahlreichen Spekulationen einerdirekten Osteoklastenstimulation durchHeparin ist jüngst ein interessanter in-

vitro-Befund getreten (4): Der Osteob-last vermag die Tätigkeit des Osteokla-sten zu stimulieren, indem er den Ligan-den für den Rezeptor-Aktivator für dieOsteoklasten-Differenzierung, genanntNFkappaB, produziert (5). Der Rezeptoram Osteoklasten heißt „RANK“, der vomOsteoblasten produzierte stimulatori-sche Ligand „RANKL“. Neben diesemStimulator produziert der Osteoblast be-darfsgesteuert aber auch einen antago-nistischen Hemmer des Osteoklasten,genannt Osteoprotegerin (OPG; zur Zeitin Erprobung zur Osteoporosetherapie).OPG wirkt als Köder für RANKL undneutralisiert damit dessen osteolysesti-mulierendeWirkung – ein Schutz gegenKnochensubstanzverlust. Heparin (auchdas niedermolekulare) wiederum bindetan OPG und hebt dabei dessen antiosteo-lytischeWirkung auf: Knochen wird ver-mehrt abgebaut.Es handelt sich hier um ein sehr kom-plexes und kompliziertes System, dessenFeinabstimmung diagnostischen Be-mühungen noch nicht zugänglich ist.Die Seltenheit der Heparin-induziertenOsteoporose mag darin begründet sein,dass die OPG-Hemmung nicht immervollständig ist und möglicherweise eine(nochnicht bekannte) Prädisposition fürdie Heparin-Noxe vorliegen muss.

6) Was ist für die Praxis zu raten?Trotz der Seltenheit der Heparin-indu-zierten Osteoporose sollte das medizi-nisch heute Mögliche getan werden,solche Knochenschäden, insbesondereFrakturen, zu vermeiden.Steht eine Langzeittherapie mit Heparinan, sollte zugunsten des Knochens über-legt werden, ob nicht niedermolekularesHeparin eingesetzt werden kann.

Des Weiteren sollte eine osteologischeBasisdiagnostik erfolgen: Anamneserhe-bung fürRisikofaktoren, körperlicheUn-tersuchung, Basislabor (siehe Leitlinien(6;7)), wenn möglich: Osteodensitome-trie (sofern keine Schwangerschaft vor-liegt).Ist bereits vor Heparin-Beginn einOsteoporoserisiko vorhanden, ist dieEinleitung einermedikamentösenOsteo-porosetherapie zu überlegen. Bisphos-phonate sind die erste Wahl sofern keineSchwangerschaft vorliegt oder vorgese-hen ist. Schwangerschaft erlaubt nur die

Basistherapie mit Kalzium und VitaminD, der Befund der osteologischen Status-erhebung nach der Entbindung ent-scheidet dann über das sich ansch-ließende Vorgehen.

Abschließende Bemerkung zumgeschil-derten Fall:Bei der Patientin traten drei Jahre nachder zweiten Schwangerschaft unterThromboseprophylaxe mit kurzkettigenHeparinen im Alter von 36 Jahren meh-rere osteoporotische Wirbelfrakturenauf. Ein ursächlicher Zusammenhangzwischen dieser Osteoporose und derHeparintherapie ist trotz der Seltenheitdieser Komplikation nicht auszusch-ließen, es sei denn, eine andere Osteo-poroseursache mit größerer Wahr-scheinlichkeit wäre für diesen Fall nach-gewiesen worden.

Literatur

1. de Swiet M: Selected side effects: He-parin and osteoporosis. Prescribers Jour-nal 1992; 32: 74-77.

2. Dahlman TC, Sjoberg HE, Ringertz H:Bone mineral density during long-termprophylaxis with heparin in pregnancy.Am J Obstet Gynecol 1994; 170: 1315-1320.

3. Woolf AD, Dixon AStJ (Hrsg.): Osteo-porosis. A clinical guide. 2. Aufl.; Lon-don: Martin Dunitz Ltd, 1998.

4. Irie A, Takami M, Kubo H et al.: Hepa-rin enhances osteoclastic bone resorpti-on by inhibiting osteoprotegerin activity.Bone 2007; 41: 165-174.

5. Asagiri M, Takayanagi H: The molecu-lar understanding of osteoclast differen-tiation. Bone 2007; 40: 251-264.

6. Arzneimittelkommission der deut-schen Ärzteschaft: Empfehlungen zurTherapie und Prophylaxe der Osteoporo-se, 1. Auflage. Arzneiverordnung in derPraxis (Therapieempfehlungen), Febru-ar 2003; Band 30, Sonderheft 1 (2. Aufla-ge in Vorbereitung).

7. Dachverband der deutschsprachigenwissenschaftlichen Gesellschaften für

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Leseranfrage zu unseremArtikelVorhofflimmern:Warfarin auch bei hochbetagtenPatienten?(AVP Band 35, Ausgabe 1, Januar 2008, Seite 13–14)

Als Hausarzt kann ich Ihre Aussage nurbestätigen, dass eine große Zahl hochbe-tagter Patienten Kontraindikationengegen Marcumar haben; ich erinnere anStürze, Unverständnis und fehlendeTherapietreue. Krankenhäuser und Kar-diologen berücksichtigen das oft nichtausreichend. Auch Ihrer Schlussfolge-rung, dass „ASS im Zweifelsfall eine ak-zeptable Alternative“ ist, stimme ich zu.

Es bleibt aber die Frage nach der Dosie-rung: 100mg? 150mg? 300mg?? Egal???Gibt es da eine verbindliche Empfehlung?Gibt es Dosis-Wirkungsbeziehungen?Dosis-Nebenwirkungsbeziehungen?

Antwort des Autors:

Leider wurde in AVP Band 35, Ausgabe 1,Januar 2008, Seite 13–14, in demArtikel,auf den Sie sich beziehen, die von mirvorgesehene Tabelle 1 vergessen. Sie fin-det sich nun in AVP Ausgabe 2, März2008 auf Seite 40. Aus ihr geht hervor,dass die Patienten in der BAFTA-Studieüber 2,7 Jahre täglich 75 mg ASS erhal-ten hatten. Ihre Fragen zur optimalenDosierung, zu Dosiswirkungs- undDosis-Nebenwirkungsbeziehungen las-sen sich leider nicht so eindeutig beant-worten. So steht in Estler/Schmidt:Pharmakologie und Toxikologie, Schat-tauer Verlag 2007 auf Seite 513: „...dasAusmaß der Nebenwirkung direkt mitder Höhe der verabreichten ASS-Dosiskorreliert.“ In Arzneimittelkommissionder deutschen Ärzteschaft: Arzneiver-ordnungen, Deutscher Ärzte-Verlag2006 auf Seite 616: „...Wirksamkeitsun-

terschiede im genannten Dosisbereich(75–325mg/Tag) finden sich nicht.“ undauf Seite 617: „...Die Häufigkeit uner-wünschter gastrointestinaler Wirkun-gen unter ASS ist im genannten Dosis-bereich vergleichbar.“

Geht es etwas konkreter?1991 wurde DUTCH TIA Trial publiziert.3.131 Patientenmit TIA (32 %) und klei-nen ischämischen Anfällen (68 %) wur-den randomisiert: 30mg ASS/Tag vs. 283mg ASS/Tag über 2,6 Jahre. Hinsichtlichder Wirksamkeit (Mortalität, Schlagan-fall, Herzinfarkt) gab es keine Differen-zen! Nebenwirkungen traten unter derwesentlich niedrigeren Dosis etwas sel-tener auf: Große Blutungen (tödlich,nicht tödlich) 2,6 bzw. 3,4 %, kleine Blu-tungen 3,2 bzw. 5,3 %, gastrointestinaleStörungen 10,5 bzw. 11,4 %. Sowohl beiden Wirkungen wie bei den UAW zwi-schender hohenundder niedrigenDosenergaben sich unwesentliche Differenzen.

BRAVO wurde 2003 publiziert: 9.190 Pa-tienten mit zerebrokardialen Gefäßer-krankungen bekamen Lotrafiban oderPlazebo. Unabhängig davon konnten dieÄrzte nach Belieben ASS geben (zweiJahre). Im Nachhinein wurden zwei Do-sisgruppen untersucht: 75–162 mgASS/Tag vs. 163–325 mg ASS/Tag:Schwere Blutungen 2,4 bzw. 3,3 %, alleBlutungen 11,1 bzw. 15,4 %, Transfusio-nen 1,0 bzw. 2,0 %.An drei weiteren Beispielen kann ich diePlazebobereinigten ASS-Nebenwirkun-gen bei unterschiedlichen Dosierungenund Beobachtungszeiten subsumieren.

SALT (1991): 75mgASS/Tag über 32Mo-nate; Blutungen 4 %, Nebenwirkungeninsgesamt 4 %.Hurlen et al. (2002): 160 mg ASS/Tagüber vier Jahre; große Blutungen 3,2 %,kleine Blutungen 3,2 %.WHS (2005), Primärprävention beiFrauen zwischen 45 und 65 Jahren: 100mg ASS alle zwei Tage über zehn Jahre;gastrointestinale Blutungen 0,8 %, pep-tische Ulzera 0,6 %, Hämaturie 0,8 %,Epistaxis 2,4 %.

Was folgt aus meiner Sicht daraus?Der von der AkdÄ genannte Dosisbereichzwischen 75 und 325 mg/Tag ist allge-mein akzeptabel. Je älter die Patientensind, umso niedriger sollte die Dosis ge-wählt werden. Im Rahmen der Rein-farktprophylaxe könnten bei Patientenmit guter Compliance auch 30 mg/Tagausreichend sein (Cottbus Reinfarkt-Studie, Hoffmann und Förster 1987).Ein entsprechendes Präparat wurde dar-aufhin entwickelt: Miniasal®. Die späterhergestellten ASS gamma® Tabletten zu75 mg lassen sich leicht teilen.DieDatenlage ist leider nicht besser, aberdoch sicher so, dass eine Entscheidungmöglich ist: Wer niedrig dosiert, ver-schenkt keine Chancen, gewinnt aller-dings ein wenig mehr an Sicherheit.

Literatur

Literatur beim Verfasser.

Prof. Dr. med. em. Frank P. Meyer,[email protected]

Osteologie (DVO) e.V.: Osteoporose-Leit-linie: Prophylaxe, Diagnostik und Thera-pie – bei Frauen ab der Menopause, beiMännern ab dem 60. Lebensjahr. Lang-fassung. Stuttgart, New York: Schattau-er, 2006.

Prof. Dr. med. Dr. h. c.Reinhard Ziegler, [email protected]

1 Der Vorsitzende des Ausschusses „Unerwünsch-te Arzneimittelwirkungen“ (UAW) der AkdÄ, Prof.Höffler, bemerkt hierzu: Die UAW sollte nicht demHersteller, sondern der Berufsordnung folgendder AkdÄ gemeldet werden. Hier bleibt die Anony-mität des Patienten gewahrt. Hier gibt es keinenTelefon- und Briefterror, vielleicht eine RückfrageeinesArztesandenmeldendenArzt zurSache, aufjeden Fall aber für diesenweitere Informationen z.B. ob und wie viele parallele Fälle unserer Daten-bank bisher berichtet wurden.